Janina Preuß wird einen Tag zur Bestatterin So begleitet sie eine Leiche nach dem Tod

Was passiert nach dem Tod? Reporterin wird Bestatterin für einen Tag
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Kleine milchige Augen starren irgendwo ins Nirgendwo. Im Hintergrund summt das fluoreszierende Licht der Deckenlampen. Mein Blick bleibt auf das vor mir liegende, schmerzverzerrte Gesicht haften. Geronnenes Blut verklebt die Zähne, der Mund steht – wie zu einem letzten Hilferuf – weit offen und dunkelrote Flecken zieren die abgeschlaffte Haut. Ein ungewöhnlicher Anblick – das fand auch die Polizei. Erste Zweifel kommen auf, will ich das wirklich erleben? Die Bilder und Gerüche, die sich heute in meine Erinnerung einbrennen, bleiben für immer.

Ein letzter Hilfeschrei?

Plötzlich weht ein kühler Hauch durch die Luft. Die kleinen Härchen im Nacken stellen sich auf und ein mulmiges Gefühl macht sich im Magen breit. Worauf habe ich mich hier nur eingelassen? Dann fällt mir ein, dass es meine Idee war – die Neugier ist, wie so oft bei mir, einfach zu groß. Ich bin jetzt Bestatterin für einen Tag und hole meine erste Leiche aus dem Krankenhaus ab.

Das künstliche Licht und der sterile Raum tun ihr übriges und trotzdem ist die Stimmung ganz normal. Hinter mir öffnet sich immer wieder die Eingangstür, Leute gehen ein und aus. Ein fröhliches „Guten Morgen“, tönt mir entgegen. Für die meisten Menschen im Evangelischen Krankenhaus in Castrop-Rauxel eine ganz alltägliche Szene. Für mich ist sie das nicht.

In einer der vier Kühlzellen im Evangelischen Krankenhaus in Castrop-Rauxel liegt die Leiche, die ich heute abhole.
In einer der vier Kühlzellen im Evangelischen Krankenhaus in Castrop-Rauxel liegt die Leiche, die ich heute abhole. © Janina Preuß

Natürlicher Tod?

Vorher musste die Staatsanwaltschaft allerdings den Leichnam erst freigeben. Die dunkelroten Flecken warfen Fragen auf. Ist die Frau eines natürlichen Todes gestorben? „Die Staatsanwaltschaft geht trotz der Flecken von einem Schlaganfall aus und schließt eine Fremdeinwirkung aus“, erklärt Bestatter René Kullick – er und seine Frau Denise sind heute meine Chefs. Sie zeigen mir den Alltag bei Bestattungen Kullick

Eine Szene, wie im Horrorfilm

„Möchtest du helfen, die Verstorbene zu reinigen?“ Ich nicke und ziehe mir Handschuhe an. Trotz des mulmigen Gefühls und leiser Zweifel freue ich mich auf die Arbeit. Aber wie sehr darf man sich freuen im Angesicht einer Leiche? Ist meine Faszination möglicherweise respektlos? Zwei Fragen, die mich noch den ganzen Tag beschäftigen werden.

Mit desinfizierenden Tüchern reibe ich den steifen und sehr kalten Arm der Leiche ab. Dabei kann ich nicht aufhören, in ihr Gesicht zu gucken. Der Anblick gleicht einer Szene aus einem Horrorfilm, in der das Opfer unter qualvollen Schmerzen das Zeitliche gesegnet hat. Nichts für mich eigentlich, seit ich mit 13 Jahren den Film „Friedhof der Kuscheltiere“ gesehen habe.

Mensch oder Requisite?

„Alles in Ordnung?“, plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. „Wenn du einen Moment brauchst, sag Bescheid“, erinnern mich René (35) und Denise (25). Der Anblick eines Leichnams ist definitiv gewöhnungsbedürftig, zumindest für den ersten Moment. Aber je länger ich auf die leblose Frau aus der Krankenhaus-Kühltruhe gucke, desto unwirklicher sieht ihr Körper aus. Eher wie eine Requisite und weniger wie ein Mensch.

Denise Kullick (25) fährt den Sarg, in dem die Verstorbene ihre letzte Ruhestätte findet, ins Krankenhaus.
Denise Kullick (25) fährt den Sarg, in dem die Verstorbene ihre letzte Ruhestätte findet, ins Krankenhaus. © Janina Preuß

René und Denise heben die Verstorbene in den mitgebrachten Sarg aus hellem Holz – losgeht es zur nächsten Station. Auf dem Friedhof angekommen, schiebe ich den schweren Sarg in eine Aufbahrungszelle. Das ist gar nicht so einfach, der lange Sarg lässt sich schwer lenken. Der einzige Vergleich, der mir einfällt, ist ein vollgepackter Einkaufswagen, den ich versuche über einen holprigen Parkplatz zu manövrieren.

Wie fühlt sich eine Leiche an?

