Es ist ein herbstlicher Mittwochvormittag Anfang November in Habinghorst: Die Sonne scheint, aber zum Nachmittag hin kündigt sich Regen an. Herbstregen. Tränen des Himmels? Wenn man an diesem Ort steht, könnte das sein. Der Kirchturm ragt in die Wolken, oben an der Spitze der stolze Wetterhahn. Habinghorst, bewegter Stadtteil im Norden von Castrop-Rauxel, verliert in dieser Zeit ein Stück Geschichte.
112 Jahre ist das Gemäuer alt, vor dem wir stehen. Zumindest Teile davon, denn die Bomben des Krieges rissen einen Gutteil davon mit. Die Petrikirche, nach 1945 wieder aufgebaut, war 1910 ein Projekt des damaligen Aufschwungs. Als Tausende Protestanten aus dem Osten ins Ruhrgebiet zogen, um in der Teerdestillation oder auf der Zeche zu schaffen. Die Zeit der Petrikirche, zumindest als Kirche, geht am 12. November 2023 zu Ende. Sie wird entwidmet, verkauft – und wenn es gut läuft für viele der Menschen aus ihrem Umfeld, dann wird sie saniert, erhalten und neu genutzt.
Die Zukunft ist offen, auch wenn es zurzeit wohl gut aussieht in den Verkaufsgesprächen: Der Investor, sagt man, wolle sie nicht abreißen, sondern eher umbauen und wieder mit mehr Leben füllen. Aber an diesem Mittwochvormittag, da steht auch nicht die Zukunft im Fokus. Wir treffen Ute Krapp (65), Gisela Fuchs (86) und Thomas Nießen (43). Drei Generationen, die eine innige Beziehung zu dieser Kirche haben. Pfarrer Sven Teschner, der bis vor wenigen Tagen im Pfarrhaus wohnte und mit seiner Familie ausziehen musste, organisierte die drei.
Ute Krapp, Habinghorsterin, ist seit 2022 Mitglied im Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Castrop-Rauxel-Nord. Schon seit 2015 ist sie in der Gemeinde aktiv. Als ihr Mann starb, war sie auf der Suche nach einer Aufgabe. „Ich war früher in der Gemeinde Schwerin-Frohlinde aktiv. Aber ich habe nach dem Tod über die Kirche den Weg ins Leben zurückgefunden. Das hat hier funktioniert“, sagt sie. Sie hat einen Schlüssel für die Kirche. Sie weiß, wo was steht. Und wenn sie was umstellt, dann ist das richtig so.

Gisela Fuchs, die nach eigener Aussage die Kirche seit 77 Jahren kennt. In Ickern geboren, 1946 nach dem Krieg nach Rauxel gezogen. Bei Pfarrer Rohlfink den kirchlichen Unterricht in Petri besucht, in Ickern 1951 konfirmiert. Das war in der Kirchstraße, in einem kleinen Kirchgebäude, noch vor dem Bau der Christuskirche, die bald auch ihr neues geistliches Zuhause sein wird. In der Christuskirche heiratete sie ihren Armin 1963. Dann zogen sie nach Habinghorst um. „Nun mach ich den Umzug rückwärts“, sagt sie, „60 Jahre später.“ Es ist zehn Jahre nach ihrer Goldenen Hochzeit 2013, als Pfarrer Teschner in der Petrikirche mit ihnen feierte. Ihr Mann starb 2019. Er war Presbyter. Er war Küster. „Dein Armin hat hier in der Kirche gelebt“, wirft Ute Krapp von der Seite ein.
Sie sitzt am Tisch neben Fuchs. Sie kennen sich gut. Weil sie zu dem aktiven Kreis der Leute zählt, die hier noch was bewegen. Es gab zuletzt Gottesdienste, zu denen kamen acht Leute. In der Regel seien es vielleicht 20, maximal 30. Für die eine Kirche wie diese erhalten? Mit Bänken für Hunderte? Wirtschaftlicher Unsinn.

So ähnlich betrachtet das Thomas Nießen (43), Presbyter seit 2014, Finanzkirchmeister. Er ist hier aufgewachsen, nebenan im Pfarrhaus. Erst sein Opa, dann sein Vater: Sie waren die Pfarrer der Petrikirche. Bis 1995, als sein Vater in Ruhestand ging. Da war er 15. Da zogen sie um nach Merklinde. Später zog er zurück nach Habinghorst. Heiratete, bekam zwei Kinder.
Die Kirche war im Zentrum seiner Kindheit: Er spielte hier, wenn die Eltern etwas vorbereiteten. Die Halle mit der beeindruckenden Kuppel, den Emporen rechts wie links mit den vielen Holzbänken, sie war auch sein Haus. Es gab eine Phase, da war er nicht so eng mit der Kirche verbunden, sagt er. Bis 2008 seine Tochter Emily geboren wurde und 2010 sein Sohn Felix. Über Geburt und Taufe sei er dem Glauben wieder näher gekommen. Dann wurde er angesprochen: 2013 holte ihn seine Mutter in den Kirchenchor. Sie war lange Jahre Organistin. 2014 wurde er als Presbyter nachberufen. Bei der nächsten Wahl wurde er bestätigt.

