Der große Wahlplakate-Check zur Bundestagswahl

Bundestagswahl

Christian Jäger ist Kommunikationsberater und coacht Politiker. Er bewertet die Plakate der Bundeskandidaten im Wahlkreis 121. Der Experte vermisst Kreativität und klare Aussagen.

Waltrop, Recklinghausen, Castrop-Rauxel

, 10.09.2021, 20:05 Uhr / Lesedauer: 4 min
Kommunikationsberater Christian Jäger hat die Wahlplakate unter die Lupe genommen.

Kommunikationsberater Christian Jäger hat die Wahlplakate unter die Lupe genommen. © privat

Mit den Wahlplakaten ist es wie mit Spekulatius im Spätsommer, meint Christian Jäger: Wenn sie da sind, regen sich die Leute darüber auf, dass sie da sind. Aber wehe, wenn wir nicht Wochen vor einer Wahl in Politiker-Gesichter schauen und wenn man nicht bereits Monate vor Weihnachten das genannte Gebäck im Supermarkt kaufen kann.

Der Kommunikationstrainer und Politikberater ist sich sicher: „Über Wahlplakate wird gesprochen.“ Und natürlich möchten die Politiker, dass ihre Werbung wahrgenommen wird – auch wenn sie vor jeder Wahl uns glauben machen wollen, dass sie ja nicht plakatieren müssten . . . Ja, wenn da bloß nicht der Mitbewerber wäre. Jäger: „Eine große Koalition für den Verzicht auf Wahlplakate kann ich nicht erkennen.“ Er sagt auch: „Über den Ausgang von Wahlen entscheiden allerdings andere Dinge.“

Kandidaten sollten es wie Claus Hipp machen

Nichtsdestotrotz hat er sich die Zeit genommen, um die Wahlplakate der Bundestagskandidatinnen und -kandidaten in Waltrop, Castrop-Rauxel und Recklinghausen (Wahlkreis 121) zu bewerten – und räumt am Ende des Treffens ein: „So richtig was ist nicht hängengeblieben.“ Weder ein markanter und deswegen überzeugender Slogan habe sich ihm eingeprägt noch eine besonders hervorstechende grafische Umsetzung.

Nachvollziehbar sei das für ihn nicht: „Gerade Kandidaten müssen klare, verständliche und wiedererkennbare Botschaften aussenden, wofür sie stehen und woran sie sich messen lassen.“ Jäger erinnert an die Kampagne von Hipp: „Da sagt Firmengründer Claus Hipp: ,Dafür stehe ich mit meinem Namen.‘ Wofür die Kandidaten in Waltrop stehen, ist leider nur im Ansatz erkennbar.“

So hat Christian Jäger die Wahlplakate der Kandidaten bewertet – es sind die der sechs im Bundestag vertretenen Parteien:

Frank Schwabe (SPD)

Optik: „Er soll vermutlich seriös erscheinen, wirkt auf diesem Plakat aber mysteriös – auf Anhieb musste ich an Graf Zahl denken. Die positive Ausstrahlung auf seinen Großplakaten bleibt hier auf der Strecke. Und auch wenn es der SPD nicht gefallen wird - und es auch nicht ihre Absicht gewesen ist: Aber schwarze Männer auf rotem Hintergrund und dicken weißen Lettern hatten wir schon einmal – ist aber lange, lange her.“

Aussage: „Inhaltlich ist das nichts: ,Für Waltrop im Bundestag.‘ Warum soll ich ihn wählen? Wofür steht Frank Schwabe? Was sind seine Ziele? Das ist auf den Großplakaten besser gelöst. Da geht es beispielsweise um Klimaschutz und gegen Korruption.“

Michael Breilmann (l.) und Frank Schwabe

Michael Breilmann (l.) und Frank Schwabe © SYSTEM

Michael Breilmann (CDU)

Optik: „Oha! Das wirkt ja komplett gestellt! Michael Breilmann sieht geradezu so aus, als fühle er sich nicht wohl dabei, fotografiert zu werden. Da spricht eine gewisse Unsicherheit aus ihm. Um gewählt zu werden, ist das keine gute Voraussetzung. Interessant ist bei der CDU: Auf allen Plakaten findet sich das Schwarz-Rot-Gold der deutschen Fahne als wiederkehrendes Element, meist als Halbkreis. Das soll für Schwung stehen oder auch symbolisieren: Du gehörst zu unserem Kreis.“

Aussage: „Da ist nicht viel: Einer von uns – für uns. Damit soll die Karte Lokalkolorit gespielt werden. Und dass sich da einer um uns kümmern und sich für uns einsetzen will. Das erwarte ich aber von jeder Politikerin und jedem Politiker. Auch hier ist völlig unklar, wofür der Kandidat steht und was seine Ziele sind. Auch bei den Großplakaten funktioniert das nicht besser: Da steht er inmitten irgendwelcher Menschen. Aber auch dadurch wird er für mich als Betrachter nicht greifbar, nicht erreichbar.“

