Das letzte Amen in der Petrikirche Wie Fußballer schwören sich Pfarrer auf den letzten Akt ein

Entwidmet! 300 Menschen beim letzten Amen in der Petrikirche
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Als die letzte Glocke verklingt, bilden sie einen Kreis: die Pfarrer Sven Teschner und Dominik Kemper, die Superintendentin Claudia Reifenberger, Diakon Robin Auverkamp, dazu Angehörige des Presbyteriums. Sie stellen sich zusammen wie eine Fußballmannschaft vor dem Anpfiff, die sich einschwört. Sie rufen sich nichts zu, sie stimmen sich mit einem Gebet ein an diesem Sonntag um 15 Uhr. Ganz ruhig. Aber auch rührselig. Der letzte Gottesdienst in der Petrikirche von Habinghorst. Der allerletzte. 112 Jahre Geschichte endeten am 12.11.2023.

Die Kirche ist voll, rund 300 Menschen sind da. So viele kommen sonst nur zu Weihnachten und zur Konfirmation. Das sind gerade mal zwei Gottesdienste im Jahr. Zwei in 365 Tagen. „Hilf uns, bei allem Abschiedsschmerz nach vorne zu gucken“, sagt Teschner im Pfarrers-Kreis. „Dass du da bist, uns begleitest, uns dabei hilfst, Gemeinde für die Welt zu sein“, betet er. „Dabei ist der Ort letztendlich unerheblich, das Gebäude nicht wichtig. So segne unser Tun heute, tröste die Menschen, die traurig sind und gib uns Kraft. Amen.“

Dominik Kemper, Robin Auverkamp, Sven Teschner, Claudia Reifenberger und Mitglieder des Presbyteriums schwören sich vor dem letzten Gottesdienst in der Petrikirche ein.
Dominik Kemper, Robin Auverkamp, Sven Teschner, Claudia Reifenberger und Mitglieder des Presbyteriums schwören sich vor dem letzten Gottesdienst in der Petrikirche ein. © Tobias Weckenbrock

Die Orgel erklingt, als sie von hinten in die Kirche einziehen. Erst leise, später laut: „I did it my way“ ist zu hören. Ein weltlicher Song, der vielleicht auch symbolisiert, was dann kommt: Das Kirchengebäude soll erhalten bleiben, einen weltlichen Zweck erfüllen. Welchen, ist unbekannt. Aber der Investor, der am Kauf des gesamten Geländes inklusive Petrikirche interessiert sei, sagen Gemeinde-Vorstände aus dem Presbyterium, hätte einen Plan mit dem 112 Jahre alten Bau, der nicht Abriss heißt.

Vorstellbar wäre vieles, das spürt man hier. Am nächsten dran wäre die Nutzung als Konzerthalle. Die Akustik durch den hohen Raum wäre außerordentlich. Aber unter der hohen Decke liegt auch das zentrale Problem: Das Dach ist nicht mehr dicht. Ein Gutachten im Jahr 2011 ergab einen Sanierungsaufwand von 750.000 Euro.

Das Ende der Petrikirche an der Wartburgstraße in Habinghorst: Sonntag ist die Gemeinde während des Gottesdienstes ausgezogen. Es war der letzte nach 112 Jahren.
Das Ende der Petrikirche an der Wartburgstraße in Habinghorst: Sonntag ist die Gemeinde während des Gottesdienstes ausgezogen. Es war der letzte nach 112 Jahren. © Tobias Weckenbrock

Darauf geht Pfarrer Teschner, der mit seiner Familie das Pfarrhaus verlassen musste, in einer Rede vom Ambo aus ein. Als „My way“ verklungen ist, sagt er: „Seit 1911 hat sich unsere Gemeinde hier in der Petrikirche versammelt. Heute tun wir das zum letzten Mal. Das fällt schwer. Auch unserem Presbyterium ist diese Entscheidung schwergefallen.“ Dürfe man so ein stadtbildprägendes Gebäude aufgeben? Das auf der einen Seite. Auf der anderen: Ist es richtig, für die Sanierung eines so wenig ausgelasteten Gebäudes 1 Million Euro auszugeben?“

„Wir haben uns zur Aufgabe entschieden, weil eine so große Kirche an diesem Standort – und das gehört auch zur Wahrheit dazu – weder gebraucht wird noch finanzierbar ist“, so Pfarrer Teschner. Generationen hätten die Petrikirche aufgesucht. Sie hätten gebetet, geklagt, Trost gefunden, Hoffnung geschöpft und gefeiert.

Pfarrer Sven Teschner sprach zu den rund 300 Gästen des Gottesdienstes. Wäre es jeden Sonntag so voll gewesen, hätte man sich vermutlich nicht von der Kirche getrennt.
Pfarrer Sven Teschner sprach zu den rund 300 Gästen des Gottesdienstes. Wäre es jeden Sonntag so voll gewesen, hätte man sich vermutlich nicht von der Kirche getrennt. © Tobias Weckenbrock

Jetzt, so Teschner, schaue man nach vorne: „Auf die Standorte und Kirchen, die uns bleiben.“ Er selbst zieht um, wird sich wohl in erster Linie in der Erlöserkirche Henrichenburg am Altar einbringen. Die Gemeinde zog am Sonntag auch um: Nach halbem Gottesdienst mit Chor und Frank Ronge an der Gitarre wechselte man das Gebäude. In der Christuskirche Ickern ging es mit dem Abendmahl weiter, dann gab es eine Feier im Lutherhaus.

Auf der Chorbühne verdrückte schon zu Beginn eine der Sängerinnen eine Träne, nachdem ihre letzte Silbe verklungen war: „Gib mir die richtigen Worte, gib mir den richtigen Ton“, sangen die knapp 30 Frauen und Männer. „Wunden zu finden und sie zu verbinden: Gib mir die Worte dafür.“ Wenig später erklingt das letzte Amen.

Die Bänke im Innenraum unten waren voll. Die extra gedruckten Gesangshefte reichten nicht ganz aus.
Die Bänke im Innenraum unten waren voll. Die extra gedruckten Gesangshefte reichten nicht ganz aus. © Tobias Weckenbrock

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