
© Tobias Weckenbrock
Warum werden Sie mit der politischen Rechten in Verbindung gebracht, Herr Karwath?
Mahnwache in Castrop
Die Mahnwachen „Fridays gegen Altersarmut“ sind umstritten. Sie sollen am 24. Januar bundesweit stattfinden. In Castrop-Rauxel ist Thomas Karwath der Veranstalter. Er wehrt sich gegen Kritik.
Thomas Karwath lebt seit sechs Jahren in Castrop-Rauxel. Er ist seit 2019 Mitglied der eher unbekannten Familienpartei, die bei der Europawahl 2019 in der Europastadt 280 Stimmen bekam. Bei den anderen Wahlen trat sie zuletzt nicht an.
Karwath studierte in Bochum, ist Dolmetscher, hat zwei Kinder und eine doppelte Staatsbürgerschaft: Der Pole und Deutsche kam 1991 als Spätaussiedler aus Schlesien nach Deutschland.
Warum sind Sie als Anmelder der Mahnwache „Fridays gegen Altersarmut“ aufgetreten? Was bezwecken Sie damit?
Der Zweck ist ganz simpel: Wenn Sie ältere Menschen sehen, wie sie Flaschen sammeln, und dann mitbekommen, dass Mahnwachen organisiert werden, dann sagt man: Warum nicht auch hier? Ich habe lange in Essen gewohnt, bin beruflich im ganzen Ruhrgebiet unterwegs und sehe das immer wieder – auch als Familienmensch, der selbst einen Migrationshintergrund hat. Denn ich sehe das auch bei meinen Landsleuten: Ich bin polnischer und deutscher Staatsbürger der schlesischen Minderheit und habe 40 Kilometer vom KZ Auschwitz gelebt.
Sie veröffentlichen im Internet als Mitglied der Familienpartei sehr viele politische Botschaften. Welcher Zusammenhang besteht da zu diesem Engagement?
Keiner. Diese Aktion ist nicht politisch. Es ist eine Mahnwache gegen Altersarmut, das ist alles. Da treffen sich Menschen, die verschiedene politische Überzeugungen haben.
Die Bewegung, die im Internet rund 260.000 Fans bei Facebook hat, wird mit der politischen Rechten in Verbindung gebracht.
Stimmt! Eine rechte Geschichte, alles Bauernfänger, die da mitmachen... Ich habe gestern gesehen, was bei Facebook in den Castrop-Rauxeler Gruppen los ist. Dort werde ich jetzt ich als Ultrarechter dargestellt. Und ich denke inzwischen, dass wohl eine Gegendemo geplant ist – also offenbar für Altersarmut.
Jetzt habe ich große Bauchschmerzen. Ich hielt das ja erst für einen Scherz. Dann wurden mir aber meine älteren Postings um die Ohren gehauen. Das ging so weit, dass ich den Holocaust geleugnet hätte. Die Leute haben sie nicht alle!
Ich war mit 14 Jahren im Museum in Auschwitz, bin dort in der Nähe aufgewachsen. Wenn ich nur das Wort Auschwitz höre, dann sehe ich die Bilder der abgeschorenen Häftlinge und spüre die Kälte der Baracken des Konzentrationslagers. Den Vorwurf finde ich zutiefst beleidigend und traurig.
Warum werden Sie denn aus Ihrer Sicht damit in Verbindung gebracht?
Diskussionen über Demokratieverständnis auf Facebook
- Auf der Facebookseite von Thomas Karwath ist auf Basis seiner zum Teil sehr ausführlichen eigenen Beiträge eine Diskussion über das Demokratieverständnis entstanden. Nils Bettinger (FDP) hat sie ins Rollen gebracht. Er findet, dass einige der Äußerungen von Karwath „nicht grundgesetzkonform“ seien.
- Insbesondere bezieht Bettinger sich auf diese Äußerungen: „(...) Diktatur der Mehrheit und die Mehrheit entscheidet über alles in der Demokratie. So ist es auch nicht verwerflich, auf dem Recht der Durchsetzung einer Mehrheitsmeinung zu bestehen. Die Minderheiten haben sich den Bedürfnissen der Mehrheit anzupassen und die Politik ist verpflichtet, die Interessen der Mehrheit zu vertreten!“
- Karwath sieht sich als Schlesier und Spätaussiedler selbst einer Minderheit zugehörig. Bettinger hält einige seiner Einschätzungen für nicht grundgesetzkonform. „Seltsames Demokratieverständnis. Die Würde eines Menschen ist also beispielsweise nur dann unantastbar, wenn die Mehrheit es so sieht? Das Recht auf freie Meinung auch? Das Recht auf Versammlungsfreiheit auch?“ Karwath dazu: „Ich danke ihnen nochmals für Ihren Beitrag. Auch für die konstruktive Kritik. Ich lösche meinen Beitrag nicht, weil ich unser Gespräch als sehr konstruktiv und aufschlussreich beachte.“
Ich mag keine Extreme. Für mich persönlich ist die extreme Linke aber historisch genauso mit sehr viel Tod behaftet wie die extreme Rechte. Für mich gibt es keine gute extreme Linke. 50 Jahre der Linken in Osteuropa und Asien haben 100 bis 120 Millionen Tote hervorgerufen. Wenn Nazis extreme Rechte sind, dann sind Kommunisten extreme Linke.