Marlies Greve (FDP)

Optik: „Frei und entspannt, wie es der Slogan ,Aus Liebe zur Freiheit‘ suggeriert, sieht sie leider nicht aus. Ich habe den Eindruck, dass sie nicht gern fotografiert wird. Schon bei der Kommunalwahl im letzten Jahr habe ich nicht verstanden, warum die FDP ihre Kandidaten in Schwarz-Weiß zeigt. Zudem ist der Hintergrund verschwommen, sodass ich mich frage: Steht sie in Waltrop oder in Buxtehude? Das Dominanteste ist die knallige Schrift auf gelbem Grund.“

Aussage: „Was soll das bedeuten ,Aus Liebe zur Freiheit‘? Kandidiert Marlies Greve aus Liebe zur Freiheit? Oder soll ich ihr aus Liebe zur Freiheit meine Stimme geben? Das ist ähnlich inhaltsleer wie bei anderen Kandidaten. Zudem fehlt der Hinweis auf die Bundestagswahl, und es gibt auch keinen Verweis auf soziale Medien, wo ich mir weitere Informationen besorgen könnte.“

Marlies Greve (l.) und Nils Stennei

Marlies Greve (l.) und Nils Stennei © SYSTEM

Nils Stennei (Grüne)

Optik: „Ich musste unweigerlich an den Film „Der grüne Bogenschütze“ nach Edgar Wallace denken, als ich dieses Plakat sah. Oder auch an „Hulk“. Auch grüne Soße, die ja in Frankfurt eine Spezialität ist. Warum machen die das? Was ich sehe, ist ein sympathischer Kandidat. Aber wohin blickt er bloß? Was sieht er da, was ich nicht sehe? Warum schaut er mich nicht an? Immerhin ist die Komposition stimmig, die Sonnenblume fehlt nicht.“ Da weiß man, wo man dran ist.“

Aussage: Auf einem anderen Plakat habe ich gelesen: ,Weil Grün mehr als ein Trend ist.‘ Ist ein Trend etwas Schlechtes? Das ist hier besser gelöst. Mit den Schlagworten nachhaltig, ökologisch, sozial kann jeder etwas anfangen. Bei dem Slogan „Bereit, weil Ihr es seid.“ sollte man allerdings bei ,bereit‘ auf keinen Fall ein e überlesen!“

Lutz Wagner (l.) und Uwe Biletzke

Lutz Wagner (l.) und Uwe Biletzke © SYSTEM

Uwe Biletzke (Die Linke)

Optik: „Er wirkt wie der nette Nachbar, der gute Onkel von nebenan. Durch und durch sympathisch und offen. Dagegen kommt das Wahlplakat in seiner Gestaltung insgesamt sehr spartanisch daher. Die rote Fläche dominiert und ist der Partei offensichtlich wichtiger als die Präsentation. Ich finde auch keinen Hinweis darauf, dass er der Bewerber in diesem Wahlkreis ist.“

Aussage: „Als ich den Slogan ,Für ein gutes Leben!‘ las, war ich versucht zu antworten ,Das wünsche ich Ihnen auch!‘ Aber mal im Ernst: Was will er mir damit sagen – oder seine Partei? Würde auf dem Plakat nicht ,Die Linke‘ stehen, ich wüsste nicht, für welche Partei Herr Biletzke kandidiert. Ob er damit Wähler anspricht? Ich habe da meine Zweifel.“

Lutz Wagner (AfD)

Optik: „Puh, dieses Plakat erschlägt mich, es wirkt auf mich völlig überfrachtet. Es ist schlecht konstruiert. Denn unter dem Aspekt, dass ich beim Vorbeifahren ja nur wenige Sekunden habe, um den Inhalt zu erkennen und aufzunehmen, überfordert es mich. Dazu wirkt Herr Wagner merkwürdig unbeteiligt: Da ist kein Ausdruck, keine Dynamik. Das einzig Dynamische auf dem Plakat ist für mich der Pfeil, der ja Aufbruchstimmung vermitteln soll. Und der Hinweis darauf, dass er Direktkandidat ist, ist viel zu klein.“

Aussage: „Das ist ein schöner Begriff: Koalitionslotto. Hat er sich das ausgedacht? Als Ganzes ist die Aussage natürlich nicht so richtig griffig: ,Konstruktive Opposition statt Koalitionslotto‘. Da muss ich beim Lesen ja mehrfach Luft holen. Und was soll ich mit dem Slogan ,Deutschland. Aber normal.‘ anfangen? Bin ich nicht normal, wenn ich die AfD wähle? Ich denke, doch nicht.“