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Wirtschaftsprofessor Zülch: „Der BVB muss ein Vorbild sein“
Corona-Krise
Bundesliga-Klubs stehen vor der Insolvenz, die Bosse geloben Demut: Welche Konsequenzen sollte der BVB aus der Corona-Krise ziehen? Wirtschaftsprofessor Dr. Henning Zülch im Interview.
Viele Fußball-Bundesligisten kämpfen mit schweren finanziellen Problemen. Ist das die Schuld der Klubs oder ein Ergebnis der Corona-Krise?
Natürlich beides. Man muss feststellen, dass die Finanzen vieler Klubs auf Kante genäht sind. Das Geschäftsmodell ist sehr volatil. Ertrag und Aufwendungen halten sich die Waage, solange der Spielbetrieb läuft. Jetzt ruht der Spielbetrieb, und das führt offensichtlich sehr kurzfristig zu Liquiditätsproblemen. Managementund Geschäftsmodell sind folglich zu hinterfragen.
Wenn ein Verein bei ausbleibendem Millionen aus der TV-Vermarktung im nächsten Monat vor der Insolvenz steht, kann er doch nicht solide gewirtschaftet haben.
Dieser Schluss liegt nahe. Die 18 Bundesligisten bilden eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, sie sind unterschiedlich aufgestellt. Der FC Bayern München als Marktführer und auch Borussia Dortmund haben sicher ein hohes Eigenkapital angehäuft. Einen Puffer, der ihnen hilft, kurz- und mittelfristig über Krisen hinwegzukommen. Das ist ein wichtiger Indikator. Bei vielen anderen Klubs ist dieser Puffer nicht existent.
Noch Anfang des Jahres hat die DFL einen Rekordumsatz vermeldet mit 4,8 Milliarden Euro. 14 von 18 Erstligisten haben ihr Geschäftsjahr mit einem Gewinn abgeschlossen. Zählt das nichts?
Darf ich für die Antwort etwas weiter ausholen?
Bitte!
Ein Gewinn, ein Verlust oder ein gesteigerter Umsatz sagen erstmal nichts über die Stabilität eines Unternehmens aus. Wenn die Vermögenswerte größer sind als die Schulden, ergibt das ein positives Eigenkapital. Neben dieser Bilanz ist die Gewinn- und Verlustrechnung zu beachten. Sie gibt Rechenschaft über den Erfolg im abgelaufenen Geschäftsjahr. Sind die Erträge nach Steuern etc. größer als die Aufwendungen, erhöhen sie mit dem Gewinn das Eigenkapital. Wer einen Verlust macht, reduziert sein Eigenkapital. Da fällt ein einzelnes Jahr weniger ins Gewicht, man muss die langfristige Perspektive sehen. Wenn ein Klub über Jahre hinweg Verluste schreibt, zehrt er sein Eigenkapital auf und ist strukturell überschuldet. Schalke 04 ist ein Beispiel, Union Berlin ein anderes. Diese Klubs haben ein Problem.
Wo beginnt diese Negativspirale?
Da stimmt offensichtlich etwas mit dem operativen Geschäft nicht. Schauen wir auf Schalke 04: Der Verein hat eine riesengroße Basis und mit die beste Nachwuchsarbeit in Deutschland. Diese Spieler werden vorbildlich in den Profikader integriert und meist für hohe Ablösesummen veräußert. Das hat den Verein in den vergangenen Jahren über Wasser gehalten.
Klingt erstmal gut.
Aber nicht lange. Weil Schalke 04 den Anspruch hat, sich für den Europapokal zu qualifizieren, muss es auch in gestandene Spieler vermeintlich teuer investieren. Dazu nimmt der Klub Schulden auf und ist dann zum Erfolg verdammt. Bleibt der Erfolg aus, schrumpft das Eigenkapital. Dann ist die strukturelle Überschuldung unausweichlich. Schalke hat ja gute Voraussetzungen, aber das operative Geschäft mit all seinen Facetten funktioniert nicht.
Im Gegensatz zu Borussia Dortmund ...
