Clan-Kriminalität Unser Staat ist für den Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu schwach

Kampf gegen Clan-Kriminalität: Unser Staat ist zu schwach
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Hunderte Erwachsene, die auf offener Straße mit Brechstangen, Schlagstöcken und Macheten aufeinander losgehen – weil sich zuvor ihre Kinder gestritten haben? Familienangehörige, die seit Jahren keinen Kontakt zueinander haben, eilen aus ganz Deutschland ins Ruhrgebiet, um die „Ehre“ ihrer Kinder zu verteidigen? Am Ende gibt es Schwerverletzte, ausgeschlagene Zähne und klaffende Platzwunden. Passiert in Castrop-Rauxel und Essen. Ende letzter Woche.

Ein Kinder-Streit als Auslöser? Bitte was?

Man möchte über so viel Banalität fast lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Denn das, was in Essen und Castrop-Rauxel zwischen zwei Familien-Clans - Libanesen und Syrer - passiert ist, hat eine neue Qualität, sagt der Kriminologe Robin Hofmann von der Universität Maastricht, die er so in Deutschland noch nicht erlebt habe. Hofmann wertet die Massenschlägereien vom 15. und 16. Juni als „klare Message“ der Clan-Kriminalität an den Rechtsstaat. Auf offener Straße, mitten in der Essener City – es gäbe 100 Orte, die diskreter gewesen wären. Doch das Medienecho sei Kalkül. Die Botschaft: „Mit uns ist zu rechnen, wir haben das Sagen, wir sind eine Macht.“

Unterwanderte Polizei und Stadträte

Was das heißen kann, zeigt der Blick in die Niederlande: Mitglieder arabischer Clans unterwandern Polizei, Stadträte, Verwaltungen, gründen mit schmutzigem Geld große Unternehmen. Korruption sind Tür und Tor geöffnet. Diese Gefahr ist auch in unserem Land real, wenn nicht bereits an einigen Stellen Realität. Es geht unter anderem um Raub, Geldwäsche, Drogen- und Waffenhandel.

Um den Vormarsch aufzuhalten, setzt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf die Taktik der 1000 Nadelstiche. Seit einigen Jahren sagen die Behörden der Clan-Kriminalität den Kampf an, versuchen, systematisch zu stören, bei kleinen Rechtsbrüchen zu zeigen: Der Staat ist da, hier kann niemand machen, was er will. Seitdem gab es Tausende Kontrollaktionen und Durchsuchungen in Shisha-Bars, Wettbüros und Privatwohnungen. Dutzende Festnahmen.

Die Statistik liest sich gut. Zuletzt gehen die Straftaten zurück. Doch die Reaktion wird rauer, wie Castrop-Rauxel und Essen zeigen. Ob NRW und Deutschland für den Kampf gewappnet sind, darf bezweifelt werden. Wer hinter die Fassade schaut, wird erkennen, dass sich unser Staat bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität selbst im Wege steht.

Was wir von den Niederlanden lernen können

Wenn Herbert Reul nach den jüngsten Vorkommnissen vor dem Innenausschuss ankündigt „hart durchgreifen“ zu wollen, dann klingt das richtig. Ich denke jedoch, dazu ist unser Staat derzeit nicht in der Lage. Warum? Gesetze, Bürokratie und Datenschützer machen uns „zahnlos“. Die Niederlande sind hier weiter. Greifen tatsächlich durch. Fünf Punkte, wo uns unsere Nachbarn voraus sind:

1. Zur Taktik des harten Durchgreifens gehört das Konfiszieren von Vermögensgegenständen und die Abschöpfung von Gewinnen. In Duisburg wurden 2019 vor dem Jobcenter Nobelkarossen beschlagnahmt. Clan-Mitglieder, die Sozialhilfe beziehen, waren mit Luxusschlitten vorgefahren. Nach kurzer Zeit standen die Fahrzeuge wieder in den Garagen ihrer Besitzer. Der Rechtsweg ist so langwierig, dass Lagerung und Wertverluste hohe Kosten verursachen. Es ist für den Staat günstiger, die Autos zurückzugeben. Die Niederlande lösen das Problem deutlich klüger und versteigern die Fahrzeuge direkt nach der Beschlagnahmung. Ordnet Jahre später ein Gericht doch die Rückgabe an, fließt eben der Erlös an die Betroffenen.

2. Große Prozesse gegen Clan-Mitglieder sind in der Vergangenheit für die Angeklagten glimpflich ausgegangen, weil Belastungszeugen ihre Aussagen zurückzogen. Warum? Die Personalien der Zeugen sind über die Anwälte der Kriminellen problemlos zu bekommen. Es folgen Drohungen, Einschüchterungen und auch Schweigegeldzahlungen. In Deutschland gilt das Unmittelbarkeitsprinzip. Zeugen müssen im Gerichtssaal aussagen. Es gibt nur wenige Ausnahmen. In den Niederlanden reicht es, bei der Verhandlung die polizeiliche Aussage von Zeugen zu verlesen. Einschüchterungsversuche haben keinen Raum.

3. Ein altes, aber effektives Thema: Mobilfunk-Überwachung sind bei Ermittlungen noch immer an hohe Hürden gebunden. Rund 20.000 Gespräche werden jährlich in Deutschland mitgehört. In den Niederlanden sind es deutlich mehr, die Telefonüberwachung gehört zum Ermittlungs-Standard und führt zu großen Erfolgen im Kampf gegen die Clan-Kriminalität. Datenschützer, die jetzt aufschreien, dürfen auf den Rechtsstaats-Index schauen: Die Niederlande stehen seit Jahren in der Rechtstaatlichkeit vor Deutschland.

Rechtsanwälte ermöglichen Clan-Strukturen

4. Die Rechtsanwälte von Clan-Kriminellen gehören häufig selbst zum Clan. „Während in Deutschland Rechtsanwälte fast schon unantastbar sind, geraten sie in den Niederlanden mittlerweile ins Visier“, sagt Kriminologe Robin Hofmann. In Rotterdam wurde jüngst die Staranwältin Ines Weski verhaftet. Sie steht im Verdacht, gemeinsame Sache mit der Mafia gemacht zu haben. Der Experte: „In Deutschland muss sich erst noch die Erkenntnis durchsetzen, dass Anwälte die Strukturen der organisierten Kriminalität ermöglichen – und nicht selten davon profitieren.“

5. Volle Transparenz hilft in den Niederlanden, das Bewusstsein der Bevölkerung zu schärfen und somit zu wichtigen demokratischen Entscheidungen zu kommen. In NRW gibt es seit einigen Jahren Lagebilder, in denen Innenministerium und Polizei Daten und Fakten zur Clan-Kriminalität veröffentlichen. Ein guter Schritt. Und doch fehlt eine bedeutende Kennzahl in der Statistik. Liquidationen und Auftragsmorde werden in den Niederlanden als eigene Zahl ausgewiesen: rund 30 sind es jedes Jahr – und die meisten gehen auf das Konto der organisierten Kriminalität. In Deutschland gibt es diese Zahl nicht. Dabei würde sie die Dramatik der Situation verdeutlichen.

Nadelstiche nehmen zu, werden aber nicht reichen

Ja, wir machen in NRW Fortschritte bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität. Es gibt einen Fokus, es gibt Task-Forces und eine länderübergreifende Zusammenarbeit. Die Nadelstiche nehmen zu. Für den großen Durchbruch indes braucht es eine deutliche tiefere Verankerung – im Bewusstsein der Bevölkerung und in der Gesetzeslage.