Dr. Holger Knapp hört auf in der Gemeinschaftspraxis Jasper/Knapp. Er war eine Institution in Ickern, seit über 30 Jahren in der Praxis tätig, und geht nun in der Woche vor Weihnachten in seine letzten Arbeitstage. Wir sprachen mit ihm über seinen Stadtteil, seine Leidenschaft, Corona, seine Pläne und drei kuriose Erlebnisse.
Herr Knapp, Sie erleben Ihre letzten Arbeitstage in Ihrer eigenen Praxis. Seit wann steht der Abschied für Sie fest?
Ich habe sie schon vor vielen Jahren getroffen. Ich wollte immer mit 60 Jahren aufhören. Ich habe in meiner Laufbahn viele Menschen erlebt, die viele Lebensziele auf ihr Rentenalter verschoben, es dann aber nie erlebt haben. Ich möchte zu einem Zeitpunkt meine berufliche Tätigkeit einschränken, wo ich noch fit bin. Ich bin ein Fan von allen möglichen Outdoor-Aktivitäten wie Wandern, Radfahren und Reisen in ferne Länder. Ich weiß aber, dass die körperliche Uhr tickt. Da noch einige Dinge auf meiner Bucket-List stehen, möchte ich frühzeitig genug aufhören, um das noch alles umsetzen zu können.
Haben Sie auch die Nase voll von der Praxis?
Nein, der Beruf macht mir noch große Freude. Aus diesem Grunde hätte ich nicht aufgehört.
Was machen Sie nun konkret?
Ich mache erst einmal eine längere Pause, um einen Schlussstrich zu ziehen. Ich gehe aber nicht in Ruhestand. Ich bin für Anregungen offen, zum Beispiel, wenn ich irgendwo als Impfarzt gebraucht werde. Auch im ehrenamtlichen Bereich kann ich mir gut Tätigkeiten vorstellen.
Eine berufliche Tätigkeit habe ich mir schon zugelegt: Ab März werde ich in einer Kranken- und Rentenversicherung eine gutachterliche Funktion in Teilzeit übernehmen. Dann lasse ich aber die medizinische Verantwortlichkeit hinter mir, das ist eine körperliche und psychische Entlastung. Ich freue mich auf ein ruhigeres Arbeitsfeld.
Ist das denn Ihre Welt? Viele Patienten schätzen Sie ja für Ihre Leidenschaft.
Seit meinem siebten Lebensjahr stand fest, dass ich Arzt werden wollte. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, warum. Aber meine Schulzeit war davon geprägt, einen guten Abiturschnitt zu bekommen, um Medizin studieren zu können. Ich habe dann einen Studienplatz in Düsseldorf und dann in Marburg bekommen.
Der Wunsch, Hausarzt zu werden, hat sich durch Dr. Franz-Josef Jasper ergeben. Er war mein großes Vorbild. Es hat mich sehr geprägt und dazu geführt, dass ich als Student in der Praxis mitgearbeitet habe, um von ihm zu lernen, in seiner Nähe zu sein. Mit 24 Jahren, als ich das zweite Staatsexamen hatte, hab ich den Gemeinschaftsvertrag unterschrieben. Mit 25 Jahren war ich approbierter Arzt, hab in der Praxis ausgeholfen und bin mit 27 Jahren eingestiegen.

Was hat Ihnen besonders gut an Ihrem Job gefallen?
Als Hausarzt betrachtet man eine sehr komplexe Medizin, man hat mit allen Krankheitsbildern zu tun. Man gewinnt eine umfassende Sicht auf den Patienten, sieht Patienten aller Berufsgruppen und Tätigkeiten, Rentner und Kinder. Nach 33 Berufsjahren gibt es viele Patienten, die ich als Baby kennengelernt habe, die nun selbst Kinder haben und die nie einen anderen Arzt als mich hatten. Es bewegt und beglückt mich, Menschen über so lange Jahre zu kennen und ihnen als Arzt zur Seite zu stehen.
Was war besonders schwer für Sie?
Man würde vielleicht erwarten, die Bürokratie und die Regressgefahr, die man als Hausarzt hat. Die haben wir erlebt, es waren aber sachlich zu lösende Probleme. Sie haben mich nicht so beeinträchtigt. Was mir in den immer schwerer fällt, sind die traurigen Patientenschicksale Tag für Tag. Wenn ich Post abarbeite, Krebs-Befunde lese von Patienten, die Jahrzehnte jünger sind als ich, dann fällt mir zunehmend schwer, diese Schicksale zu begleiten.
Ich mache immer mal wieder einen Spaziergang über den Ickerner Friedhof. Ich kann beinahe an jedem zweiten Kreuz stehen bleiben und mir fällt eine Krankengeschichte zu der Person ein. Das belastet mich und ich bin froh, dass ich mit dieser Materie in Zukunft nichts mehr zu tun haben werde.
Wie sind wir durch Corona gekommen und welchen Stellenwert hatte die Pandemie für Sie?
