
Ratssitzung am 29.9.2022: Fabian Kaese in den Reihen der CDU-Fraktion. Der Ratsherr legte dar, warum seine Fraktion den Beitritt zur Seebrücke ablehnt. © CAS-TV
Beitritt zu den „Sicheren Häfen“: CDU-Ratsherr sorgt für Christen-Zoff
Seebrücke
Die Sonder-Ratssitzung vergangene Woche war turbulenter als viele andere in Castrop-Rauxel. Bei einer Abstimmung kam es zum Eklat. Und die Rede des CDU-Ratsherrn Fabian Kaese sorgte für Aufregung.
Fabian Kaese schritt zum Rednerpult und sprach. Da war die Ratssitzung knapp zwei Stunden alt. Sieben Minuten dauerte Kaeses Rede für die CDU-Fraktion, am Ende gab es Applaus aus Reihen der Christdemokraten. Für eine Rede, die nachhallte.
Kaese sprach als Replik auf Ulrich Werkle (Grüne) zum Thema „Bündnis Sichere Häfen“: Die Stadt soll nach einem Beschlussvorschlag der „Seebrücke“ beitreten, in der schon 300 Städte Mitglied sind. Ursprung war ein Antrag im Integrationsrat im Sommer 2021. Dem folgten Beratungen und Recherchen zu Verpflichtungen, die damit einher gehen. Der Beitritt wurde formell per Abstimmung zwar besiegelt. Aber die Rede von Kaese allein war bemerkenswert.
Im Grunde unterstrich sie, was CDU-Chef Friedrich Merz mit seiner Aussage zum Stichwort „Sozialtourismus“ vor einigen Tagen gesagt hatte – eine Aussage, für die er sich zwischenzeitlich entschuldigt hat. Unter dem Strich: Man dürfe Menschen in ihren Heimatländern eine Flucht nach Deutschland nicht zu attraktiv machen.
„Christliche und menschliche Pflicht“
Kaese leitete seine Rede so ein: „Die CDU Castrop-Rauxel bekennt sich natürlich zu ihrer christlichen und damit auch menschlichen Pflicht, Menschen, die durch Krieg, Hungersnot und Verfolgung in ihrem Leben bedroht sind, Asyl zu gewähren. Das Bündnis ‚Sichere Häfen‘ halten wir allerdings nicht für geeignet, dieser Aufgabe gerecht zu werden und rein rechtlich auch für bedenklich.“

Auf der Zuschauertribüne saßen nur gut ein Dutzend Leute bei der Ratssitzung. Unten ging es aber teilweise heiß her, und einige weitere sahen die Sitzung bei YouTube. © Tobias Weckenbrock
Einer von drei angeführten Gründen: „Eine ungeprüft und langfristig angelegte Aufnahme von Flüchtlingen am bestehenden Asylsystem vorbei (...) erhöht die berechtigte Sorge der illegalen Einwanderung und fördert eine von Schleusern dominierte Ab- und Einwanderung. (...) Alleingänge schaffen nur zusätzliche Anreize zur gefahrvollen Migration. Dazu fördern diese Sogeffekte die Sekundärmigration, d.h. sie erschweren die Aufnahme von Menschen, die wirklich unserer Hilfe bedürfen, nur damit Leute hier ein schöneres Leben haben.“
Das ist das Aktionsbündnis
Sichere Häfen heißen geflüchtete Menschen willkommen – und sind bereit, mehr Menschen aufzunehmen. „Gemeinsam bilden wir eine starke Gegenstimme zur europäischen Abschottungspolitik“, heißt es auf der Website. Unter anderem erklärt man sich mit flüchtenden Menschen und der Seenotrettung solidarisch und zeigt seine Bereitschaft, Geflüchtete bei sich aufzunehmen.An dieser Stelle gab es einen ersten Zwischenruf von Ulrich Werkle, wohl mit Verweis auf Friedrich Merzs Stichwort „Sozialtourismus“, das 2013 Unwort des Jahres wurde. „Das gibt es, das können Sie leugnen“, meinte Kaese, ohne den Begriff zu verwenden. „Ich will das nicht verallgemeinern, aber das gibt es, da kann man einfach nichts machen.“
Jemand, der „unsere Hilfe nicht benötigt“, so Kaese, „der kein Anrecht auf Asyl hat (...), hat auch keine Chance, hier rein zu kommen.“ Das ließ Sabine Seibel (SPD) so nicht stehen: „Seht her, da spricht ein Christ!“, rief sie. Kaeses Antwort: „Es spricht ein Christ.“ Jeder Sogeffekt koste angesichts der Gefahren der Strecke über das Mittelmeer und auch über die Balkanroute Menschenleben. Nach Kaeses Worten: „Wenn wir immer mehr Leute anlocken, in der Hoffnung, sie hätten hier ein besseres Leben, auch wenn sie es nicht brauchen...“ wurde er von weiteren Zwischenrufen gestört.