Borussia Dortmund ist börsennotiert, agiert transparent, öffnet sich für Investoren. Die Investoren fragen, was die Geschäftsführung mit dem Geld macht und ob sie verantwortungsvoll damit umgeht. Gibt es einen Gewinn, wird ein Teil davon als Dividende ausgeschüttet und der andere Teil als Rücklage genutzt, als Verlustpuffer. Borussia Dortmund muss profitabel sein, Gewinn erwirtschaften und so die Interessen der Investoren zufriedenstellen. Aber alle Stakeholder wollen auch die Stabilität gewährleistet sehen. Diesen Spagat zwischen Profitabilität und Stabilität meistert der BVB, auch aufgrund des sportlichen Erfolges, in den vergangenen Jahren sehr gut. Das lässt sich auch an den Zahlen ablesen, weil der Klub aufgrund der Börsennotierung zur Transparenz gezwungen ist.
Und bei anderen Klubs?
Das Gros der Klubs in der 1. und 2. Bundesliga gibt leider kaum detaillierte Informationen heraus.
Aber es heißt doch, die Bundesliga sei im Vergleich mit den anderen europäischen Ligen besonders solide. Und zugleich übernehmen sich so viele Vereine? Was stimmt denn jetzt?
Nächste Woche kommt eine Studie der Handelshochschule Leipzig (HHL) heraus, in der wir als Gesamtschau die fünf großen europäischen Ligen verglichen haben. Ein Ergebnis: Die Bundesliga ist am meisten diversifiziert, will sagen, die Einnahmen sind gut verteilt: TV-Geld, Transfers, Ticketing, Merchandising und so weiter. Die ersten beiden Punkte sind die wichtigsten. Und international sehen wir: Die Premier League zum Beispiel ist in einem extrem hohen Maße abhängig vom TV-Geld.
Bei Borussia Dortmund machen die TV-Gelder auch 40 Prozent des Umsatzes aus.
Ja, aber der BVB ist mit den Einnahmen in der Vergangenheit sehr verantwortungsvoll umgegangen. Und der Mix bei den Erlösen ist gut, die Abhängigkeit von einzelnen Faktoren ist nicht so gravierend wie in den anderen Ligen. Der Personalaufwand, vor allem also die Gehälter für die Spieler, steht im europäischen Vergleich in Deutschland im besten Verhältnis. In Dortmund macht er circa 42 Prozent aus und ist immer noch der wesentliche Faktor. Jedoch ist das immer noch gesünder als in anderen Ligen. Die Schlussfolgerung lautet also: Wenn es gelingt, jetzt als Konsequenz aus der Krise einige Veränderungen einzustielen, auf die wir noch zu sprechen kommen, dann kann die Bundesliga aus dieser Krise als großer Profiteur hervorgehen.
Wie gut schneidet die Bundesliga im Vergleich ab?
Meines Erachtens ist die Bundesliga die stärkste Liga der Welt. Wir haben die beste Infrastruktur. Wir haben die höchsten Zuschauerzahlen bei erschwinglichen Preisen. Wir haben großes Sponsoreninteresse und die wirtschaftlich gesundeste Liga. Aber ein gewisser Erziehungseffekt muss eintreten. Das heißt für mich: Tradition und Geschichte bewahren und gleichzeitig Fortschritt zulassen.
Das heißt, es ist gerade jetzt angezeigt, sich für Investoren zu öffnen und die 50+1-Regel zu kippen?
Diese Regel wird ja rauf und runter diskutiert mit allen Argumenten für und wider. Wichtig ist mir: Diese Regelung schützt unser Fanwohl, und dieses hohe Gut, das der Fußball mit seiner Basis besitzt, muss erhalten bleiben. Aber in der Realität nutzen doch bereits jetzt Klubs wie Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg, 1899 Hoffenheim und RB Leipzig die Ermessensspielräume dieser Regel. Sie funktioniert also nicht. Und bei diesen Beispielen muss man überlegen: Wer sind diese Investoren? Sind das immer Scheichs aus Arabien? Mitnichten. Jüngstes Beispiel: Hertha BSC.
