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Freiheiten für Geimpfte? „Die jungen Leute sind die Gelackmeierten“
Coronavirus
Der Castrop-Rauxeler Manfred Pietschmann ist zweifach geimpft. Die Rückgabe der Freiheiten für Geimpfte begrüßt er und kommt seinem Sehnsuchtsziel näher. Doch er empfindet auch Mitleid.
Bevor die Pandemie kam, so hat es die Wochenzeitung „Die Zeit“ kürzlich zusammengefasst, galt die Freiheit als etwas „Grenzenloses“. Das Recht auf Freiheit hat jeder und es ist, wenn überhaupt, allein gewaltsam zu beschneiden.
Doch mit der Pandemie kamen schließlich Freiheits- und Grundrechtseinschränkungen, wie sie diese Republik noch nicht kannte. „Nur logisch, dass das Rad jetzt langsam zurückgedreht wird. Das ist unvermeidlich“, sagt Manfred Pietschmann.
Treffen ohne Einschränkungen
Für den Castrop-Rauxeler, 81 Jahre alt, und zweifach geimpft, ist es folgerichtig, dass den geimpften und genesenen Bürgerinnen und Bürgern zumindest Teile ihrer Freiheit nun nach und nach zurückgegeben werden.
„Wenn ich keine Gefahr mehr für andere Menschen und selbst nicht mehr gefährdet bin, ist das die einzig richtige Konsequenz“, sagt Pietschmann. Bundestag und Bundesrat kamen kürzlich zur selben Einschätzung. Die neue Verordnung soll bereits ab Samstag (8.5.) gelten.
Doppelt Geimpfte sowie Genesene dürfen demnach die lokal geltenden Ausgangssperren ignorieren; sie werden bei Treffen von bisher nicht geimpften Personen nicht mitgezählt, können sich untereinander ohne Einschränkungen treffen; und sie sind nach einer Auslandsreise von der Quarantänepflicht befreit – es sei denn, sie kommen aus einem Virusvariantengebiet.
Schon seit Anfang dieser Woche können in Nordrhein-Westfalen Geimpfte und Genesene überall dort, wo der Zutritt eigentlich nur mit einem negativen Schnelltest erlaubt ist, ganz ohne Test eingelassen werden. Etwa in Geschäfte oder Friseur-Salons.
Ein erster Schritt zur ja eigentlich normalen Freiheit, zumindest für jene, die zur Gruppe der Geimpften oder Genesenen gehören. Was die Frage nach der Zwei-Klassen-Gesellschaft aufwirft. Die immer noch übergroße Gruppe derer, die auf ihre Impfung(en) warten müssen, sich nicht impfen lassen können respektive wollen – oder als Nicht-Genesene gelten, harrt nach wie vor einer Lösung. Pietschmann, vierfacher Vater, sieht darin durchaus einen Konflikt.
Pietschmann: Schuld hat die Politik, nicht wir
„Vor allem junge Leute sind die Gelackmeierten, das ist so klar zu benennen“, betont er. „Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mussten schon zurückstecken, als wir alten, gefährdeten Leute geschützt werden mussten. Jetzt sind sie schon wieder die, die es am schwersten haben. Sie sind die Verlierer.“
Doch klar sei auch: „An uns liegt es nicht, dass nicht genug Impf-Dosen zur Verfügung stehen und die ganze Kampagne schleppend in Fahrt kam. Den Schuh hat sich die Politik anzuziehen.“ Es sei schlicht und ergreifend nicht genug Impfstoff besorgt worden.
„Deshalb gibt es jetzt dieses Problem, aus keinem anderen Grund“, sagt Pietschmann. Vom Impf-Neid, von dem zumindest ab und an zu lesen und zu hören ist, habe er im privaten Bereich allerdings noch nichts mitbekommen.
„Mich rufen eher Freunde und Bekannte an – und freuen sich mit mir.“ Das wünsche er sich ohnehin. „Es wäre doch schön, wenn es keine Neider, sondern nur Gönner gäbe.“ Wobei er – wie schon beschrieben – nachvollziehen könne, „wenn man es nicht mehr zuhause aushält“.
Allerdings, und das erwähnt Pietschmann im Anschluss ebenfalls: „So viel bringen mir die neuen Freiheiten nun auch wieder nicht. Wenn nichts geöffnet hat, bin ich in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt – ungefähr wie alle anderen.“
Zumal großflächigere und den Neid womöglich zusätzlich provozierende Lockerungen für den Tourismus oder die Gastronomie (vorerst) nicht geplant sind. Also setzt Pietschmann seine größte Hoffnung erst einmal in die für ihn nicht mehr geltenden Kontakt-Regelungen.
„Ich bin leidenschaftlicher Wanderer“, erzählt er, „ich wandere sehr regelmäßig, bin außerdem im Sauerländischen Gebirgsverein aktiv. Dort haben wir insgesamt über 200 Mitglieder und vor der Corona-Pandemie vielerlei Ausflüge unternommen. Das ist das Einzige, was mir in der aktuellen Zeit wirklich fehlt.“ Liebend gern, so sagt er es, „würde ich mal wieder mit einer größeren Gruppe auf Wandertour gehen, erzählen, lachen – doch das dürfen wir noch nicht.“

Manfred Pietschmann (l.) ist im Sauerländischen Gebirgsverein aktiv. Die Ortsgruppe Castrop-Rauxel hat etwa 200 Mitglieder. © Tobias Weckenbrock
Wohlgemerkt „noch nicht“. Denn Pietschmanns Rechnung ist so simpel wie logisch: Je mehr Laufkolleginnen und -kollegen genesen oder – freilich deutlich besser – doppelt geimpft sind, desto größer darf die Wandertruppe letztlich sein. „Das wäre toll und ist ein großer Wunsch von mir“, sagt Pietschmann. Er, Jahrgang 1939 („Ich bin wohl oder übel Kriegsware“), wandere doch noch so gerne. Ob im Sauerland, auf Rügen oder sonstwo, meint er - und gerät richtiggehend in Fahrt.
Längst habe er sich „sämtliche Mittelgebirge“ angesehen, berichtet Pietschmann. Mecklenburg-Vorpommern sei zudem toll, „die Landschaft dort über jeden Zweifel erhaben“. Und auch unmittelbar vor der eigenen Haustür könne man eine tolle Zeit haben. Mit ein paar Freunden, dem richtigen Schuhwerk und etwas Proviant im Gepäck. Nur das brauche es, sagt Pietschmann. Dann fühle er sich frei.
Schreibt seit 2015. Arbeitet seit 2018 für die Ruhr Nachrichten und ist da vor allem in der Sportredaktion und rund um den BVB unterwegs.
