So eine Haushaltsrede darf bis zu 15 Minuten gehen. 15 Minuten, um zu begründen, wieso man mit dem Geld, dass da ist, die besten Entscheidungen getroffen hat. Oder eben 15 Minute, um klarzumachen, wieso man den Plan der Regierenden für hochgefährliche Finanzakrobatik hält.
Den Anfang macht die SPD mit Daniel Molloisch. Der ist aber nicht nur bei der SPD und Fraktionsvorsitzender, sondern leitet auch ehrenamtlich eine Schul-Theatergruppe. Vielleicht hat er sich deswegen entschieden, seiner diesjährigen Haushaltsrede mit Requisiten ein bisschen mehr Pep zu verleihen. Vielleicht liegt es aber auch einfach am Datum: Es ist Altweiber und der Höhenpunkt der Session – Rosenmontag – steht kurz bevor.
Zwei Cola-Kisten sollen das Finanzproblem der Stadt veranschaulichen. Der Haushalt sieht auf dem Papier nämlich ganz gut aus – es fehlt aber auch ein großer Batzen an Kosten, der einfach ausgeklammert wurde. Alles, was für Corona und die Ukraine-Hilfe eigentlich zu Buche schlägt, es fehlt. 112,35 Millionen Euro, die zwar im Haushalt nicht auftauchen, dafür aber auf einem Zettel, der an einer der beiden Cola-Kisten der SPD klebt.
„Nicht, weil die Kämmerei sie nicht abbilden wollte, sondern weil sie gesetzlich dazu gezwungen wurde“, erklärt Molloisch mit Cola-Kiste gestikulierend: „Wir sind leider nicht bei den Ehrlich-Brothers, diese Summe verschwindet nicht einfach durch Zauberhand.“ Denn die Schulden müssen am Ende die Menschen in der Zukunft wieder abbezahlen. 50 Jahre lang. Das rechnet Molloisch vor.
Zum Beweis der miserablen Zukunftsaussichten mit diesen Schulden versucht sich Daniel Molloisch auf die Kiste mit den Kosten zu stellen und sackt prompt ein. Hier kommt die zweite Cola-Kiste ins Spiel, die Altschuldenfonds und eine Finanzreform symbolisiert. Effektvoll stellt sich der SPD-Mann nun auf diese Kiste: Sie hält. Daniel Molloisch: „Die Kommune kann wieder handlungsfähig sein.“
Der SPD-Auftakt hat allen klargemacht, dass die finanzielle Zukunft von Castrop-Rauxel davon abhängt, wie schnell Bund und Land eine essenzielle Reform voranbringen. Trotzdem lobt sich die SPD für ihre Investitionen bei Schule oder Verkehr, aber es wird klar: Die Mittel sind knapp.
Altschulden müssen weg
CDU-Ratsmitglied und Bundestagsabgeordneter Michael Breilmann kann seinem Ratskollegen bei vielen Sachen zustimmen: Die Altschulden müssen weg, sonst hat Castrop-Rauxel keine Luft zum Atmen, Jugendarbeit ist wichtig, neue Feuerwehrhäuser sind eine tolle Sache.
Unterbrochen wird Breilmann mitten in seinem Lob für die Arbeit des gesamten Rates von einem Zauberer. Der Zauberer mit Hut, Umhang, Schminke und abgeschnittener Krawatte entpuppt sich als Bernd Wagener von den Grünen, der bei der Stadt Ratingen arbeitet. Und dort kann man an Karneval nicht ohne Kostüm auftauchen. Während sich Bert Wagener wieder in einen Lokalpolitiker verwandelt, beendet Breilmann seinen Kuschelkurs mit der Koalition.

Es geht um die Sanierung des Rathauses, die nach dem Stand der Dinge sehr teuer oder extrem teuer wird. In der Rede von Daniel Molloisch war zu dem Thema nichts zu hören, echauffiert sich der Bundestagsabgeordnete: „13 Minuten geredet, kleinen Werbeblock für einen amerikanischen Großkonzern abgehalten, aber nicht eine Sekunde zum Thema Rathaussanierung verloren.“ Er sei fassungslos über die Ruhe, mit der die Koalition das Thema angehe. Dass sich im Haushalt kaum etwas zur Sanierung finde, sei „ein Skandal“.
Und auch er hat eine Requisite dabei, allerdings hatte er weniger zu tragen als Daniel Molloisch. Er zeigt ein leeres Blatt, symbolisch steht es für all das, was der Haushalt über die Grundstücksentwicklungs GmbH zu berichten weiß. Michael Breilmann: „Da hat sich bisher noch nicht viel getan.“
Nicht alle folgen aufmerksam
Während Breilmann seine Rede für die CDU hält, stöbert ein hier ungenannter SPD-Ratsherr in einem Onlineshop nach Armbanduhren. Von der Tribüne aus gut sichtbar sucht er fast 45 Minuten lang auf seinem Handy nach einer passenden Uhr.

