
© Helmut Kaczmarek
Demos, Mahnwachen, „Spaziergänge“: Ignoranz muss man nicht akzeptieren
Meinung
Sie pochen auf persönliche Freiheit und die freiheitliche Grundordnung Deutschlands. Aber viele Menschen, die demonstrieren, halten sich selbst nicht an gesellschaftliche Grundsätze, meint unser Autor.
Vorweg: Wenn in einer Stadt mit 74.000 Einwohnern 50 auf die Straße gehen, um zu demonstrieren – ist das dann viel, wenig oder gar nicht erst der Rede wert? Insofern überlegen wir im Redaktionsteam jeden Tag aufs Neue, was und wie wir berichten über die Vorgänge an den Montagabenden in Castrop-Rauxel.
Aber nun zum Kern der Sache, auch in dem Wissen, dass viele, die da mitmachen, sich auch von diesem Kommentar nicht belehren lassen. Und doch: Viele derer, die bei den „Spaziergängen“ am Reiterbrunnen oder bei den beiden Autokorsos durch die Stadt mitmachen, denken einfach nicht weit genug.
Es gab schon sonderbare Demos in Castrop-Rauxel in den vergangenen Jahren: Die paar Mahnwachen von Fridays gegen Altersarmut Anfang 2020 mit ihren rund 50 Teilnehmern hatten etwas seltsames an sich, ebenso wie die Gegenkundgebung damals. Vereinzelte Mahnwachen für den Frieden oder Ein-Mann-Alleingänge mit Anti-US-Plakaten sorgten kaum für Aufmerksamkeit in der Altstadt.
Die „Fridays for Future“-Demos wurden wegen vermeintlicher Schul-Schwänzerei kritisiert, brachten sie doch zum Teil Hunderte „besorgter Kleinbürger“ auf die Straßen statt in die Schulbank: Schüler, die Angst haben vor Klimawandel und Artensterben.
Es ist gemeinhin gut, dass es diese Demos gibt. Es braucht eine Gesellschaft, sie auszuhalten, auch wenn man mit ihren Forderungen nicht d‘accord geht.
Wer sollte gegen die Rettung des Planeten Erde oder gegen Frieden überall auf der Welt etwas einzuwenden haben? Da ist die Gesellschaft nicht allzu gespalten, würde man sie gezielt befragen.
Die pandemische Gefahr kleinzureden oder mit Rechtsextremen gemeinsame Sache zu machen, wie es Fridays gegen Altersarmut unterstellt wurde, hat aber eine andere Qualität.
Querdenker, Wutbürger, Corona-Skeptiker oder -Leugner: Diese Begriffe werden in einem Atemzug mit dieser viel zitierten Spaltung genannt. Menschen, die wissenschaftlich ermittelte Erkenntnis nicht anerkennen, weil es einzelne gibt, die etwas anderes behaupten. Bei allem Respekt vor der Meinungsfreiheit, die wirklich jedem zustehen muss: Das hat mit Meinung gar nichts zu tun. Es ist Ignoranz einer Faktenlage (deren Problem es ist, dass sie sich gerade erst sukzessive ausbildet und manchmal auch verändert).
Diese Ignoranz muss man nicht akzeptieren. Auch in Deutschland nicht, einem der freiesten Länder der Welt. Darum ist es nur richtig, dass die Polizei dagegen gemäßigt vorgeht. Bevor es vielleicht noch eskaliert.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