Ich mag stabile Politik der Mitte, einen stabilen Mittelstand. Zum Beispiel, wenn hier in der Region Firmen entstehen mit 5 und 50 Mitarbeiten, die standortstreue Arbeitsplätze schaffen. Ich möchte, dass es nicht nur Konzerne gibt. Die sind eben nicht standorttreu. Das hat man in Bochum an Nokia und Opel gesehen. Da wird schon mal ein Standort geopfert.
Man muss in Gedanken- und Ideenschmieden investieren. Dass die Leute, die im Ruhrgebiet ausgebildet wurden, auch hier tätig werden – zum Beispiel zu Klimaneutralität.
Noch mal zurück zur Kritik an Ihnen als Person. Wie erklären Sie sich das denn?
Ich habe mich klar gegen Rechts ausgesprochen. Mörder bleibt Mörder. Gewisse Personen von Links können aus meiner Sicht damit nicht umgehen, dass ich Linksextreme genauso kritisiere. Das bedeutet aber nicht, dass man den Holocaust in Abrede stellt.
Die Kritik beruht auch auf dem, aus was und wem sich die große Facebook-Gruppe „Fridays gegen Altersarmut“ mit 260.000 Mitgliedern zusammensetzt. Da ist ein höchstumstrittener Gründer, da gibt es unter anderem durch Kritik am politischen Establishment eine Nähe zu rechtspopulistischen Gruppierungen.
Die Gruppe hat, so wie ich das bisher gesehen habe, kein politisches Gedankengut. Es geht allein darum, dass man Altersarmut bekämpft. Als ich dort Mitglied wurde, hatte die Gruppe 40.000 Teilnehmer. Jetzt hat sie 260.000. Ich glaube, gewisse Gruppierungen sind einfach neidisch, dass sie nicht auf diese Zahl kommen.
Jetzt, wo die Gruppe so viele Mitglieder hat, wird sie Menschen aller Couleur vereinen: sozial Engagierte, aber auch Personen, die in die rechte Ecke gestellt werden können. Dazu habe ich mir aber keine Meinung gebildet, das weiß ich nicht. Ich interessiere mich für Castrop-Rauxel.
Es ist eine Mahnwache, die ich in der ersten Dezember-Hälfte angemeldet habe. Jetzt, zwei Wochen davor, wird das offenbar sehr interessant. Die Gruppe will nicht als Bühne für Parteien dienen. Ich bin zwar Parteimitglied, aber das hat mit der „Fridays gegen Altersarmut“ nichts zu tun.
Vielleicht hat das aber auch mit Ihren Aktivitäten auf der eigenen Facebookseite zu tun. Dort liest man Merkel-kritische Beiträge, die einen Duktus aus der rechtspopulistischen Ecke übernehmen. Da liest man auch Medienkritik. Sie gedenken dort kurz vor Weihnachten der Opfer des Breitscheidplatzes, was natürlich nicht verboten ist drei Jahre nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt, aber doch in die gleiche Richtung geht.
Den Beitrag habe ich nur geteilt.
Was ist mit den anderen Beiträgen, die zum Teil sehr lang sind und auch kritisch gegenüber der Politik der etablierten Parteien?
Einige Dinge teile ich, zum Beispiel die Postings von Ralf Piekenbrock, einem Kollegen der Familienpartei aus Selm. Die anderen schreibe ich selbst. Aber noch mal: Diese Aktion, diese Mahnwache, ist nicht politisch. Es ist eine Mahnwache gegen Altersarmut.
Ein Kritiker aus der SPD in Castrop-Rauxel kritisiert uns als Redaktion so: Wir gäben rechtsgerichteten Gruppierungen, die sich reißerisch auf Themen setzen und versuchen, dass sich genügend Lemminge finden, die hinterherlaufen, viel Aufmerksamkeit. Was sagen Sie dazu?
Wäre diese Initiative von der SPD gekommen, wäre er einer ihrer ersten Jünger.
Nach der Welle, die das nun aufgeworfen hat: Was glauben Sie nun, wie es wird am 24. Januar?
Als ich die Mahnwache in der ersten Dezemberhälfte angemeldet habe, habe ich nicht viel erwartet. Bei der Polizei habe ich 50 Personen angegeben. Ich weiß gar nicht, ob ich nun etwas nachmelden muss. Ich habe inzwischen ein bisschen Angst davor und hoffe, dass das ganze friedlich abläuft und zum Beispiel keine Gegenstände geworfen werden.
Warum?
Bisher gab es Zuschriften von kleinen Angestellten an mich, die sich um Armut im Alter und ihre kleine Rente sorgen. Inzwischen scheint sich sogar schon eine Gegendemo anzubahnen. Ich frage mich: Wollen die dann für Altersarmut demonstrieren? Wenn es Gegendemonstranten gibt, dann gibt es sie – in Ordnung, wir haben eine Demokratie. Die Leute dürfen ihre Meinung sagen. Wenn sie für Altersarmut stehen wollen, dann sage ich nicht: Nein, das dürfen sie nicht.
Könnte es auf der anderen Seite eine Solidarisierung aus der rechtsextremen Ecke mit Ihrer Veranstaltung geben?
Ich hoffe, dass da nichts zu befürchten ist. Würde das passieren, würde ich die Mahnwache sofort auflösen. Die Nachrichten, die ich bisher erhalten habe, kamen von den erwähnten um die Rente besorgten Menschen. Ich habe bisher kein Schreiben von einer rechtsextremen Kameradschaft bekommen. Sollte es dazu kommen, dann melde ich die Veranstaltung ab.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
