Die Ratssitzung am 24. Juni in der Europahalle: Zum zweiten Mal war der Rat wieder in voller Personalstärke vertreten. 94 Prozent der Ratsmitglieder kamen.

© Nora Varga

Anwesenheit im Stadtrat: Ein Mitglied war nur in einer von elf Sitzungen

rnKommunalpolitik

Sitzungsgelder gibt es nicht, sondern Pauschalen: Wer ein Ratsmandat in Castrop-Rauxel hat, bekommt 417 Euro Aufwandsentschädigung. Im Rat erscheinen die Mitglieder aber nicht immer. Eine Analyse.

Castrop-Rauxel

, 03.12.2021, 20:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Der Stadtrat ist die zentrale politische Runde, in der Beschlüsse demokratisch gefasst werden. Er hat Fachausschüsse, die Themen beraten und vorher beschließen. Doch alles, was dort beschlossen wird, kommt am Ende auch immer in den Rat.

Elf Ratssitzungen gab es in Castrop-Rauxel seit der Kommunalwahl 2020. Die Beteiligung an den Sitzungen, die mit voller Besetzung stattfinden konnten, liegt nach einer Analyse unserer Redaktion bei 92,5 Prozent (vier Sitzungen fanden wegen der Pandemiebekämpfung in halber Größe statt, zur Sitzung vom 25.11. liegt noch kein Protokoll mit bestätigter Anwesenheitsliste vor). Die am schlechtesten besuchte Sitzung am 2. Juni 2021 hatte 46 Teilnehmer. Die fehlenden sieben zur 53 (52 Sitze plus Bürgermeister) waren entschuldigt.

Ratsmandate kosten 350.000 Euro im Jahr

Wir haben uns die Beteiligung genauer angesehen, gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um die Aufwandsentschädigung der Kommunalpolitiker. Zur Erinnerung: Sie erhalten in Summe im Jahr rund 350.000 Euro für ihre politische Arbeit. Ein Ratsmandat wird monatlich mit 417,20 Euro vergütet, Sonderaufgaben wie Fraktionsvorsitz, Ausschussleitung oder das Amt des stellvertretenden Bürgermeisters/der stellvertretenden Bürgermeisterin werden mit dem doppelten oder dreifachen Satz bezahlt.

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Neben der hohen Beteiligungsquote fallen einzelne Ratsmitglieder auf. Am signifikantesten ist die Beteiligung von Dr. Oliver Lind (CDU) an Ratssitzungen: Lind, der 2020 Bürgermeister-Kandidat der CDU gewesen war, war nach Auswertung der städtischen Protokolle in einer einzigen Sitzung anwesend. Am zweitseltensten nahmen Florian Nachtwey (CDU) sowie Christa Dreifeld und Hubertus Wilbring (beide SPD) teil – alle besuchten je fünf Sitzungen. An exakt sechs von zehn Sitzungen nahmen neun Ratsmitglieder teil.

Auf der anderen Seite stehen neben Bürgermeister Rajko Kravanja in Katrin Lasser-Moryson, Daniel Djan und Daniel Molloisch drei SPD-Mitglieder, die an jeder der bisher protokollierten zehn Sitzungen teilnahmen, ebenso wie Michael Frisch und Jonas Ehm von der CDU und Margitta Gudjons (Die Linke). Acht weitere Ratsmitglieder fehlten nur einmal.

Das muss man einordnend sagen

Zu dieser Auswertung muss man einige Dinge einordnend sagen. Vor allem: Wir haben für diese Analyse nicht nach den Gründen des Fehlens gefragt. Ob jemand krank war oder nur keine Maske tragen wollte, wir wissen es nicht. In vier Sitzungen von Dezember 2020 bis April 2021 war der Rat wegen der Corona-Infektionsgefahr nur mit halber Personalstärke versammelt. Die Fraktionen machten intern untereinander aus, wer zu Hause bleibt. So entschloss sich zum Beispiel die SPD, die jungen Leute wie zum Beispiel Daniel Djan zu schicken, die älteren wie Christa Dreifeld zu Hause zu lassen – der höheren Corona-Gefahr wegen.

Deshalb blieb zum Beispiel auch Petra Lückel (SPD) fern. Sie ist Krankenpflegerin im EvK und in der Funktion der Stationsleiterin in der Pandemie besonders gebunden an ihren Job und gefordert, sich in besonderer Weise von möglichen Infektionsherden fern zu halten. Das gilt zum Beispiel auch für Demis Theodorakis, der ebenfalls in der Pflege arbeitet, aber wie Lückel immerhin auf sechs Teilnahmen kommt.

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Besondere berufliche und private Verpflichtungen machen auch andere Ratsmitglieder für sich geltend, seien es Kinder im Home-Schooling, eine gesonderte Corona-Belastung oder andere Gründe. Aber: Daniel Molloisch ist nicht nur Fraktionsvorsitzender der SPD, sondern auch Familienvater und Lehrer an einer Schule in Essen. Er war immer da. Oder Bert Wagener von den Grünen, Fraktions-Chef und überdies Kreistagsmitglied: Er hat einen Lehrstuhl für Rehabilitationswissenschaft an der Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und eine Tochter – und war in neun von zehn Sitzungen anwesend.

Lind: Seit 25 Jahren im Rat – aber in den letzten 14 Monaten nicht

Oliver Lind ist Rechtsanwalt in einer Dortmunder Kanzlei und war längere Zeit in einer großen Essener Immobilienfirma im Vorstand, wie er bei der Kandidatur zum Bürgermeisteramt 2020 auf seiner Wahlkampf-Website kundtat. 2021 bewarb er sich um den Posten des Kämmerers der Stadt Herten – und erhielt den Zuschlag.

Das sind beruflich große Herausforderungen. Aber nur eine Sitzungsteilnahme ist bei einem Vorsitzenden des Ausschusses B3, in dem es um Bauordnung und Stadtplanung geht, nicht viel. Er sagt selbst, er sei seit 25 Jahren im Rat. Wenn man es aber genau nimmt, war er in den vergangenen 14 Monaten eigentlich nicht dort.

Ausschusssitzungen sind nicht Teil unserer Betrachtung, machen aber einen Gut-Teil der wahren Arbeit eines Ratsmitgliedes aus. Auch die Anwesenheit bei Fraktionssitzungen, Gespräche mit Bürgern, die wirklich gelesenen und durchgearbeiteten Seiten aus Ratsvorlagen, die Zahl der eingebrachten Anträge oder Anfragen an die Verwaltung oder Besuche von Veranstaltungen und Orten, die politisch relevant sind: All das haben wir nicht gezählt, konnten es nicht zählen. Einzig und allein das, wofür die Ratsleute gewählt wurden: für ihren Sitz im Rat.

Ist es okay, wenn ein Ratsmitglied seinen Stuhl im Rat nicht besetzt? Viele Mandatsträger sagen: Ja. Und klar, wer krank ist oder anderweitig entschuldigt, der darf natürlich fehlen. Aber unproblematisch ist regelmäßiges Fehlen nicht.