Das Traumhaus der 1960er-Jahre Als der Bungalow des Deutschen Sehnsuchts-Ort wurde

Das Traumhaus der 1960er-Jahre: Als der Bungalow des Deutschen Sehnsuchts-Ort wurde
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Wohl kaum etwas spiegelt den Zeitgeist der 1960er-Jahre in Deutschland so sehr wieder wie der Bungalow, jenes eingeschossige Wohnhaus, das damals in der Wirtschaftswunder-Republik der letzte Schrei und der große Traum aller Häuslebauer wurde.

Der Begriff Bungalow stammt dabei tatsächlich aus dem indischen Raum, wo das einstöckige bengalische Haus in der britischen Kolonialzeit für die Kolonialherren von der Insel zum Paradebeispiel für ein Ferienhaus auf dem Lande wurde. Von Britannien dann trat der „Bangalo“, eingeenglischt „Bungalow“, seinen Siegeszug durch das Commonwealth und besonders die USA an.

Der ehemalige Kanzlerbungalow in Bonn.
Wohn- und Empfangsgebäude früherer Regierungschefs: der ehemalige Kanzlerbungalow in Bonn. © picture alliance/dpa

Und von dort, wo man die simplen Rechteckbauten in einfacher Holzrahmenbauweise bis heute gern baut, musste der Bungalow früher oder später wie so viele „moderne“ Errungenschaften seinen Siegeszug nach Deutschland antreten. Die 60er-Jahre des vergangenen 20. Jahrhunderts waren dafür der perfekte Zeitpunkt.

Denn in dem Jahrzehnt wurde in der Bonner Republik alles schick, was simpel, modern, rechteckig und möglichst aus Plastik war. Nach der unseligen braunen Diktatur und der zutiefst biederen Nierentisch-Ära der 50er-Jahre sehnte man sich nach Aufbruch, Modernität und einem neuen Zeitgeist.

Was in der Politik durch die Studentenrevolte der 68er-Generation in der sozialliberalen Koalition mündete und im Autobau weg von den runden Kotflügel-Formen hin zu ersten modernen Formen wie am Ro 80 oder dem VW K 70 und schließlich Anfang der 70er zum kastigen Ur-Golf führte, fand im Baustil seine Entsprechung im Bungalow.

Zierrat am Haus war plötzlich verpönt, (er)bauliche Schmuckelemente wie Stuck oder Erker waren nicht mehr angesagt. Eine neue Sachlichkeit hielt Einzug in die Architektur, gerade Linien, klare Formen. Eine neue nüchterne Nützlichkeit ersetzte Verspieltheit, sollte frisch, jung, neu wirken und die Zeit der Beat-Musik und des Resopal-Tischs begleiten.

Der Bungalow stand dabei für all das, was nun als modern galt. Der Verzicht auf eine zweite Wohnebene, zumeist die Beschränkung aufs Flachdach galten nun als neuer Standard des Wohnens mit Stil. Große Wohn- und kleine Schlafräume sowie teilweise mickrige Kinderzimmer bestimmten künftig die Wohnlandschaft. Als Kasten- oder, ganz mondän, als Winkelbungalow kamen die neuen Traumhäuser daher.

Stellvertretend für diese „Neue Moderne“ gilt bis heute der Kanzlerbungalow in Bonn, den der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard noch als Wirtschaftsminister unter Konrad Adenauer in Auftrag gegeben hatte. Die neue Residenz der künftigen Bundeskanzler bis Helmut Kohl sollte als „Symbol weltoffener und moderner Gesinnung der Bundesrepublik Deutschland“ dienen.

Der Architekt Sep Ruf errichtete für rund 2 Millionen D-Mark von 1963 bis 1966 jenen Bau, der bis heute als herausragendes Beispiel westdeutscher Nachkriegsarchitektur gilt. Ludwig Erhard bewohnte den Bungalow nur zwei Jahre. Fun-Fact: Schon seinem Nachfolger, Kurt Georg Kiesinger, war das neue Zuhause zu kühl und modern. Weiche Polstermöbel sollten das Heim für ihn und seine Gemahlin gemütlicher machen.

Gemütlicher und geräumiger wollten es bald auch wieder viele deutsche Bauherren haben. Und so verschwand der Bungalow mit seinem gern undichten Flachdach und dem großen Platzbedarf an Grundstücksfläche schnell wieder aus des Deutschen Traumhaus-Repertoire.

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In den „Wohn(t)räumen“ befasst sich Thomas Schroeter regelmäßig auf sehr persönliche Art mit dem Wohnen. Da kann es um neue Trends gehen, um Wohnphilosophien, um Bauärger oder Küchendeko. Einfach um alles, was das Wohnen im Alltag ausmacht.

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