Vorsichtig läuft eine Frau rechts am Parkplatz des St.-Rochus-Hopitals in Richtung Technikgebäude auf der Rückseite des Geländes. Hat sie auch wirklich niemand gesehen? Schweiß steht ihr auf der Stirn, sie ist blass, schwach nach der Geburt. In den Armen trägt sie das Kind, dem sie kurz zuvor das Leben schenkte. Ein paar Meter noch, dann steht sie vor dem Babyfenster.
Gleich wird der Alarm die Krankenschwestern rufen. Sie werden den Säugling finden, den die Frau im Fenster abgelegt hat. Sie werden ihn Frederic nennen. Das wird die Mutter nie erfahren. Vielleicht möchte sie es auch gar nicht. Denn Frederic und sie werden getrennte Wege gehen. Für immer.
So oder ähnlich könnte es sich im November 2011 in Castrop-Rauxel abgespielt haben. Damals wurde in das Babyfenster am Castroper Krankenhaus ein Junge eingelegt. Ein wahrer Fakt in einer von uns konstruierten Erzählung. Denn: Die Abgabe der Neugeborenen geschieht bewusst anonym und unbeobachtet von der Öffentlichkeit.
Dieses Babyfenster ist eines von heute etwa 25 in NRW. Und ab 2026 soll es eine zweite Babyklappe am Stadtrand geben: Das Kinderhospiz Sonnenherz von Elisabeth Grümer an der Brandheide erhält eine.

Macht man Müttern die Entscheidung, ein Baby abzugeben, damit zu einfach? Babyklappen und Babyfenster, eine Erfindung nach der Jahrtausendwende, haben inzwischen eine weite Verbreitung in Deutschland. Auch wenn sie eher unterhalb des öffentlichen Radars einfach da sind, und das auch ganz bewusst. Elisabeth Grümer (77) aus Frohlinde will die Babyklappe am Stadtrand schaffen, weil sie vom Leid von Neugeborenen, die tot im Wald oder im Mülleimer gefunden werden, niemals wieder lesen möchte.
Das Babyfenster am Rochus wurde 2008 eingerichtet als Reaktion auf einen schrecklichen Fund eines toten Neugeborenen, das im Castroper Holz abgelegt worden war. Am 24. Januar 2006 war das. Bauarbeiter fanden in einem unwegsamen Waldgelände an der Holthauser Straße eine Babyleiche. Das Mädchen lag im Gestrüpp.
Eine Isotopenanalyse ergab, dass es nach seiner Geburt noch gelebt hatte und erstickt worden war. Ein wissenschaftliches Gutachten ergab, dass die Mutter des Mädchens bis etwa August/September 2005 in Castrop-Rauxel oder Herne gelebt hat.
Baby lebte nur 30 Minuten
Der Säugling lebte nach seiner Geburt wohl maximal 30 Minuten, so die Ermittlungen damals. Am Fundort wurde das Kind mit Blättern erstickt, so das Ergebnis der Obduktion. Für die Ermittlungsbehörden stand fest, dass die Mutter nicht allein am Tatort war, sondern eine weitere Person maßgeblich am Geschehen beteiligt war.
Fieberhaft verfolgte die Mordkommission jeden kleinen Hinweis aus der Bevölkerung. Auf einen in Fundortnähe gesehenen roten Ford-Escort. Auf eine Frau, die in gebückter Haltung in einem Graben beobachtet worden war. Schließlich wurden Leichenspürhunde eingesetzt. Aber die Hoffnung, dass die am Boden gefundenen Blutanhaftungen mit der grausamen Tat zu tun haben könnten, erfüllten sich nicht.
Auch ein Versuch, mit dem Bekanntgeben grausamer Details über die Baby-Leiche womöglich einen entscheidenden Hinweis aus der Bevölkerung oder dem Täterumfeld zu bekommen, schlug damals fehl.
Unter anderem die katholische Kirchengemeinde St. Lambertus ließ das Todes-Drama nicht los. Der Kirchenvorstand entwickelte daraus den Vorschlag zur Babyklappe: Recklinghausen hatte damals schon eine Babytür, Bochum eine Klappe. Unter Chefarzt Dr. Michael Glaßmeyer wurde unter der Bedingung einer geregelten Weiterversorgung eines Neugeborenen das Babyfenster geplant. Dazu waren die Caritas und das Jugendamt mit im Boot. Auch Susanne Bajog vom Arbeitskreis zum Schutz von Ungeborenen war involviert.
Der Ablauf ist so: Nach der Abgabe informiert das Rochus-Hospital umgehend das Jugendamt. Das kümmert sich dann darum, das Kind weiterzuvermitteln. Wie bei Frederic im November 2011, das zweite Kind, das die Krankenschwestern vorfanden. Anders als das erste Kind, das keinen Namen erhielt, weil der Junge nur sehr kurz im Rochus verblieb und dann sehr schnell vom Jugendamt der Stadt an eine Pflegefamilie vermittelt werden konnte.
16 Jahre, drei Babys
16 Jahre später sind es in Summe drei Mütter, die das Babyfenster nutzten. „Sie waren einige Tage alt und unversehrt“, erklärt Krankenhaus-Sprecher Holger Böhm.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 5. Oktober 2024.
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