Nur ein europäisches Asylsystem, das „sicherlich noch verbessert werden“ müsse, könne schlimme Zustände in den Hotspots verhindern. „Wir sind noch nicht da, wo wir eigentlich sein wollen. Auch als Christen nicht. (...) Lassen Sie den Bund und die EU ihre Arbeit machen, ein entsprechendes Asylsystem aufzubauen. Wir setzen sie dann hier vor Ort um. Ich kann den Mitgliedern der Regierungsparteien nur sagen: Fordern Sie von ihrer Regierung endlich eine Forcierung eines vernünftigen europäischen einheitlichen Asylsystems.“
Kaese nahm wieder Platz. Aber die Aufregung war groß. Vor allem störten sich einige seiner Ratskollegen daran, er spreche als Christ. Unstrittig ist: Seit Jahrzehnten engagiert sich Fabian Kaese in St. Antonius Ickern und ist bis heute regelmäßiger Kirchgänger.
Verwarnung für AfD-Vergleich
Andreas Kemna (Die Partei) ging im Nachgang der Sitzung auf Facebook darauf ein: „Wer meint, er sei ein guter Christ, weil er sonntags in der Kirche sitzt, der muss mich für einen Baum halten, schließlich bin ich täglich im Wald unterwegs.“ Als erste Reaktion auf die Rede hatte er im Rat noch gesagt: „Ich wundere mich, dass die AfD auch hier im Raum ist.“
Bürgermeister Kravanja entgegnete: „Herr Kemna, der Redner fasst das als persönliche Beleidigung auf und das würde ich auch so werten, weil es einen persönlichen Bezug hat. Ich ermahne Sie hiermit.“ Kemna: „Vielen Dank.“
Daniel Molloisch (SPD) ergänzte: „Ich bin auch praktizierender Christ.“ Er unterstrich, dass das, was im Mittelmeer geschehe, nicht rechtens und schon gar nicht menschenwürdig sei. Dieses Signal müsse man an die EU senden und sich darum der Initiative wie 300 andere Kommunen anschließen. „Wir mussten aber vorher Dinge der Finanzierung klären, die sind nun klar“, so Molloisch.
SPD-Ratsfrau Katrin Lasser-Moryson sagte in Richtung Kaese: „Sie haben mit Christlichkeit argumentiert. Ich fühle mich als bekennende Christin aber von Ihren Argumenten nicht abgeholt. Ich möchte nicht, dass das, was Sie formuliert haben, eine Art von Christlichkeit darstellt, wie sie allgemein gelebt wird. Ich fühle mich davon sogar fast beleidigt.“
FDP beruft sich auch auf Königsteiner Schlüssel
„Reden, die in den Bundestag gehören, stehen uns hier nicht so gut zu Gesicht“, befand derweil Nils Bettinger. Er finde gut, wenn man sich in Castrop-Rauxel engagiere, ob mit Spenden für die Ukraine oder im Verein zur Flüchtlingshilfe, den er 2015 selbst mitgegründet habe. Seine Fraktion lehne diesen Beitritt dennoch ab: Der Königsteiner Schlüssel zur Verteilung der Geflüchteten im Land sei entscheidend. Die Stadt bringe sich hinreichend und auch über die Maßen ein. Ulrich Werkle (Grüne) entgegnete: „Der Schlüssel setzt erst ein, wenn die Menschen die EU über das Mittelmeer erreicht haben.“ Nicht, wenn sie dort stürben.
Castrop-Rauxel tritt gegen die Stimmen von CDU und FDP der Seebrücke bei. Als wohl 310. Kommune in Deutschland. Die Grüne Jugend urteilt in einer Stellungnahme: „Menschen, die flüchten, flüchten nicht ohne Grund. Niemand nimmt sich einen so gefährlichen Weg vor, wenn er/sie nicht wirklich fliehen müsste. Herrn Kaese bitten wir um mehr Respekt vor Menschen auf der Flucht!“ Die CDU habe sich stark an die Position der AfD gegenüber Geflüchteten angenähert. „Wir warnen die Christdemokraten vor einem Rechtsrutsch“, so Sprecher Selim Korkutan.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
