Apotheker in Castrop-Rauxel zum Medikamenten-Mangel „Die Lage ist dramatisch“

Apotheker Winfried Radinger zum Medikamenten-Mangel: „Lage ist dramatisch“
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In den Apotheken in Castrop-Rauxel ist gerade viel los. Oft aber müssen Kunden unverrichteter Dinge wieder gehen. Fiebersäfte, Fieberzäpfchen, Antibiotikasäfte für Kinder – das alles ist Mangelware. Die Lage ist dramatisch, sagt auch Winfried Radinger, Inhaber der Altstadt-Apotheke am Castroper Markt.

„Wir erleben, dass Menschen aus unterschiedlichen Städten kommen und fragen, ob wir noch Fiebersäfte haben. Aus Essen rief jemand an, der suchte Medikamente für Verwandte aus Hamburg. Vor Kurzem kam eine Chinesin, die nach Peking zurückfuhr, die Medikamente gegen Grippe kaufen wollte“, berichtet er.

„Ich habe das in 40 Jahren Selbstständigkeit nicht erlebt“, sagt der Apotheker. „Grippewellen ja. Aber dass eine Welle auf einen noch nie so erlebten Mangel trifft, das nicht.“

Schwieriger Notdienst

Oft kann Winfried Radinger nicht helfen. „Wir haben nichts“, sagt er. „Wir bestellen 50 Flaschen, wir bekommen eine, mal zwei. Das ist nichts. Wir müssten für eine Woche Vorrat haben, schaffen wir nicht.“ Manchmal werde ein Medikament zur Bestellung frei geschaltet, aber wenn er dann bestelle, bekomme er die Nachricht, dass die Bestellung abgebrochen wurde. Da waren andere schneller.

Blick in das automatisierte Medikamentenlager einer Apotheke
Ein Blick in das automatisierte Medikamentenlager einer Apotheke: Hausärzte und Apotheken kämpfen mit einem anhaltenden Medikamentenmangel. Vor allem Arzneien für Kinder sind betroffen. © picture alliance/dpa

Mit Sorge blickt er auf den Januar, wenn seine Apotheke an einem Samstag Notdienst hat. „Wir wissen nicht, wie wir das bewältigen sollen“, sagt Winfried Radinger. „Ganz kurz und knapp: Das ist die Hölle.“ Er erzählt von einer Kollegin, die an einem Notdienst rund 180 Kunden hatte.

Dazu sei sie doppelt beschäftigt gewesen, weil immer wieder Nachfragen bei Ärzten notwendig sind. Immer dann, wenn es keinen Ersatz für das Bestellte gibt, wenn das Fieber eines kleinen Patienten so hoch ist, dass Medikamente, dass Antibiotika unbedingt notwendig sind, fragen Radinger und all die anderen Apotheker bei Ärzten nach, was stattdessen eventuell funktionieren kann.

Tipp: Zäpfchen halbieren

In vielen Fällen aber wird getrickst, ohne dass ein ohnehin überlasteter Arzt behelligt werden muss. Soll ein siebenjähriges Kind einen Fiebersaft bekommen, fragt Radinger die Eltern, ob es auch eine Tablette sein kann, die man teilt. Gibt es keine Zäpfchen für Säuglinge, aber für Kleinkinder, so Winfried Radinger, könnten diese der Länge nach halbiert werden.

Theoretisch können Apotheker auch selbst fiebersenkende Medikamente herstellen, wenn sie die Grundsubstanz wie beispielsweise Paracetamol zur Verfügung haben. Winfried Radinger macht das nicht: „Die Krankenkassen zahlen das nicht.“ Zehn Zäpfchen kosten wenig mehr als ein Euro, würden die Apotheker sie selbst herstellen, würde es das Zehnfache kosten.

Und so bleiben, wenn das Fieber nicht ganz hoch ist, manchmal nur die bewährten Hausmittel. Wadenwickel zum Beispiel, sagt Winfried Radinger: „Oder man kann ein Eispad in ein Taschentuch wickeln und damit von den Waden über den Bauch bis auf die Stirn gehen, da geht das Fieber runter.“ Wenn das Kind aber dramatisch fiebere, dann werde im Notdienst bei anderen diensthabenden Apotheken herumtelefoniert. Zu den üblichen Öffnungszeiten aber bleibt Eltern der Weg zu anderen Apotheken nicht erspart.

Kritik an Politik

Dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach nun den Krankenkassen gestatten will, mehr Geld für Medikamente zu zahlen, findet Winfried Radinger gut. Die Frage sei nur, wann die Hersteller darauf reagieren würden und mehr Arzneimittel in Deutschland ankommen.

„20, 30 Jahre wurde der falsche Weg gegangen. Wir haben alles niedergespart. Wir haben noch Dinge laufen, die hat Norbert Blüm eingeführt“, sagt Winfried Radinger. Wenn Lauterbach jetzt sage, dass man es mit der Ökonomisierung in der Arzneimittelversorgung übertrieben habe, dürfe man nicht vergessen, dass alle Parteien dies in der Vergangenheit mitgetragen hätten. „Die warnenden Stimmen waren immer da“, so der Castrop-Rauxeler, „aber wir haben alles ökonomisiert, das fällt uns jetzt auf die Füße.“

Flohmarkt für Medikamente

„Eine schwachsinnige Idee“ dagegen findet er, was der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, vorgeschlagen hat: Bei „Flohmärkten für Medikamente“ könnten vorrätige Arzneien an Kranke abgegeben werden, auch Medikamente, deren Haltbarkeitsdatum schon überschritten sei, so dessen Gedanke.

„Sie würden ja auch keinen halb aufgegessenen Joghurt von jemandem nehmen“, sagt Radinger. Niemand wisse, in welchem Zustand die Medikamente seien, wie sie gelagert wurden, zum Beispiel im feuchten Badezimmer. „Wenn man privat jemanden kennt, ist das natürlich etwas anderes.“

Wie lange die angespannte Situation noch dauern wird? „Das wird parallel laufen, sagt Radinger, „wenn die Grippewelle abflaut und der Nachschub kommt.“

Notdienst-Apotheken haben Dienstbereitschaft grundsätzlich 24 Stunden – immer von 9 Uhr morgens bis um 9 Uhr am Folgetag.
Sie findet sich im Internet unter www.aponet.de, telefonisch unter 0800 00 22833 suchen. Jede Apotheke weist per Aushang auf die nächstgelegenen Notdienstapotheken hin.
Bundesweit nehmen fast 20.000 Patienten jede Nacht den Apothekennotdienst in Anspruch.

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