
© Tobias Weckenbrock
Baugebiet Dingen: Anwohner beharren trotz Entgegenkommen auf ihrer Kritik
Schacht Graf Schwerin 3/4
Die Planer haben modifiziert und konkretisiert. Es sagt niemand offen, dass er gegen das Baugebiet ist. Aber doch bleiben Anwohner in Dingen skeptisch. Das zeigte eine Diskussion am Mittwoch.
Die Stadtverwaltung nennt es „Online-Bürgerdialog“ und freut sich über diese Form der Debatte vor der Umsetzung eines Neubaugebiets in Dingen auf einem alten Zechengelände. Die Anwohner fühlen sich zwar ernst genommen, aber doch nicht in allen Dingen verstanden – und in einigen Punkten überhört.
Das Interesse an der digitalen Bürgerversammlung via Zoom Mittwoch (30. Juni) zur Abendbrotzeit war groß. Mehr als 80 Teilnehmer in der Spitze. Darunter fünf Verwaltungsfachleute um Stadtbaurätin Bettina Lenort und Bauamtsleiter Philipp Röhnert, fünf Geschäftsführer und Planer aus Planungs- und Investorenbüros, fünf Kommunalpolitiker (Carsten Papp, Malte Fercke, Yasemin Breilmann, Notburga Henke, Ulla Mintrop-Werkle), Wolfgang Schlabach vom Verein „Rettet die Alte Eiche, sowie ein Vertreter eines Vereins, der sich für mehr Wohnraum im Ruhrgebiet einsetzt – und ansonsten vor allem Anwohner.

Ein Planungsbüro hat zurzeit diesen Planungsstand für Schacht 3/4 von Graf Schwerin in Dingen: eine Durchfahrstraße, zwei Stichstraßen, ein Spielplatz, rund 50 Wohneinheiten. Anwohner monieren die geringen Abstände zur Bestandsbebauung im Bereich oben/Mitte links und unten rechts. © BJP
„In keinem anderen Planverfahren in Castrop-Rauxel wurde in den letzten Jahren so früh durch die Verwaltung in den Bürgerdialog gegangen wie beim Bebauungsplan Nr. 258 - Wohngebiet Dingener Straße“, stellte Stadtbaurätin Lenort zu Beginn der Runde und auch in ihrem Fazit nach der Zoomkonferenz fest. Da hat sie recht. Die Verwaltung hat offenbar gelernt aus dem langen Kampf um Planungsrecht rund um die Alte Eiche an der Emscher, wo mehr Bauland entsteht als in Dingen.
Raum und Zeit für viele Bedenken
„Bürgerinnen und Bürger, insbesondere die Anwohnerinnen und Anwohner, konnten sich über die Videoplattform leicht beteiligen“, bilanzierte die Stadt. Auch das stimmte: Den Eheleuten Schuster und Quellenberg zum Beispiel, direkte Anwohner der Planfläche hinter der Schieferbergstraße, wurde reichlich Zeit eingeräumt, Bedenken zu äußern. Auf viele der Einwände nahmen Planer, Investor Wolfgang Marbach und die Stadtverwaltung direkt Bezug.
Das ist der aktuelle Plan
- Das 2,2 ha große Plangebiet befindet sich im Süden des Castrop-Rauxeler Stadtteils Dingen an der Grenze zu Dortmund-Bodelschwingh.
- Das Plangebiet liegt am südlichen Siedlungsrand. Westlich befindet sich das Haus Dorloh mit seinem weitläufigen Landschaftspark.
- Das Baugebiet trägt den Projektnamen „Dorloh Plus Quartier – Zuhause im Waldviertel Dingen“. Geplant sind Ein-, Zweifamilien und Reihenhäuser sowie ein zwei- und zwei dreigeschossige Mehrfamilienhäuser mit Tiefgaragen im Zentrum des Gebietes mit insgesamt knapp 50 Wohneinheiten. Ein Spielplatz ist auf dem alten Schacht geplant.
- Das Plus im Namen steht für Niedrigenergiehäuser (KfW-40-Standard), Solaranlagen und Gründächer, Luft-Wasser-Wärme-Systeme, E-Ladestationen für Autos und Fahrräder und Glasfaseranschlüsse.
„Sorgen, Ideen und kritische Anmerkungen“ seien laut Stadt diskutiert worden. Und: „Es ist früh genug, die Anregungen konzeptionell prüfen zu können.“ Das sagte Bereichsleiter Philipp Röhnert, der moderierte und sich danach angetan von der Runde zeigte.
Es ging dabei unter anderem um die Erschließung von zwei Seiten (Dingener Straße und Schieferbergstraße) und die Sorge, Durchgangsverkehr (Schleichweg) zu schaffen. Es ging um den rauschenden Dauerlärm der A45, der durch das Fällen zahlreicher Bäume möglicherweise zunehme; um Eingriffe in Natur und Landschaft, um Verschattung und einen möglichen Rundumblick in Gärten und Wohnzimmer aus den zwei geplanten Mehrfamilienhäusern. Und vor allem um den Abstand einiger Häuser zu bestehenden Gebäuden.
Nach aktuellem Planungsstand beträgt der von Gebäudekante zu Gebäude an mindestens zwei Stellen weniger als zehn Meter. Anwohner pochten aber darauf, dass man schon bei der ersten Bürgerversammlung 2019 zehn Meter ab Grundstücksgrenze als Mindestmaß festgelegt habe.
Einige Befürchtungen, so die Stadt in ihrem Fazit, habe man konkret entkräften können. Das Planungsbüro legte Verschattungskarten vor, die belegen sollen, dass keine Probleme entstehen. In Bezug auf befürchteten Durchgangsverkehr wurde das gemeinsame Ziel bekräftigt, die Straße zum Durchfahren unattraktiv zu machen, indem man sie eventuell nur für Anlieger freigibt und/oder sie zum verkehrsberuhigten Bereich erklärt.
Massiver Eingriff in die Natur?
Die Eheleute Quellenberg kritisierten, dass große Bäume gefällt werden sollen, die ein Refugium bedeuteten für Rehe, Füchse, Bunt- und Grünspechte und andere Tiere, die man in den Gärten beobachten könne. Das sei ein massiver Eingriff.
Hier merkte auch Wolfgang Schlabach auf, der den Anwohnern die Unterstützung seines Vereins anbot. Der hat seine Lobby-Arbeit an der Emscher ja zumindest für prägende Bäume erfolgreich abgeschlossen. Vorstandsmitglied Schlabach kündigte an, man wolle nun andere Bauvorhaben im Stadtgebiet kritisch begleiten.

