Lass sie sich doch prügeln! Und: Abschieben! Zwei Forderungen und wie ein Jurist sie einschätzt

Familien-Fehde: Zwei plumpe Forderungen und wie ein Jurist sie einschätzt
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Es sah aus wie bei einer Hooligan-Straßenschlacht in den 80er-Jahren: Männer rennen wild durcheinander, schlagen und treten heftig aufeinander ein. Der Donnerstagabend (15.6.2023) brannte sich bei vielen Augenzeugen ins Gedächtnis ein. Auch Videos hinterließen bleibende Eindrücke.

Menschen sind seither in Sorge: Was geht da vor unseren Haustüren ab? Können wir hier noch sicher leben? Auch am Freitag bei einem Treffen der SPD vor dem Hauptbahnhof, eine Geh-Minute entfernt, wurden die Ängste und der Ärger sehr deutlich. Doch der Bürgermeister spricht von einem Problem, das sich nicht mit einem Fingerschnips beseitigen lasse. Dabei haben Bürger zwei einfache Lösungen, die in vielerlei Chats und Gesprächen, bei Facebook und anderswo vielfach zu lesen waren: „Lass sie sich doch einfach prügeln, wenn sie unbedingt wollen!“ und „Einfach sofort in die Heimat abschieben!“

Warum lassen diese scheinbar einfachen Lösungen sich nicht einfach so, wie man sie ausspricht, anwenden? Wir holten uns dazu eine fachliche Einschätzung von Rechtsanwalt Jürgen Wischnewski, der auf Schwerin eine Kanzlei hat.

Wir fragten: Warum kann man die Leute (zwei Familien untereinander) nicht einfach auch prügeln lassen? These: Sie beziehen ja keine anderen Leute in den Streit ein...

Wischnewski antwortet: „Duelle sind in Deutschland verboten. Davon abgesehen wird die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Der Bundesgerichtshof hält seit Jahren Schlägereien bei Volksfesten etc. für akzeptabel, wenn sportliche Regeln eingehalten werden, also zum Beispiel keine Messer im Spiel sind.“ Aber: „Sie könnten sich also vielleicht untereinander schlagen, aber die Kosten der ärztlichen Behandlung etc. bezahlen letztlich wir alle.“

Eine Frage der Staatsbürgerschaft

Wir fragten: Warum kann man die Menschen, denen man eine Tatbeteiligung (Schlägerei) nachweisen kann (Videos / Polizeibeamte als Zeugen o.ä.), nicht einfach „ausweisen“, von denen man weiß, dass die unsere Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptieren? Dabei geht es auch um die Frage: Wie lange muss man diesen Aufwand mit Polizeipräsenz in riesigem Ausmaß betreiben?

Wischnewski antwortet: „Man weiß nicht, ob alle Beteiligten Ausländer sind. Deutsche dürfen nach dem Grundgesetz nicht ausgewiesen werden. Wohin auch? Sowas gab es nur früher in der DDR.“ Im Kern meint er: Einige der Beteiligten leben seit 40 Jahren in Deutschland, einige der Kindergeneration wurden hier geboren. Sie könnten einen deutschen Pass oder eine doppelte Staatsangehörigkeit haben.

Wischnewski weiter: „Der rechtliche Aufenthaltsstaus ist bei vielen ebenfalls unbekannt. EU-Bürger? Asylbewerber? Aufenthaltsgenehmigung? Duldung?“ Es gebe unterschiedliche Kategorien. Sie müssten auch alle unterschiedlich behandelt werden.

Der über allem stehende Grundsatz sei der der Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit. „Weist man jemanden aus, der eine Körperverletzung verübt, für die es nach unserem Strafmaß ‚nur’ eine Geldstrafe gibt, und der Rest der Familie bleibt hier? Verbleiben die Kinder ohne Eltern? Was, wenn die Täter ansonsten normale Bürger mit Arbeit und Wohnung sind?“

Politik der 1000 Nadelstiche

So wird schnell klar: Unsere rechtsstaatliche Ordnung ist in dieser Hinsicht verzwickt. Ein Grund, warum das Land NRW seit Jahren mit einer „Politik der 1000 Nadelstiche“ begegnet. So bezeichnet Innenminister Herbert Reul den Umgang mit Clan-Kriminalität, zu der er auch solche Familien-Fehden zählt. Immer wieder Kontrollen, immer wieder Waffen konfiszieren, immer wieder Treffen verhindern, polizeilich und ordnungsrechtlich. Und immer wieder Strafverfahren.

„Es ist wohl weniger alles eine juristische Frage als ein politisches Problem“, meint Rechtsanwalt Jürgen Wischnewski. Die Politik will sich des Problems nun noch einmal neu annehmen.

In der neuen Folge PottCAS: Familien-Fehde und die Folgen und der Prozess zum Terrorverdacht um Jalal J. auf rn.de/castrop

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