Das war am Anfang als Arzt kaum zu erfassen: Wir dachten, es rolle ein Tsunami auf uns zu, wir müssten uns ducken und sehen, wie wir durch kommen. Als es im Frühjahr hieß, wir müssten bis Juni aushalten, da hab ich gedacht, es könne doch nicht wahr sein, dass das so lange dauert. Da hat uns die Pandemie eines besseren belehrt.
Sie hat den Praxisalltag sehr verändert. Seither sind wir fortwährend mit Corona beschäftigt, mit Impfaktionen, Infekten, für die wir jeden Tag einen Arzt abstellen. Ein sehr ungewöhnliches Arbeiten im „Infektionsraum“, wo es immer um das gleiche geht. Ich hoffe, dass es nun wieder zur Normalität übergeht. Das war sicher das außergewöhnlichste, das ich in der Praxis erlebt habe.
Aber wir sind in Deutschland ganz gut durch die Pandemie gekommen. Die Impfung ist hier entwickelt worden. Wir haben Impfstoffe flächendeckend verbreitet, inzwischen ist die Immunität durch Impfung und Infektion so gut, dass man davon ausgehen kann, dass so verheerende Wirkungen wie am Anfang nicht mehr kommen. Die Stiko hat gerade die Pandemie zur Endemie erklärt. Das ist nicht nur ein Wort, sondern ein entscheidender Unterschied mit Blick auf die vergangenen Jahre. Jeder, der in der Pandemie verstorben ist, ist aber ein Schicksal und nicht wieder gut zu machen.
Könnte es wieder zu einer Pandemie kommen?
Ja, die Fachleute sagen, dass sie jederzeit wieder auftreten kann. Insbesondere fürchten die Virologen den Übergang eines Virus von einem Tier auf den menschlichen Organismus. Aber so lange ich noch lebe, glaube ich, tritt eine solche Pandemie nicht mehr auf.
Ickern und Sie sind untrennbar miteinander verbunden. War das eigentlich von Vorteil für Sie?
Ich bin als Kind zur Marktschule gegangen, war jetzt am Markt beruflich aktiv. Es hat sich alles in diesem kleinen Dunstkreis abgespielt. Der Vorteil: Man kennt die Menschen, man weiß mit ihnen umzugehen. Viele der älteren Patienten kennen mich noch als Kind. Das war gerade am Anfang meiner Berufszeit nicht immer so gut, weil die Vertrauenssituation natürlich eine andere war (lacht). Aber das hat sich inzwischen erledigt.
Wann sieht man Sie zum letzten Mal in Ickern im Dienst?
Am 22.12. Dann habe ich ein paar Tage Urlaub, danach übernimmt mein Nachfolger Christoph Kölker. Er ist seit vier Jahren hier tätig als Facharzt für Allgemeinmedizin.

Wird er ein guter Nachfolger?
Ich wünsche ihm, dass er mit dem gleichen Vertrauen der Patienten konfrontiert ist wie ich es über die vielen Jahre war. Den Patienten wünsche ich, dass dieses Vertrauen weiter eingelöst wird. Davon bin ich aber überzeugt. Für eine gute Nachfolge ist gesorgt, kein Patient muss Sorge haben, dass medizinische Lücken entstehen.
Wir können Sie nicht gehen lassen, ohne dass Sie die drei skurrilsten Erlebnisse in Ihrer Zeit in der Praxis Dr. Knapp verraten...
Okay. Bis heute lache ich darüber, wenn ich an die Frau denke, die mir einen Wurm in die Praxis brachte, den sie nach dem Stuhlgang festgestellt habe. Ob das ein Bandwurm sei? Sie könne das gar nicht nachvollziehen. Ich schickte den Wurm ins Labor und man stellte fest: ein Regenwurm. Wir fragten uns dann, wo die Frau ihr Geschäft wohl verrichtet hatte...
Wir haben oft Stuhlproben eingeschickt, gerade zur Vorsorge. Einem Patienten hatte ich gesagt, er solle eine Stuhlprobe mitbringen. Am Tag der Untersuchung packte er aus seiner großen Tasche ein Einmachglas aus. Der gesammelte Stuhlgang eines ganzen Tages. Wir haben die medizinische Probe dann selbst entnommen...
Das dritte Erlebnis ist nur im Nachhinein lustig: Ich habe eine ältere Patientin betreut, deren Sohn eine Psychose hatte. Bei einem Hausbesuch bei der Dame kam es zu einer blöden Situation: Er ging sehr aufgeregt auf mich zu und wollte mir offensichtlich an die Wäsche. Ich bin aus dem Fenster gesprungen, wir waren zum Glück im Erdgeschoss, und habe das Weite gesucht.
Ansonsten könnte man Bücher schreiben über eine Hausarzt-Tätigkeit in 33 Jahren.
Zeit dazu hätten Sie ja demnächst... Alles Gute und Glückauf!
Danke. Ihnen auch.
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