Kinderarztpraxen in Castrop-Rauxel überlaufen „An den Feiertagen, das wird die Hölle“

Kinderarztpraxen überlaufen: „An den Feiertagen, das wird die Hölle“
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Christiane Schmolke hat eigentlich keine Zeit zu telefonieren und darüber zu reden, wie ihre Situation ist, was an den Feiertagen auf den Notdienst zukommt, wie es um die Verfügbarkeit von Medikamenten steht und was sie Eltern rät. Die nächsten kleinen Patienten warten. Es kann wieder einmal ein Zwölf-Stunden-Tag werden für die Kinderärztin, die ihre Praxis an der Bahnhofstraße in Castrop-Rauxel hat. „Vor 20 Uhr kommen wir nicht nach Hause“, sagt sie.

Bis zu 50 Prozent mehr Patienten kämen täglich zur ihr, erzählt sie. Viele Kinder hätten grippale Infekte oder RSV, also eine Erkrankung der Atemwege. Und dann sind ja noch die laufenden Termine mit Vorsorge oder ähnlichem. Seit 13 Jahren arbeitet sie als Kinderärztin, seit drei Jahren hat sie ihre Praxis in Castrop-Rauxel. „So früh hat die Welle noch nie angefangen“, sagt sie. „Nach den Corona-Jahren, wo wir alle eingesperrt waren, ist das Immunsystem runtergefahren.“

Frank Westerhaus ist Kinderarzt und Vorsitzender des Landesverbandes Praxisnetze NRW.
Frank Westerhaus ist Kinderarzt und Vorsitzender des Landesverbandes Praxisnetze NRW. © Detlev Sauerborn

Viel zu tun hat auch Frank Westerhaus in seiner Klinik am Stadtgarten. Dass es bei ihm noch ganz gut laufe, liege daran, dass gerade ein dritter Arzt eingestiegen ist. Und ja, vor 30 Jahren sei es nicht anders gewesen. „Die Menschen sind aber nicht mehr so robust wie früher und reagieren empfindlicher“, sagt er.

Notdienst an den Weihnachtsfeiertagen haben weder er noch Christiane Schmolke. Westerhaus ist allerdings Neujahr dran und wird dann in der Kinderklinik in Datteln den Notdienst übernehmen.

Strukturelles Problem

Dass die Kassenärztliche Vereinigung wie in Dortmund Kinderärzte bittet, zusätzlich ihre Praxen an den Feiertagen zu öffnen, finden beide Kinderärzte nachvollziehbar. „Das wird die Hölle“, sagt Christiane Schmolke, wendet aber ein: „Wir können ja selbst nicht mehr“. Auch Frank Westerhaus verweist darauf, dass er seinen Mitarbeitern nicht weitere Überstunden zumuten oder ihnen bei einem solch spontanen Einsatz den Urlaub verweigern könne.

Frank Westerhaus, der sich auch als Vorsitzender des Landesverbandes Praxisnetze NRW engagiert, sieht ein strukturelles Problem. Rund 35 Kinderärzte im Notdienstbereich Kreis Recklinghausen seien eben zu wenig. Und dass es zu wenige Kinderärzte gibt, da sieht er auch die Bundespolitik gefragt.

Doch erst einmal zurück nach Castrop-Rauxel, in die Kinderarztpraxen und in die Apotheken, die die Eltern auf der Suche nach Medikamenten abklappern. Immer wieder rufen Apotheker in der Praxis von Christiane Schmolke an, fragen, welches Präparat es denn vielleicht sein könne statt des vergriffenen. In Castrop-Rauxel ist es da nicht anders als im Rest Deutschlands. „Ich vermute allerdings, dass die Eltern auch bunkern“, sagt die Ärztin.

Lob für Lauterbach

Dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach jetzt Krankenkassen erlauben will, mehr für Medikamente zu zahlen, damit Deutschland als Markt wieder attraktiver wird für Pharmaunternehmen, finden beide Kinderärzte gut. „Ich glaube nicht, dass es innerhalb zwei, drei Wochen eine Rolle spielen wird“, sagt Frank Westerhaus, glaubt aber: „Dann wird es helfen.“

Die Kinderklinik in Datteln
An Wochenenden, nachts und an Feiertagen ist die Dattelner Kinderklinik Ziel für Eltern mit kranken Kindern. © Jörg Gutzeit

Solange wird er weiter raten, bei älteren Kindern unter Umständen Medikamente für Erwachsene zu nehmen und dann herunter zu dosieren. Und manchmal reiche es auch, einfach abzuwarten. Ausruhen, viel trinken, das hilft – auch den Kinderärzten in ihren überlaufenen Praxen.

Christiane Schmolke sagt. „Wenn das Kind schlapp ist und verschnupft, aber kein Fieber hat, dann muss es nicht zwingend zum Arzt kommen.“ Frank Westerhaus: „Ich versuche seit Jahrzehnten zu erklären, dass Fieber nicht gleich der Weltuntergang ist und man ein, zwei Tage warten und dann zu seinem Hausarzt oder Kinderarzt gehen kann, wenn das Kind nicht blau anläuft oder sich die Seele aus dem Leib hustet.“

Nicht gleich zum Notdienst

Westerhaus zu dem in der Kinderklinik Datteln angesiedelten Notdienst, in den die Kinderärzte des Kreises eingebunden sind: „Es wäre gut, wenn Eltern gut mit den wenigen Ressourcen umgehen. Sie sollen sich reiflich überlegen, ob es sich um einen Notfall handelt oder doch um eine der üblichen Erkältungen. Auch bei Verletzungen, die chirurgisch behandelt werden müssen, oder bei Augenverletzungen ist der Kindernotdienst nicht der richtige.“

„Geduld und Gelassenheit mitbringen“, rät er generell den Eltern: „Der Husten ist nicht schneller weg, wenn ich 20 Minuten eher dran bin.“

Forderungen dagegen hat er (siehe oben) an die Politik angesichts der aktuellen Situation. Sie müsse so viel in die Gesundheitsversorgung investieren, dass das notwendige Personal bereitstehe. Frank Westerhaus: „Das ist eine grundsätzliche Geschichte. Vielleicht ist das einzige Gute bei der schweren Grippewelle, dass wir das ganze Thema auf den Tisch packen und gezwungen sind, einige Tage darüber zu diskutieren.“

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