Castrop-Rauxeler (15) soll abgeschoben werden
Nach Flucht aus Afghanistan
Arian (15) ist in Afghanistan aufgewachsen, die Taliban töteten seinen Vater, er selbst konnte fliehen. Nun wohnt er seit zwei Jahren in Castrop-Rauxel. Ende Mai bekam er einen Abschiebebescheid. Doch seine Klasse und seine Lehrerin stehen hinter ihm und versuchen alles, damit Arian in Deutschland bleiben kann.

Arian bei seinem ersten Tag in Deutschland: Nach zwei Monaten auf der Flucht vor den Taliban ist er in München angekommen.
Arian ist 15 Jahre alt. Seit zwei Jahren wohnt er in Deutschland – bei seinen drei Cousins in Castrop-Rauxel. Er ist einer von vielen Geflüchteten, die in Deutschland Schutz suchen. Und doch sind seine Geschichte und sein Schicksal so einzigartig wie die vieler Geflüchteter. Ganz alleine kam er von Afghanistan nach Deutschland. Ohne Familie, ohne Freunde, ohne Bekannte. Ein Schlepper brachte ihn damals nach Deutschland. Da war Arian gerade einmal 13 Jahre alt.
Weglaufen vor den Taliban
Er wächst in einem kleinen Dorf in Afghanistan auf. In seinem Land herrscht Krieg. Die Taliban töten seinen Vater, weil sie ihn für einen Spion halten. „Dann wollten sie mich töten“, sagt Arian. „Ich bin dann weggelaufen.“ Zehn Tage bleibt er bei seiner Tante, bis ein Schlepper kommt und ihn nach Deutschland bringen will. Seine Mutter hatte ihm das Geld dafür gegeben. Er soll in Sicherheit gebracht werden.
Sein erstes Ziel ist Nimrus, eine afghanische Provinz im Südwesten des Landes. Weiter geht es über Pakistan durch sieben Länder nach Deutschland. „Meine Flucht hat zwei Monate gedauert“, sagt Arian. Seine erste Station in Deutschland ist München. Er gilt hier als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Doch er weiß, dass mindestens ein Cousin von ihm hier lebt. Arian ruft ihn an, fährt nach Castrop-Rauxel, wo der Cousin ihn am Bahnhof in Rauxel in Empfang nimmt.
Ende Mai kam der Abschiedebescheid
Nach zwei Jahren in Deutschland, in denen er sich hier sicher fühlte, sicher vor den Taliban, ist die Angst jetzt zurück. Angst vor der Abschiebung nach Afghanistan, in seine Heimat. Eine Heimat, die ihm nur Krieg, Armut und den Terror der Taliban bietet und vielleicht sogar seinen Tod bedeutet.
Ende Mai, „es war ein Freitag“, sagt Adrian, bekam er den Abschiebungsbescheid. Einfach so. Per Post. „Ich weiß nicht warum“, sagt er. „Arian war an dem Tag in der Schule total durch den Wind“, sagt Lehrerin Mine Caliskan. „Ich wusste sofort, dass etwas mit ihm nicht stimmt.“
Er vertraut sich der Lehrerin an, in der Klasse reden sie darüber. Sein Cousin kennt eine Anwältin, geht sofort mit Arian zu ihr. Sibel Simsek hat in letzter Zeit viele Asylrechts-Fälle bearbeitet, wie sie sagt. „Aber der überrascht, bei der Geschichte“, sagt sie. Sie reicht sofort Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid ein. Zwei Wochen beträgt die Frist dafür. Zwei Wochen, die über die Zukunft eines Menschen entscheiden können.
Nach den Sommerferien in die Regelklasse
Arian geht seit einem Jahr in die Internationale Förderklasse der Willy-Brandt-Gesamtschule (WBG). Mit ihm 22 andere Schüler zwischen elf und 17 Jahren aus der ganzen Welt, vor allem aber aus Syrien, Irak, Afghanistan. Er lernt lesen und schreiben und vor allem die deutsche Sprache.