Nicht alle, sagt Nießen, liebten dieses Gebäude, dem 2011 ein Sanierungsaufwand von 750.000 Euro bescheinigt wurde. Das Dach ist wohl das größte Problem. „Manche bezeichnen die Kirche als hässlich“, wirft er ein, vor allem das umstrittene Altarbild mit den Malereien, die biblische Szenen der Leidensgeschichte Jesu zeigen. „Aber ich war hier zu Hause. Es ist ja oft schwierig, den Kontakt zu Gott zu bekommen“, sagt er, „aber in dieser Umgebung ist er sofort da.“
Durch Corona sei Ute Krapp richtig durchgestartet. Sie baute einen Bibelgarten auf, öffnete mit anderen einmal in der Woche die Kirche. „Und die Leute sind gekommen. Mehr, als zu der Zeit, als wieder alles auf war. Wir hatten das Haus voll. Seitdem war es meine Kirche“, sagt sie.
„Selbst wenn wir 1,5 Millionen hätten...“
Und nach Corona? Es hieß, es gebe kein Kirchcafé mehr. Keines dieser Treffen nach dem Gottesdienst mehr. „Ich habe gesagt: Es geht doch nicht, dass es nichts mehr gibt. Ich habe gesagt, wir machen das Kirchcafé hier wieder auf. Seither hab ich es gemacht. Sie bauten den Vorraum aus und um, hatten über den Winter dort Gottesdienst und Kirchcafé. „Das war eine schöne Atmosphäre, viel schöner als in der großen Kirche“, meint Ute Krapp. „Meinen Glauben kann ich auch in Ickern ausleben. Aber das hier“, sagt sie, „ist ein Stück meins geworden. Das gehört ein Stück mir.“
„Selbst wenn wir 1,5 Millionen Euro einfach so hätten: Ist es sinnvoll, hier zu investieren, wenn die Leute nicht kommen?“ Nur zur Konfirmation und zu Weihnachten ist die Kirche voll. Drei oder vier Stunden in einem ganzen Jahr. Dafür ein solches Gebäude unterhalten? Thomas Nießen hängt mit dem Herz an der Kirche, aber der Verstand sagt: Loslassen! So ist eine Doppelseite im „Emscherkreuz“, dem Gemeindemagazin, überschrieben, auf der er über den Abschied und das Ende der Petrikirche geschrieben hat. Nach dem Zusammenschluss der Gemeinden im Norden 2020 sei spätestens klar gewesen, dass es Petri treffen würde. Es konnte nur diese eine Entscheidung geben.

Viele, so sagen alle drei, sprächen davon, man müsse Denkmalschutz auf das Gebäude erwirken. Aber wozu? Ja, es hat einen bau- und stadtgeschichtlichen Hintergrund, der mit der Entwicklung der Industrieregion eng verknüpft ist. Aber ein Denkmalschutz, der würde den Verkauf nur schwieriger machen, meint Nießen. So hat man die Hoffnung, dass wenigstens das Gebäude bleibt.
Ute Krapp erzählt: „Mein Enkelkind wurde hier getauft. Es war wunderschön in der Seitenkapelle.“ Wir gehen hin. Das Licht fällt schwach, aber bunt durch die farbenfrohen, die mächtigen und kunstvollen Fenster. „Einfach wunderschön. Selbst meine Tochter, die nicht so eng mit der Kirche verbunden ist, fand es toll.“
Sie kommt deshalb am Wochenende wieder, weil dieser Ort auch für sie besonders wurde. Da ist der Entwidmungs-Gottesdienst, am Sonntag um 15 Uhr. Die Gemeinde wird während des Gottesdienstes mit der Osterkerze und der Bibel ausziehen, in den Bus steigen, nach Ickern fahren und den Gottesdienst in der Christuskirche mit dem Abendmahl zu Ende feiern. Symbolischer geht es nicht.
„Ich weiß nicht, ob ich Sonntag komme“, sagt Gisela Fuchs. „Ich bin seelisch fertig. Den ganzen Tag denke ich daran, ob ich es kann.“ Ute Krapp sagt: „Ich weiß auch noch nicht, wie es mir da gehen wird. Aber ich hol dich ab. Und ich fahr dich zurück.“
„Für mich ein Stück Trauerarbeit.“
Ute Krapp und Thomas Nießen: Sie werden die Kirche am Sonntag abschließen. So gegen 4 Uhr, wenn der Tross im Bus sitzt. Sie werden sie vermissen. „Ich denke, ich werde in Zukunft in die Erlöserkirche gehen“, sagt Ute Krapp. Aber so genau weiß sie das noch nicht. Das ist die Gemeindekirche in Henrichenburg. In ihr wird Pfarrer Sven Teschner die Gottesdienste in der Regel feiern. „Aber erst einmal mach ich das hier zu Ende.“ Ute Krapp, Thomas Nießen und andere haben eine Abschiedswoche kreiert. Verschiedene Veranstaltungen sind gelaufen. „Es war schön. Es war auch voll“, erzählt Ute Krapp. „Diese Woche ist für mich ein Stück Trauerarbeit.“