Da wurde kräftig von außen investiert.
Ja. Der Investor erhält zwar nicht die Stimmrechts-Mehrheit, aber de facto kontrolliert er doch den Klub. Wer das Geld gibt, hat das Sagen. Das ist doch überall so. Das Problem beim „Big City Club“ in Berlin ist, dass das Geld zunächst nur für Spieler und damit den erhofften kurzfristigen Erfolg ausgegeben wurde. Irgendwann ist dieses Geld aber weg, dann sind die Spieler weg, und die Lage ist schlimmer als zuvor. So ein Investment kann eine Totgeburt sein.
Was wäre ein gutes Investment im Profifußball?
Ein guter Partner könnte helfen, in die Infrastruktur zu investieren. Ins Nachwuchsleistungszentrum, in neue Geschäftsfelder. Das könnte alle Seiten nachhaltig befriedigen.
Wofür plädieren Sie?
Für zweierlei: Erstens für mehr Transparenz in der Fußball-Bundesliga. Wir benötigen eine Vereinheitlichung der Rechtsformen, um gleiche Grundlagen zu schaffen. Das ist ja ein Flickenteppich aus eingetragenen Vereinen, GmbHs, AGs und einer KGaA. In Frankreich, als Gegenbeispiel, hat man das 1998 vereinheitlicht. Um sich zu öffnen für Investoren, aber auch für größtmögliche Transparenz. Der zweite Punkt betrifft die 50+1-Regel.
Und der lautet?
Diese Regel ist nicht zukunftsfähig. Aber sie muss vom Prinzip her beibehalten werden, weil sie das wichtige Fanwohl schützt. Sie muss also modernisiert werden, damit Investoren für alle Seiten vorteilhaft in Klubs investieren können. Wen man sich dann ins Haus holt, welche Konzepte sich das Kapital aussucht, wie nachhaltig und langfristig das Engagement läuft und wirkt, das steht dann auf dem nächsten Blatt Papier. Da setzt der Wettbewerb ein. Ein Fanvertreter hat vorige Woche nachhaltiges Wirtschaften in der Bundesliga gefordert. Das gibt der Kapitalmarkt her. Wo würden Sie denn investieren, wenn Sie Ihr Geld gewinnbringend anlegen wollen?
Eher nicht in einer Unterhaltungsindustrie wie der Fußball-Bundesliga.
Nur als Gedankenspiel, Sie können in der Bundesliga frei auswählen.
Dann nehme ich einen Klub mit Perspektive, gutem Management und Aussicht auf sportlichen wie wirtschaftlichen Erfolg. Bayern, Dortmund, Gladbach, vielleicht Frankfurt.
Die Reputation des Managements und das Potenzial des Klubs sind entscheidend. Wenn Investoren zugelassen wären, müssten sich viele Bundesliga-Vereine ganz anders aufstellen, sie könnten nicht mehr wie ein kleiner Familienbetrieb geführt werden. Das würde positive Entwicklungen sogar verstärken und beschleunigen.
Außer Kontrolle geraten schien zuletzt der Transfermarkt. Kurzfristig steht eine Beruhigung an, das erwarten alle Experten. Erwarten Sie auch mittelfristig eine Besinnung?
International werden wir erstmal keine 250-Millionen-Euro-Transfers mehr sehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Bundesligaklubs in Zukunft diese hohen Summen wie zuletzt bezahlen werden. Stabilität, Solidität zählen zum Charakter der Bundesliga. Und schauen Sie auf die Deutschen Meister VfB Stuttgart 2007 oder Borussia Dortmund 2011 und 2012: Da haben Nachwuchskräfte den größten Erfolg ermöglicht. Damals hatten diese Vereine keine andere Chance. Wir brauchen also eine Rückbesinnung auf die Stärke des eigenen Nachwuchses.
Die Fachleute erklären, dass der deutsche Nachwuchs international inzwischen hinterherhinkt.