„Ich fühle mich gut in der Schule“, sagt er. Und er ist gut, lernt sogar so schnell, dass er nach den Sommerferien in die Regelklasse gehen kann. So steht es auch in seinem Zeugnis, das Adrian stolz zeigt. Er ist gut vorbereitet, hat alle Unterlagen in einer Mappe sortiert und abgeheftet. Typisch deutsch irgendwie.
"Ich will einfach hier bleiben"
Ob er nach den Sommerferien noch in Deutschland ist, in die neunte Klasse gehen kann, weiß er nicht. Er muss jetzt warten. Wie lange, das weiß er nicht. Er ist im Schwebezustand. „Der Richter kann entweder nur anhand der Begründung und der Gesetze entscheiden oder mit einer mündlichen Verhandlung“, sagt Sibel Simsek.
In Arians Fall werde es wohl eher eine mündliche Verhandlung geben, weil er noch nicht volljährig ist. „Ohne Verhandlung geht es meist nur, wenn sofort ein ablehnender Asylbescheid ergeht“, so Simsek. Für gewöhnlich kann das alles bis zu einem Jahr dauern. Ein unerträglicher Zustand für Arian. „Ich will einfach hier bleiben“, sagt er. „Weiter zur Schule gehen, studieren und eine gute Zukunft haben.“ Arian hat feste Vorstellungen von seinem Leben. Er will Ingenieur werden und mal eine Familie haben. Aber er will vor allem eins: ein Leben in Sicherheit.
Gründe für die Ablehnung
Zwei Gründe stehen in der Ablehnung des Asylantrags:
- Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan werde für gut befunden.
- Arian sei ein junger, gesunder Mann, der arbeiten könne und mit einem angemessenen Gehalt in Afghanistan über die Runden kommen könne.
Doch Arian ist kein Mann, er ist noch ein Kind, erst 15 Jahre alt. Vor dem deutschen und dem afghanischen Gesetz ist man erst ab der Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig. Sibel Simsek sagt, Arian müsse hier bleiben dürfen. „Er ist eindeutig nicht aus wirtschaftlichen Gründen hier“, sagt Simsek.
Und die Lage in Afghanistan sei für ihn keinesfalls sicher. „Es ist gefährlich zurückzugehen. Wenn ich abgeschoben werde, dann muss ich mit den Taliban sein“, sagt er. „Wenn ich mich ihnen nicht anschließe, werden sie mich töten. Weil ich mein Land verlassen habe.“
Lehrerin: "Wir sind eine Familie"
Arian wohnt zusammen mit seinen drei Cousins – eine echte Männer-WG. Seine Mutter, sein Onkel und seine Tante sind in Afghanistan geblieben. Er hat Kontakt zu ihnen. Ob sie dort sicher sind, weiß er nicht. „Im Moment ist es gut“, sagt er leise und guckt auf den Boden. „Ich will nie wieder nach Afghanistan. Wenn ich dort ins Bett gehe, wenn ich schlafe, dann träume ich. Dann träume ich schlecht über meine Familie oder über mein Leben. Ich habe jeden Tag Todesangst.“
Auch seine Freunde wollen nicht, dass er zurück muss. „Wir sind wie eine Familie. Oder, Arian?“, fragt Mine Caliskan. Arian nickt. Und lächelt. In der Klasse ist es unruhig geworden, seit „Bruder“ Arian den Abschiebebescheid bekommen hat. Die Schüler haben Angst, um Arian, und um sich selbst. Auch für Arian ist der Schwebezustand eine große psychische Belastung.
Ruhen alle Asylanträge zu Afghanen?
Von einem anderen Klienten hat Sibel Simsek gehört, dass alle Asylanträge, die Afghanistan betreffen, momentan ruhen. Ob das stimmt, weiß sie nicht. Sie appelliert an die Bundesregierung: „Wir brauchen neue Gesetze und vor allem eine Entscheidung der Regierung.“
Doch bis dahin muss Arian weiter warten.