„Hier beenden wir die hygienische Grundversorgung und kleiden die Verstorbene ein, damit die Angehörigen vernünftig Abschied nehmen können“, erzählt René. Beim Auspacken der Leiche fällt mir vor allem eins auf. Die Verstorbene wirkt schon etwas menschlicher als zuvor, frisch aus der Kühlzelle. „Das liegt auch am Umfeld“, erklärt mir Denise. „Vorhin waren wir im Krankenhaus, hier sind wir in einem hellen Raum, das Licht fällt schön ein und wir sind alleine.“

Die Atmosphäre ist einfach eine andere. Das stimmt. Der Friedhofsraum ist klein, die Wände sind aus roten Backsteinen und es stehen mehrere große, grüne Pflanzen an den Seiten, ein Fester sorgt für das helle Licht. Während ich der Leiche Socken und Hose anziehe, fällt mir als Erstes ihre klamme Haut auf. Trotz der doppelten Lage Handschuhe, die ich trage, spüre ich die Kälte und Feuchtigkeit.

Wie riecht eine Leiche?

Als Zweites stechen mir die großen, grünen Flecken auf dem Bauch der Verstorbenen ins Auge. „Da zersetzen sich die Organe von Innen“, erklärt die 25-jährige Bestatterin. Wie auf Knopfdruck macht sich ein bis dato für mich ungewöhnlicher Geruch in der Nase breit. Eine Wolke der Verwesung erfüllt die Aufbahrungszelle. „Nicht dagegen ankämpfen“, rät Denise. „Einfach weiteratmen.“ Und tatsächlich, so schnell wie der Duft des Todes sich bemerkbar gemacht hat, so schnell verschwindet er auch wieder.

Die Reporterin steht gemeinsam mit der Bestatterin über einen Sarg gebeugt, in der Hand das Make-up für die Verstorbene. Es ist der Moment, in dem der Geruch der Verwesung sich in der Nase breit macht. Bestatterin Denise Kullick (25) rät "einfach weiteratmen". Und sie hat recht.
Der Moment, in dem der Geruch der Verwesung sich in meiner Nase breitmacht. Bestatterin Denise Kullick (25) rät "einfach weiteratmen". Und sie hat recht. © Janina Preuß

Make-up für den letzten Look

Für mich ist kein Look perfekt ohne passende Frisur und ein abrundendes Make-up – erst recht nicht für die letzte Reise. Hier stehe ich also, bereit, meine durch „Youtube“ erworbenen Make-up Fähigkeiten, einer Toten das Upgrade ihres Lebens zu verpassen. Aber: Das Kim Kardashian-Contouring ist gar nicht nötig.

„Es soll so natürlich wie möglich aussehen. Das gehört auch zur Trauerbewältigung“, erklärt Denise. „Wenn sie ohne Makel da liegen würde und aussieht, als wenn sie gleich aufwacht und zu einer Party will, dann ist das einfach nicht realistisch.“

Mit Make-up-Schwämmchen arbeiten wir die cremige Foundation in ihr Gesicht ein. Die Todesflecken sollen so gut es geht abgedeckt werden. Plötzlich ist er wieder da, der Verwesungsgeruch. Leise schleicht er sich an und holt mich in den lockeren Momenten zurück in die Realität. Ich atme weiter, als wäre nichts passiert. Einfach nicht dran denken, woher der Geruch kommt, lautet meine Devise für den Tag.

Das Schminktäschchen einer Bestatterin sieht auch nicht anders aus als meins daheim. Bronzer, Puder, Rouge und Make-Up-Pinsel gehören genauso dazu, wie Concealer und Kajal/ Augenbrauenstifte.
Das Schminktäschchen einer Bestatterin sieht auch nicht anders aus als meins daheim. Bronzer, Puder, Rouge und Make-Up-Pinsel gehören genauso dazu, wie Concealer und Kajal/ Augenbrauenstifte. © Janina Preuß

Emotionale Bindung zu einer Leiche?

Erstaunlicherweise komme ich mit dem Waschen, anziehen und schminken einer Leiche gut zurecht. Und je mehr ich sie auf ihre letzte Reise vorbereite, desto mehr Fragen kommen bei mir auf. Wer war sie, hatte sie ein erfülltes Leben, hat sie viel gelacht? Dazu kommt der dringende, innerliche Wunsch, es ihr so schön wie möglich zu machen.

Dabei gehe ich sehr behutsam mit ihrem Körper um. Auch wenn sie tot ist, möchte ich ihr nicht weh tun. Gehe ich hier etwa eine emotionale Bindung zu einer mir fremden, toten Frau ein? Ich glaube ja. Wäre ich Gerichtsmedizinerin bei „Law and Order“ oder „CSI“, wäre das der Punkt in der Sendung, an dem ich der Toten auf meinem Obduktionstisch verspreche, ihren Mörder aufzuspüren.

Lektionen fürs Leben

Am Ende meines Tages als Bestatterin bin ich glücklich. Glücklich, dass ich mit meinem Beitrag, es den Angehörigen vielleicht etwas leichter gemacht habe, Abschied zu nehmen. Vielleicht. Auf jeden Fall ist es eine sehr sinnstiftende Arbeit, die viel Ruhe und Achtsamkeit verlangt und mich in jedem Moment präsent sein lässt.

Außerdem kommt mir abends daheim auf der Couch, als ich den Tag Revue passieren lasse, eine weitere wichtige Erkenntnis für mich: Ein Körper ist ein Körper. Es ist egal, wie er aussieht, er ist die Hülle des Lebens.

Am Ende interessiert es niemanden, ob man ein paar Kilo zu viel hat oder man im Bikini Cellulitis sieht. Wichtig sind die Erinnerungen, die man gemacht hat, mit Menschen, die man liebt und die hoffentlich am Ende da sind, um sicherzugehen, dass mein letzter Look ein Knaller ist.