Für und Wider von „Friedensabkommen“ in Clans Einige Fachleute finden auch Pro-Argumente

„Friedensabkommen“ in Clans: Einige Fachleute finden auch Pro-Argumente
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„Paralleljustiz“ einer „Parallelgesellschaft“, die das deutsche Recht missachte: Das sagte Matthias Werk von der Polizei Essen über den Streit, der in Castrop-Rauxel entbrannte und in dem nun seit über zwei Wochen ermittelt wird. Die Essener Polizei hat Expertise, da sie ein eigenes Kommissariat für Clan-Kriminalität unterhält. Nach dem „Friedenstreffen“ Ende vergangener Woche geht die Diskussion über Hintergründe und Folgen weiter.

Es gehe dabei auch um die Konkurrenz von Restaurants oder Shishabars, erklärt Thomas Kufen, der Oberbürgermeister von Essen, laut einem Bericht des ZDF. Also in legalen Geschäftsfeldern. Er mutmaßt, dass es auch um ein Gefühl der Libanesen gehen könne. Sie sähen sich schlechter behandelt als die „Neuankömmlinge aus Syrien“, so das ZDF. Die kamen erst 2015 im Zuge des Kriegs in ihrer Heimat als Geflüchtete nach Deutschland.

Die Libanesen hingegen kamen schon in den 70ern nach Deutschland und hingen zum Teil noch rechtlich in „Duldungsschleifen“ fest, während einige Syrer schon eingebürgert worden seien. Experten sagen, es gehe daneben aber auch um illegale Geschäftsfelder, vor allem um den Einfluss im Drogenhandel vor Ort.

„Friedensabkommen“ und das Schweigen

Das Problem laut Matthias Werk mit dem „Duisburger Friedensschluss“: Vor dem „Friedensabkommen“ gebe es oft noch sachdienliche Aussagen der Beteiligten in den Ermittlungen. Mit dem Abkommen aber werde meist auch ein Schweigen vereinbart. Nach dem Duisburger Treffen hieß es aus den Verhandler-Kreisen nach außen, die Polizei solle weiter ermitteln.

Das tut sie. Es gibt eine 19-köpfige Mordkommission „Wartburg“ bei der Kreispolizeibehörde Recklinghausen. Sie wurde nach dem Vorfall vom 15.6.2023 in Castrop-Rauxel eiligst eingesetzt. Doch laut Oberstaatsanwalt Carsten Dombert fallen die 52 identifizierten und um Teil beteiligten Augenzeugen der brutalen Straßenschlacht vom 15.6. schon von Anfang an durch ein Schweigen auf.

Der Berliner Polizeihauptkommissar Claus Röchert sagte dem Magazin „Cicero“, dass es in der türkischen und arabischen Kultur, in der sich aus Lappalien handfeste Auseinandersetzungen entwickeln könnten, manchmal gut sei, wenn ein Vermittler da ist, dem beide Seiten vertrauen. Für Rechtswissenschaftler Fabian Wittreck von der Uni Münster komme es dabei auf die Schwere der Auseinandersetzungen an. Wenn zwei deutsche Kleingärtner sich in die Haare bekämen, würden wir es begrüßen, wenn der Pfarrer käme und schlichten würde. Da müsse der Staat dann nicht aktiv werden, so Wittreck.

Bei innerarabischen Streitigkeiten wende man sich zuerst an einen einflussreichen Mann in der Familie und bespreche sein Anliegen mit ihm, sagt der Berliner Ali Maarouf, der im Deutsch-Arabischen Zentrum in Neukölln arbeitet, gegenüber „Cicero“. Bei Familienkonflikten eine deutsche Beratungsstelle aufzusuchen oder bei Vertragsstreitigkeiten ein ziviles Gericht, käme vielen Arabern nicht in den Sinn. „Die meisten schotten sich ab und leben sehr isoliert“, so Maarouf. Straßensozialarbeiter Khatib Walid gegenüber dem Magazin: „Wir Araber haben uns noch nicht aus unserer Sippengesellschaft befreit.“ Man halte den Clanchef für den einzigen, der Blutrache verhindern könne.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert leitet die Ermittlungen zur Massenschlägerei und Familien-Fehde auf der Wartburgstraße in Castrop-Rauxel.
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert leitet die Ermittlungen zur Massenschlägerei und Familien-Fehde auf der Wartburgstraße in Castrop-Rauxel. © Kindel / J.K.

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