Anwohner der Schieferbergstraße (oben, von rechts nach links) sind zum Teil besorgt. Sie verlieren den Blick ins Grüne und klagen über geringe Abstände zu geplanten Neubauten. Große Teile der hier im Bild befindlichen Bäume müssen für die 2,2 Hektar große Planfläche gefällt werden. © Tobias Weckenbrock
Mehrfach betonten Anwohner, sie wüssten seit Jahren, dass das Brachgelände der Zeche Graf Schwerin (Schacht 3/4) als Baugebiet ausgewiesen sei; und dass sie nichts gegen Bebauung hätten. Aber dann kehrten doch einige ihre Interessen hervor: Wer bisher von seinem Garten und aus dem Schlafzimmerfenster auf eine von Tier- und Pflanzenwelt zurück eroberte Brachfläche warf, der will nicht unbedingt bald auf Trampoline in den Gärten der Nachbarn schauen. Auf der anderen Seite steht der Bedarf an neuem Wohnraum in Castrop-Rauxel.
Offene Frage: Wie teuer wird die Altlasten-Sanierung?
Wolfgang Marbach, der hier erst Millionen investieren und am Ende wohl auch etwas Geld verdienen möchte, wies darauf hin, dass er Wohnraum heute nicht mehr auf der grünen Wiese bevorzuge. Industriebrachen seien prädestiniert, auch wenn er noch nicht genau wisse, wie teuer die Entsorgung oder Sicherung der im Boden befindlichen Altlasten wird. Schlacke und Gebäudereste, womöglich alte Öltanks könnten hier noch im Erdreich schlummern. Das müssen aber weitere Gutachten klären. Bauamtsleiter Philipp Röhnert betonte, Anwohner könnten sich auf ein sauberes Vorgehen verlassen.

Die Dinger Straße ist zur Zeit nur etwa 100 Meter lang. Sie ist eine echte Buckelpiste und endet im Grünen. Aber für die Anwohner ist es herrlich: ruhig, bis auf das stetige entfernte Rauschen der A45. Hinter diesem Bauzaun, der den Wald von der Straße trennt, werden wohl bald Bäume gefällt und Häuser gebaut. Die Dinger Straße wird dann komplett neu gemacht. © Tobias Weckenbrock
Nach dem Bürgerspaziergang 2019 und dem Online-Treffen haben Bürger die Möglichkeit, sich bis Freitag (9.7.) zu informieren und Anmerkungen schriftlich einzureichen. Skizzen, ein Vorentwurf des Bebauungsplans, Artenschutzgutachten und mehr sind auf der städtischen Seite www.castrop-rauxel.de/buergerbeteiligung-bauen zu finden.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
