Die Ermittlungen sind eingestellt. Ergebnislos, was mögliche weitere Verfahren vor Gericht angeht. Seit Mitte Juni ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft zu einer Massenschlägerei zwischen Syrern und Libanesen in Essen. Jetzt wurde bekannt, dass man keinem der 169 Menschen überwiegend libanesischer Abstammung, die vor und in einem syrischen Lokal aufliefen und zum Teil randalierten, einen hinreichenden Tatverdacht unterbreiten konnte. Was sagt das nun aus über die Massenschlägerei von Castrop-Rauxel, die sich etwa eine Woche zuvor zugetragen hatte und Auslöser der Essener Ausschreitungen war?
Nach einem Bericht der WAZ in Essen habe niemandem der Beteiligten an den Essener Vorfällen mit der erforderlichen Sicherheit eine Tatbeteiligung nachgewiesen werden können. Das geht demnach aus einem schriftlichen Bericht des NRW-Innenministers für eine Landtags-Ausschusssitzung an diesem Donnerstag (19.10.2023) hervor, der der „Funke Mediengruppe“ vorliegt.
Die gewalttätige Auseinandersetzung mitten in der Essener Innenstadt war aus einem syrisch-libanesischen Familienstreit in Castrop-Rauxel entstanden, der ebenso wie das, was folgte, bundesweit Schlagzeilen machte. Zahlreiche Videos, auch Aufzeichnungen von Polizei-Bodycams wurden ausgewertet. Aber wegen der „äußerst schlechten Qualität“ habe man keine Personen identifizieren können, heißt es in dem Bericht. Daran habe auch eine technische Aufarbeitung durch das Landeskriminalamt nichts geändert.
Und wie ist das im Ermittlungsverfahren zu Castrop-Rauxel? „Die Ermittlungen dauern an“, sagt Oberstaatsanwalt Carsten Dombert. Es sei hier aber anders als Essen: „Die Verfahren sind nicht identisch, jeder Sachverhalt ist einer für sich. Darum dauert es noch“, erklärte der Dortmunder auf Nachfrage unserer Redaktion am Mittwoch.
„Nicht wie eine Mathe-Aufgabe“
Solche Ermittlungen seien „nicht wie eine mathematische Aufgabe“. Man habe hier eine Vielzahl von Personalien festgestellt, die nicht nur anhand von Videos zu sehen seien, sondern am Tag der Massenschlägerei selbst in Teilen schon erkennungsdienstlich erfasst wurden: Auf dem benachbarten Parkplatz bei K+K an der Wartburgstraße wurden Tatbeteiligte und Zeugen eingekesselt, fotografiert und ihre Personalien aufgenommen.
Auch einen Abend später, als sich rund 100 Personen aus der libanesischstämmigen Familie auf einem Firmengelände an der Wittener Straße in Merklinde trafen, war die Polizei vor Ort: Personen und Autos wurden durchsucht. Dabei wurden auch Waffen gefunden.
„Diese Beschuldigten und Zeugen wohnen teilweise übers ganze Bundesgebiet verteilt“, so Carsten Dombert jetzt. Beispielhaft nennt er Rheinland-Pfalz, Berlin und Bremen als Wohnorte bzw. Bundesländer, aus denen sie nach Castrop-Rauxel kamen, um einen Streit unter Kindern gemeinsam auf ihre Weise zu regeln. „Allein das, sie alle zu verhören, kostet viel Zeit“, so Dombert.
Hieß es bisher, es gebe ein weit verbreitetes Schweigen unter denen, die dabei waren, sei es nun „mal so, mal so“, sagt der Oberstaatsanwalt. Auch Videoaufnahmen in höherer Auflösung von den Straftaten gegen andere und Polizeibeamte stünden zur Verfügung, die man mit den Personen aber zusammenbringen müsse, um die Taten zur Anklage bringen zu können.
Wie lange das noch dauert, da lässt sich der Staatsanwalt nicht zu einer Aussage hinreißen: „Es gibt keine Deadline. Wir wollen das alles vernünftig über die Bühne bringen“, so Carsten Dombert. Er weiß, dass der Blick aus Öffentlichkeit, Politik und dem Ministerium darauf recht scharf ist: NRW-Innenminister Herbert Reul hatte sich die Aufklärung auf die Fahne geschrieben. Die Massenschlägerei wird immer wieder im Zusammenhang mit den Stichworten kriminelle Großfamilien / Clankriminalität genannt.
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