Betrugsmasche
Dreifache Mutter getötet: Der Anruf, der Wilfried M. völlig aus der Bahn warf
Falsche Polizisten – unter diesem nüchternen Begriff fasst die Polizei eine erfolgreiche Betrugsmasche zusammen. Jetzt berichtet ein Castrop-Rauxeler, durch welche Tricks er selbst Opfer wurde.
Er hat sich geschämt. Es ist ihm peinlich. Und er kann sich selbst nicht verstehen. Wie leicht er reingefallen ist auf die Betrüger, die ihn fast dazu gebracht hätten, ihnen sehr, sehr viel Geld zu geben. Nur weil er in höchster Sorge um seine Tochter war. Und doch will er darüber sprechen.
Damit andere in einer ähnlichen Situation vielleicht den einen Moment der Irritation haben und den Anruf als das erkennen, was er ist: ein ausgeklügelter und infamer Betrug, der mit den Gefühlen von Menschen spielt. Für den Castrop-Rauxeler Wilfried M. (Name von der Redaktion geändert), ging die Geschichte am Ende gut aus. Mit dazu beigetragen hat unter anderem sein Kundenberater bei der Sparkasse in Castrop-Rauxel.
Hierher kam M. in seiner Sorge, um Geld aufzutreiben, sehr viel Geld, um seiner Tochter helfen zu können. Dort erzählt er jetzt auch im Gespräch mit dieser Redaktion, wie es damals abgelaufen ist. Und Martin Zill, stellvertretender Direktor der Sparkasse, hat noch ein weiteres Beispiel für einen Enkeltrick und falschen Polizisten.
Polizei rät: Betroffene sollen mit ihrer Geschichte warnen
„Wie konnte dir das passieren?“ oder „Ich würde auf so etwas nicht reinfallen!“: Neben Verständnis und Mitgefühl ist dem 78-jährigen Castrop-Rauxeler auch Skepsis begegnet, wenn er von seinen Erlebnissen erzählt hat. Dabei ist genau das ein Rat der Polizei: mit den eigenen Erfahrungen warnen.
Martin Zill, stellvertretener Direktor Marktbereich Castrop-Rauxel der Sparkasse, sollte eine größere Geldtransaktion möglich machen. Er wurde misstrauisch. © Ronny von Wangenheim
Der 78-Jährige ist dafür prädestiniert. Er steht mitten im Leben, hat früher als Geschäftsführer ein größeres Unternehmen geleitet, er ist ehrenamtlich aktiv. Leichtgläubigkeit, Einfältigkeit oder gar Hilflosigkeit lassen sich Wilfried M. nicht vorwerfen. Und doch schaffte es ein Anruf, ihn völlig aus der Bahn zu werfen. „Ich war wie in einem Tunnel“, sagt er.
Doch zum Anfang: „Hier ist die Polizeidienststelle Düsseldorf, Kriminalhauptkommissar Jansen“ – so eröffnet ein Mann am Telefon das Gespräch. „Ihre Tochter hat bei einem Verkehrsunfall eine Mutter von drei Kindern tödlich verletzt.“ Nach dem Stand der Ermittlungen sei sie vollumfänglich verantwortlich und müsse unter Umständen in Untersuchungshaft genommen werden.
Vermeintliche Tochter weint und schreit am Telefon: Täuschend echt
„Was ist mit meiner Tochter?“, will der „total betroffene Vater“ wissen, so erzählt es der 78-Jährige. Und die vermeintliche Tochter ist dann auch am Telefon. „Mit sich überschlagender Stimme sagte sie: Papa, Papa, hilf mir! Sie hat ganz fürchterlich geschrien.“ Die Stimme sei täuschend echt gewesen, Papa, genauso nenne sie ihn: „Ab da war ich im Betroffenheitstunnel“, sagt Wilfried M. „Ich habe nur noch gedacht: Wie kann ich meiner Tochter helfen?“ Nur so kann er sich heute erklären, wie es weiterging.
Zur Vermeidung einer Haftunterbringung, so der vermeintliche Kommissar, könne er mit einer Geldsumme oder ähnlichem helfen, Schmuck oder Gold. Dann zitiert er eine Mail der Staatsanwaltschaft: 50.000 bis 70.000 Euro müssten es sein.
Kundenberaterin Anke Wojtasik, hier am Eingang zum Tresorraum, konnte eine Frau davor bewahren, Opfer von Betrügern zu werden. © Ronny von Wangenheim
Angerufen hatte der „Kommissar“ auf dem Festnetztelefon. Die Betrüger schauen per Google Maps und Telefonverzeichnis nach ruhigen Wohngegenden, älter klingenden Vornamen und kürzeren Rufnummern. Das erfuhr der Wilfried M. später von der Polizei. Ältere Menschen sind das bevorzugte Ziel.
Mit dem Handy hält der Betrüger permanent Kontakt
Dann will der Betrüger seine Handynummer, um in Kontakt bleiben zu können, auch wenn er zu seinem Geldinstitut gehe. „Schalten Sie das Handy nicht aus“, sagt er dem 78-Jährigen. Und er mahnt, dass man auf beiden Seiten über alles schweigen solle. „Die führten mich an der kurzen Telefonleitung“, sagt Wilfried M. mit dem Wissen von heute.
