Dutzende Menschen klatschen bei Corona-Demo für kündigende Krankenschwester

Dutzende Menschen klatschen bei Corona-Demo für kündigende Krankenschwester

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60 Minuten spazierten sie durch die Altstadt: 70 Menschen verschiedenen Alters, keine Kinder, ein Hund, vier Musikanlagen. Drei Männer vom Ordnungsamt, sechs von der Polizei. Und wir.

Castrop

, 17.01.2022, 21:31 Uhr

Ein Facebook-Kommentar mit einem Video des sogenannten Narrhallamarsches, gepostet zu unserer redaktionellen Ankündigung einer Demonstration in der Castroper Altstadt. Beschreibt er angemessen, was hier von 19.15 bis 20.30 Uhr passiert?

Oder hat das Karnevals-Ufftata nichts mit der Demonstration derer zu tun, die gegen Impfungen, gegen Corona-Maßnahmen, gegen eine Einschränkung der Grundrechte für eine Erkältungskrankheit durch die Straßen ziehen? Gut, die Demonstranten sind ein bisschen verkleidet an diesem milden Montagabend, mit Warnwesten, auf denen Meinungsäußerungen und Sprüche stehen. Sie tragen Lichterketten um den Hals oder LED-Stumpenkerzen in der Hand. Aber sie sind keine Narren.

Wir sind am Montagabend mitgegangen und haben reingehört.

Wir stellen fest: Es wird gar nicht so viel geredet, zumindest nicht politisch, nicht in der Sache. Ja, es geht in Zwiegesprächen auch um Corona-Maßnahmen, Schnelltests und geschlossene Bars irgendwo in Europa. Aber das ist hier gar nicht anders als in anderen Grüppchen: Jeder redet doch über Corona, es sei denn, er nimmt sich bewusst vor, gerade mal nicht über Corona zu sprechen.

Erstmals eine angemeldete Versammlung

Um 19.15 Uhr versammeln sich rund 70 Personen, die Polizei spricht am Ende von 80, am Reiterbrunnen in der Castroper Altstadt. Ein halbes Dutzend trägt gelbe Warnwesten. Sie sind Ordner und die zwei Frauen um die 40, die diese Demonstration angemeldet haben. Zum ersten Mal angemeldet in den sieben Wochen, seit sie auf die Straße gehen

„Das ist sicherer“, sagt eine der beiden. Denn in der vergangenen Woche noch stellte die Polizei persönliche Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen gegen fünf Teilnehmer. Und gegen unbekannt erstattet sie seit Wochen stets Strafanzeige wegen einer unangemeldeten Versammlung. Denn die ist nicht erlaubt.

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Was hier heute Abend passiert ist erlaubt: Es ist eine Meinungskundgebung, auch wenn sie nicht jeder hören will. In den Häusern, an denen die Gruppe, begleitet von zwei Mannschaftswagen der Polizei, vorbeizieht, gehen Jalousien hoch, manche krachen herunter. Eine Frau filmt aus dem 1. OG ihrer Wohnung heraus. Andere schauen einfach neugierig heraus und sehen stumpf zu.

An der Oberen Münsterstraße neben der Dönerbude steht einer, der sagt „Sauber!“ zu einer derer, die mitziehen: „Kommt doch mit!“ ruft sie ihm freundlich zu. „Nee, ich muss hier warten“, sagt der Mann und winkt ab.

Ist das so lustig wie ein Mottowagen im Karnevalszug, wenn ein schiebender Radfahrer mit Grableuchte am Lenker „Ziviler Ungehorsam“ auf einem Fähnchen am Gepäckträger stehen hat? Ist es zum Lachen, wenn eine Frau ein Transparent auf dem Rücken trägt mit der Aufschrift: „Wir kämpfen für die Freiheit und Rechte unserer Kinder!“? Wer würde schon sagen, dass man diese Forderung nicht unterstützt? Nur die Freiheit, die definieren die einen so und die anderen so…

Sie meint, sie sei kein Sklave des Systems

Eine Frau hat auf der Handtasche ein Blatt einlaminiert mit dem Slogan: „Ungeimpft! Kein Sklave des Systems.“ Ein Mann mit der lautesten Musikanlage ganz vorne im Zug, die er auf einer Sackkarre hinter sich herzieht, hat hinten auf der Warnweste geschrieben: „Weltweite Lüge beenden.“ Und ein jüngerer Mann, der in der Mitte mitläuft, kritzelte „Bürger Denk Nach“ auf seine Weste. Alles erlaubt, denn es ist eine angemeldete Demo. Alles im Rahmen, denn es geht gesittet zu.

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So geht es erst durch Münsterstraße und Widumer Straße zum Altstadtring, linksrum die Bochumer Straße rauf und am ASG vorbei zur Wittener Straße hoch, dann den Biesenkamp runter und die Obere Münsterstraße rauf zur Zeppelinstraße, dort links bis zum Altstadtring, am Engelsburgplatz um die Ecke auf die Ringstraße, die Kolpingstraße runter auf die Thomasstraße, über den Bahnübergang an der Dortmunder Straße zurück in die Altstadt, links in die Wittener, die Glückaufstraße und dann über den Viehmarkt zurück auf den Marktplatz.

Die Teilnehmer sind ein Abbild der Gesellschaft: Die Jüngsten Ende 20, die Ältesten Ende 70, eine Frau auf einem E-Mobil, ein Mann mit Hund, einer schiebt sein Fahrrad, eine Frau mit selbstgestrickter Wollmütze, Eheleute Hand in Hand. Es ist weniger laut und fröhlich als der Karneval. Aber es ist auch nicht bitter oder böse. Vorne die Polizei, hinten das Ordnungsamt: Das immerhin ähnelt stark den „Kundgebungen“ mit Helau und Alaaf.

