Thomas Frauendienst erwartet vom ehemaligen Papst Benedikt mehr als eine Entschuldigung. © dpa / Heuser
Kirchenaustritte wegen Falschaussage
Thomas Frauendienst (57) zu Missbrauchsgutachten: Entschuldigen reicht nicht
Als Kind wurde Thomas Frauendienst in einer kirchlichen Einrichtung sexuell missbraucht. Das neue Gutachten zum Thema Missbrauch und die Falschaussagen von Papst Benedikt XVI. wundern ihn wenig.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat gelogen, das hat er nach langem Hin und Her mehr oder weniger zugegeben. Es geht um seine Aussage für das Gutachten zum sexuellen Missbrauch in München und Freising; konkret um seine Teilnahme an einer Sitzung im Jahr 1980.
Bei einer Befragung hatte er den Gutachtern gesagt, dass er damals nicht als Erzbischof von München und Freising an besagter Sitzung teilgenommen habe. In dieser Sitzung wurde über einen Priester gesprochen, der wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern auffällig geworden war.
Der emeritierte Papst hat sich inzwischen für seine Falschaussage entschuldigt. Er habe doch an der Sitzung teilgenommen. „Diese Salamitaktik“ ist für Opfer sexueller Gewalt wie den Castrop-Rauxeler Thomas Frauendienst (57) nur schwer zu ertragen.
Er kennt es nicht anders: „Das ist, was ich mein Leben lang erlebe. Man wird durch die Manege geführt, wie ein Bulle am Ring. Irgendwann wird man schon müde sein und aufhören nachzufragen.“ Das sei die Taktik derer, die die Wahrheit vertuschen und geheim halten wollen.
Vier Jahre im Heim und Dutzende Operationen
Thomas Frauendienst verbrachte die ersten vier Jahre seines Lebens im Johanna-Helenen-Heim der Stiftung Volmarstein in Wetter. Dort wurde er als Säugling und Kleinkind mindestens 60 Mal operiert. Thomas Frauendienst kam mit zwei verdrehten Füßen zur Welt; Sehnen und Muskeln fehlten.
Die Zeit im Heim überlebte er nur knapp – sichtlich unterernährt, misshandelt, mehrfach sexuell missbraucht und seelisch verletzt holten seine Eltern ihn mit vier Jahren wieder raus aus dem Heim. Seitdem wurde das Thema in der Familie totgeschwiegen.
Erst nach etlichen Jahren des Forschens und Nachfragens deckte Thomas Frauendienst Jahrzehnte danach die Wahrheit auf. Diese schmerzliche Vergangenheit ist wohl auch der Grund, warum er sich für Opfer sexueller Gewalt einsetzt.
In den Kirchen muss sich die Struktur verändern
Von Papst Benedikt erwartet er, dass er sich entschuldigt. „Er sollte selbst vor die Kamera treten, wenn er es noch kann.“ Mehr noch: „Als ehemaliger Papst sollte er sagen, ich ziehe mich zurück. Er sollte sagen: ‚Jawohl, wir sind schuldig.’“
Und er meint, dass sich die kirchliche Struktur ändern müsse. „In den Gremien müssen auch Vertreter vonseiten des Staates sitzen, die in die Entscheidungen integriert sind.“
Offenbar sind auch andere Castrop-Rauxeler von den neu bekanntgewordenen Skandalen in der katholischen Kirche schockiert. Das Telefon im Amtsgericht habe zumindest am Tag der Veröffentlichung des Gutachtens nicht stillgestanden, sagt Dirk Brahm, stellvertretender Leiter des Amtsgerichts.
Im Januar 2022 seien bislang 23 Kirchenaustrittsgesuche eingegangen. 13 davon hätten die katholische Kirche betroffen. Ob diese Austritte mit der Lüge von Joseph Ratzinger, so der bürgerliche Name des ehemaligen Papstes, zusammenhängen, ist nicht klar.
Klar ist aber, dass im Januar 2021 deutlich weniger Katholiken aus der Kirche austreten wollten: nur vier waren es während des gesamten Monats.
Thomas Frauendienst (57) möchte Taten sehen und keine Worte mehr hören. © Lydia Heuser
Thomas Frauendienst ist in seinem Leben schon mehrfach getauft worden. Einmal sei es eine Nottaufe gewesen, als er mit einer schweren Lungenentzündung als Kind im Krankenhaus lag. Er ist Protestant. Trotzdem hat er „große Zweifel an den Institutionsvertretern“. Austreten wolle er dennoch nicht: „Ich bin der Stachel im Fleisch.“
Er fordert Taten, was die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den Kirchen angeht. „Die Gutachten sind doch nur Nebelkerzen.“ Für die Opfer müsse mehr getan werden. Die Akten, die Missbrauch belegen können, dürfen seiner Meinung nach nie mehr vernichtet werden können. Taten, wie die, die er selbst erlebt hat, dürften nicht verjähren. „Der Pfarrer muss im Genick spüren, dass da was folgen kann.“
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