„Gehen Sie zu Ihrer Bank und sehen, ob Sie den Betrag von 50.000 Euro erhalten, den sie übergeben können“: Mit diesem Auftrag fährt er zur Sparkasse. Und ja, er dürfe den Grund nicht nennen. „Ich war so emotional unter Druck“, erzählt der Castrop-Rauxeler. Martin Zill, der bei der Sparkasse der zuständige Kundenberater für den Mann ist, nickt. „Das hat man ihm angesehen“, sagt er.
„Sie haben sehr vorsorglich auf mich eingeredet“, erinnert sich der 78-Jährige an das Gespräch in der Sparkasse mit Zill und einem Kollegen. „Sie haben gemerkt: Ich hatte einen Maulkorb.“ Das Handy hat er da weiter eingeschaltet in der Hosentasche, abgedeckt von einem Taschentuch. „Die sollten ruhig mitkriegen, dass ich mich bemühe.“
Große Bargeldgeschäfte sind heute meist unseriös
Vergeblich. So schnell könne man sich größere Summen nicht auszahlen lassen, sagt Martin Zill. „Es gibt heute keinen Grund mehr für größere Mengen Bargeld“, ergänzt er und verweist auf die Möglichkeit der Sofortüberweisung. „Bargeld gleich unseriös“, nennt er die Gleichung. Und bei einem so spontanen Anliegen sei man umso skeptischer.
Es geht etwas skurril weiter. Wilfried M. wird aufgefordert, es bei einem anderen Bankinstitut zu versuchen, bei dem er Konten hat. Dort erreicht er telefonisch aber auch nichts. „Dann fahren Sie zu vielen Zweigstellen in der Gegend und holen dort jeweils 1000 Euro ab“, fordert ihn der Betrüger auf. „Er hat sogar eine Zweigstelle genannt, die zu dem Zeitpunkt am Nachmittag noch geöffnet hatte“, erzählt der 78-Jährige und kann inzwischen sogar etwas lachen, wie absurd das alles war.
Das Ende kommt schnell, als der 78-Jährige berichtet, dass auch das nicht funktioniert habe. „Er sagte dann: Na gut, dann fahren Sie nach Hause.“ Das war’s. Zu Hause tut er das, was er gleich zu Beginn hätte tun sollen: Er ruft seine Tochter und seinen Schwiegersohn an und stellt fest: alles erlogen.
Polizei hat mehrere Anzeigen wegen Betrugs
Anschließend fährt er zur Polizeiwache in Castrop-Rauxel und zeigt den Betrug an. „Sie sind heute der fünfte, haben sie mir da gesagt“, erzählt er.
Im Nachhinein hat Wilfried M. viel darüber nachgedacht. Wie sie ihm zum Beispiel unmerklich Informationen entlockt haben, um damit zu argumentieren. „Die waren sehr professionell“, sagt er: „Der Mann am Telefon hat sehr bedächtig auf mich eingeredet, er war absolut glaubwürdig in der Rolle des Kripobeamten. Ich glaube, die sind sehr geschult.“
Klar habe er zwischendurch Zweifel bekommen. Doch die konnte der vermeintliche Kripobeamte stets ausräumen. Oder die „Tochter“ wollte plötzlich noch mal mit dem Vater sprechen. Und dann war er wieder da: der Druck. Auch die Methode, ständig per Handy verbunden zu sein, habe funktioniert. „Ich kam gar nicht dazu, darüber nachzudenken“, sagt er im Rückblick.
Ähnlich wie Wilfried M. erging es kürzlich einer Frau: Sie kam in die Sparkasse am Castroper Markt, um etwas aus ihrem Schließfach zu holen. Sie fiel Kundenberaterin Anke Wojtasik auf, weil sie ständig das Handy am Ohr hatte. Auf Fragen reagierte sie merkwürdig. „Irgendwann habe ich das Handy genommen und gefragt, wer dran sei“, berichtet die Kundenberaterin. Da war das Gespräch beendet und schnell klar, dass die Frau mit einer ähnlichen Geschichte wie bei dem 78-Jährigen dazu gebracht werden sollte, Geld zu übergeben.
Die wenigsten Fälle werden aufgeklärt
An den Kassen des Geldinstituts ist man vorbereitet. Sollten Kunden plötzlich ungewohnt viel Bargeld abheben wollen, reichen die Kassierer einen Geldumschlag weiter. Darauf stehen Tipps der Polizei. Der erste Rat: die Polizei zu informieren.
Niemand weiß, wie viele auf diese Weise gewarnt wurden. Die öffentliche Kriminalitätsstatistik der Kreispolizei Recklinghausen führt die versuchten Betrügereien bei Senioren nicht explizit auf. Auf Nachfrage heißt es, dass die Zahl der Fälle steigt: Im Kreis wurden 2019 noch 80 solcher Betrugsfälle registriert, 2020 waren es 101, im Jahr 2021 dann 104. Von denen wurden nur 17 Prozent aufgeklärt.
„Der Versuchsanteil ist wesentlich höher“, sagt Pressesprecherin Corinna Kutschke auf Anfrage. Dazu komme noch eine Dunkelziffer. Nicht jeder zeige einen solchen Betrug an, auch aus Scham.
Scham und Wut hat auch Wilfried M. verspürt. Im Nachhinein erkenne er sich selbst nicht wieder. Aber er weiß auch: „Es kann sich keiner in eine solche Lage hineinversetzen.“ Und ergänzt: „Und niemand kann sich davon freisprechen, von so einer Geschichte berührt zu werden.“
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