Die Corona-Demo am 17.1.2022 durch die Castroper Altstadt.

Die Corona-Demo am 17.1.2022 durch die Castroper Altstadt.

Hier ist es ruhiger. Erst zum Ende wird es noch mal laut, als „Oh, wie ist das schön“ aus einem der Lautsprecher ertönt und alle sich wieder am Reiterbrunnen sammeln. 20.15 Uhr, die Anmelderin der Demo erhebt das Wort übers Mikro: Sie spricht davon, dass sie zufrieden sei mit der Resonanz, dass sicher 90 Prozent aus Castrop-Rauxel kämen und eben keine Demo-Touristen seien. Dass an diesem Abend in mehr als 200 von 380 Städten in NRW solche Spaziergänge liefen und man ja mal hochrechnen könne, wie viele Menschen insgesamt auf die Straßen gehen. Nicht wenig, findet sie. So viel aber auch nicht, hört man da zwischen den Zeilen heraus.

Krankenschwester a.D.: „Ich werde auch nicht wieder anfangen!“

Dann lädt sie andere zum Reden ein. Eine Frau mit aufgespanntem Regenschirm, dessen Saum eine Lichterkette schmückt, folgt dieser Einladung. Sie spricht erst ruhig, in Summe nur 30 Sekunden: Sie sei Krankenschwester, habe ihre Arbeit seit dem 1.12. niedergelegt.

„Ich werde auch nicht wieder anfangen. Ich bin enttäuscht von dem, was die Politik uns vorgelogen hat. Ich bin gegen alles Mögliche geimpft. Aber diese Impfungen in Anführungsstrichen werde ich meinem Körper nicht zufügen. Und dass man uns dazu zwingen will, das schlägt dem Fass den Boden aus. Da mache ich nicht mit. Und ich bin von meinen Kollegen enttäuscht, die das auch nicht gut finden, aber einfach mitmachen, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren.“

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Dann wird sie aufbrausend: „Und die Bevölkerung kommt nicht aus dem Quark, auch auf die Straße zu gehen, für die Freiheit, für ihre Rechte.“ Applaus. „Und für diese Menschen mag ich nicht mehr am Krankenbett stehen.“ Viel Applaus.

„Wenn es bei jeder Aktion heißt, wir seien Antisemiten...“

Nun brüllt einer etwas von Lügenpresse in die Menge, wird kurz zur Raison gerufen. Dennoch nimmt die Anmelderin das Thema auf: „Da müssen wir uns nichts vormachen“, sagt sie, „das ist auch unserer Presse geschuldet. Wenn bei jeder Aktion, die wir in Castrop, im Kreis, in NRW durchführen, das Totschlagargument kommt, wir seien rechts, wir seien Antisemiten, wir hätten eventuell Neonazis in unseren Reihen... Ich kann das nicht einmal zu 100 Prozent von uns schieben, ich weiß nicht, was ihr alle für eine Gesinnung habt. Das steht uns nicht auf die Stirn geschrieben. Nichts desto trotz: Wenn ich zu einer Veranstaltung gehe, kann ich immer nur für das Motto laufen. Ich weiß nicht, wer an meiner Seite läuft. Ich habe natürlich den guten Glauben daran, dass ihr alle in die gleiche Richtung marschiert wie ich. Äh, spaziert. Sollten hier wirklich Menschen sein, die rechtsextrem sind, dann merkt euch: Wir laufen nicht mit denen, die laufen mit uns.“ Applaus.

Die Corona-Demo am 17.1.2022 durch die Castroper Altstadt.

Die Corona-Demo am 17.1.2022 durch die Castroper Altstadt.

Dann richtet dieselbe Frau mit der schwarzen Lederhose, die während der Demo vorne beim Polizisten mitlief und sich ganz gemütlich mit ihm unterhielt, Worte an die Presse, weil jemand aus der Menge in Richtung unserer Redaktionsräume ruft: „Kommt doch mal runter!“ „Vielleicht“, sagt die Frau, die eine der zwei Anmelderinnen ist, „kommen die Leute von den Ruhr Nachrichten mal runter und ich darf Ihnen Fragen stellen und Ihr beantwortet mir die. Ihr dürft gerne runterkommen und mit dem Finger auf die Leute zeigen, die ihr für Rechts haltet. Lasst uns an euren Erkenntnissen teilhaben. Die Möglichkeit ist immer da.“

„Nächste Woche sind wir wieder hier!“

Es ist 20.30 Uhr: Die Frau erklärt die Versammlung für beendet. Es gibt Applaus. Die Leute gehen ruhig und gesittet nach Hause. Das Durcheinander der vier Musikanlagen ist vorbei: keine Musik mehr, in der es um den Kampf um die Freiheit geht, keine Wortfetzen wie „Corona ist nicht mehr als eine leichte Erkältung“ mehr, keine Remixes der Nationalhymne mehr. Nur ein Aufruf bleibt: „Nächste Woche sind wir wieder hier!“

Bei uns bleibt der Gedanke hängen: Nein, Karneval war das nicht. Es war auch kein Aufmarsch von Neonazis. Es war eine Demonstration von ganz normalen Leuten. Menschen, die die Corona-Frage anders sehen als die große Mehrheit.