Während die einen nicht zuhören, hole Breilmann dann nochmal die ganz große Klatsche raus. Die Koalition solle sich abschaffen, sie komme nicht voran, habe nichts vorzuweisen. Vor allem müsse man die CDU wieder an Entscheidungen beteiligen, statt alles am Koalitionstisch zu vereinbaren.
Timo Eismann von den Grünen wiederholt im Kern das, was schon sein Koalitionspartner Daniel Molloisch gesagt hat. Er stellt aber nochmal die Themen der grünen Wählerklientel nach vorne: Radwege, grüne Inseln, mehr Natur. Dann beweist Timo Eismann, warum man in einer Rede Zahlen immer einordnen und nicht runterrattern sollte. Ob die Koalition nun 20.000 oder 150.000 Euro investiert, wabert am geneigten Zuhörer oder der geneigten Zuhörerin vorbei.
Dabei sind die Punkte, die er anspricht, durchaus wichtig: Sanierung für Schulen, noch mehr Radwege, Digitalisierung an Schulen, Klimaneutralität der Stadtgebäude, alles wichtige Themen. Am Ende einer langen Aufzählung, mit viel Verwaltungssprache, muss aber auch Eismann zugeben, dass der Haushalt „nicht voller großer Sprünge steckt“, aber zumindest eines tue: stabil stehen.
Der stille Protest

Nach den drei größeren Fraktionen sind die kleineren mit je zwei Ratsmitgliedern dran. Als Thomas Schmidt von der UBP an das Mikro tritt, bricht im Saal Aufbruchsstimmung aus. Der Bürgermeister muss sich ganz dringend einen Kaffee holen, die Ratsmitglieder verspüren das Bedürfnis Friedenstauben in Ukraine-Farben zu falten, man vertritt sich die Beine. Kurz: Fast alle machen deutlich, was sie allem Anschein nach von der UBP halten.
Besonders kurios: Schmidt gendert während seiner Rede durchgehend. Was wohl demonstrieren soll, dass er und seine Fraktion sich über gendergerechte Sprache lustig machen. Inhaltlich arbeitet Thomas Schmidt sich an „denen da oben“ und denen ab, die die Bürger in seinen Augen enteignen: die Politik und ganz zu oberst die EU.
Viel Gegenwind für Koalition
Annette Korte von der FWI hält sich in ihrer Haushaltsrede kurz. Sie kritisiert vor allem, dass sich Castrop-Rauxel mit dem Warten auf eine Finanzreform von Bund und Land abhängig mache. Einem derart geschönten Haushalt könne ihre Partei nicht zustimmen.
Margita Gudjons setzt in ihrer Rede auf klassische Themen der Linken: steigende Armut, schleppende Integration und soziale Ungleichheit. Sie kritisiert, dass der Haushalt hier nicht genug bietet. Sie fürchtet außerdem einen „Verwaltungsblackout“, den Zusammenbruch der Verwaltung durch einen Fachkräftemangel.
Nils Bettinger (FDP) ist wohl einer der schärfsten und zugleich konstruktiven Kritiker der Koalition: „Es wird Sie nicht überraschen, die FDP wird dem Haushaltsentwurf nicht zustimmen.“ Die Koalition sei in der politischen Arbeit auf „Tauchstation“ gegangenen und lediglich körperlich anwesend. Man überlasse das Einbringen von Ideen der Verwaltung.
Den Abschluss macht Andreas Kemna von DIE PARTEI, der mit seinen kreativen Haushaltsreden jedes Jahr für Lacher sorgt. Auch in diesem Jahr lohnt es sich, die Übertragung nochmal zu schauen. Dieses Jahr hat Kemna seine Rede komplett gereimt: „Um den Haushalt ist es schlecht bestellt, denn es fehlt ja überall an Geld.“ Ein gutes Schlusswort.
Übrigens: Trotz der vielen Showeinlagen – der Haushalt wurde mit der Mehrheit von SPD und Grünen angenommen.
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