Die Förderung der Talente hat in Deutschland seit 2002 einen großen Schub erfahren. Jetzt müssen die Konzepte nur weiterentwickelt und modernisiert werden. Dann bekommen wir im Profifußball wieder eine gesunde Mischung aus etablierten Spielern und jungen Wilden. Die Auswüchse auf dem Transfermarkt müssen dazu kontrolliert werden. Beides zusammen wird zu einem ausgeglichenen Wettbewerb beitragen.
Wer soll den Markt kontrollieren? Und wie?
Die DFL in Deutschland, die UEFA in Europa. Da braucht es eine übergeordnete Instanz. Nicht nur, weil die Ablösesummen in absurde Höhen schnellen, die nicht mehr vermittelbar sind. Sondern auch, weil die Spielerberater eine geradezu unverschämte Machtposition erhalten haben. Die kosten pro Saison in Deutschland Hunderte Millionen Euro alleine dafür, dass sie die Preise in die Höhe treiben. Da braucht es also Regelungen. Ich erwarte von DFL und UEFA, dass sie hier Reformwillen zeigen. Dann bleiben die Summen auch mittelfristig weiter unten. „Business as usual“ wird nicht mehr zum Erfolg führen.
Wird Borussia Dortmund als solide wirtschaftender Klub gestärkt aus dieser Krise hervorgehen?
Ich könnte sagen, ich hoffe das (lacht). Doch der BVB steht nicht nur für sich, sondern macht, hinter Bayern München, einen wesentlichen Teil der Marke Bundesliga aus. Wenn der BVB in Deutschland top und international vorne dabei sein will, werden auch hohe Investitionen nötig sein. Bleibt es bei der großen Transparenz, bleibt der Klub bei seiner Strategie, entwickelt er sich weiter, schafft er sich weitere Geschäftsfelder etwa in eSports, dann bin ich fest davon überzeugt, dass der BVB eine Konstante und eine treibende Kraft der Bundesliga bleiben wird. Aber es reichen bei der Volatilität des Tagesgeschäftes wenige strategische Fehlentscheidungen, um aus dem Markt herauskatapultiert zu werden. Da braucht es ein Szenario-Management mit allen Risiken und Chancen.
„Too big to fail“ gilt nicht?
Nein. Schalke ist doch das beste Beispiel. Die glauben schon lange, dass sie trotz ihrer hohen Schulden immer irgendwie durchkommen. Da müssen grundlegend die Strukturen überdacht und eine Strategie etabliert werden, die auch in widrigen Momenten dem Druck Stand hält.
Was raten Sie dem BVB?
Der BVB muss effektiv sein hinsichtlich seiner Strategie. Er muss innovativ bleiben, um sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Und er muss sich seiner großen sozialen Verantwortung bewusst sein. Der BVB wird ja bereits sehr gut gemanagt und ist als mittelständisches Unternehmen sehr gut aufgestellt. Aber es geht auch immer noch besser.
Nennen Sie ein Beispiel?
Gerade jetzt spielt die gesellschaftliche Verantwortung eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, der Bundesliga die Aufnahme von Geisterspielen zu ermöglichen. Und Christina Seifert als DFL-Chef betont nahezu demütig, welch ein Vertrauensvorschuss diese Wiederaufnahme des Spielbetriebs bedeuten würde. Dieser Verantwortung müssen alle Beteiligten gerecht werden. Es braucht Leuchttürme, die hierbei voran gehen. Dies könnte der BVB sein mit seinem Konzept der „Echten Liebe“ und der Etablierung klarer Verhaltensregeln für seine Profis nicht nur in Krisenzeiten. Verantwortung sichtbar zu leben muss das Motto sein. Der Profifußball muss sich so seine Glaubwürdigkeit bewahren. Wenn Spieler sagen, sie verzichten auf 10 oder 20 Prozent ihres Gehaltes. Entschuldigung, das ist doch unglaubwürdig im Vergleich zur Kassiererin im Supermarkt. Klar ist der Profifußball in gewisser Weise Showbusiness mit goldenen Steaks und allem Drum und Dran, aber irgendwann ist auch für die treuesten Fans eine Grenze erreicht. Der BVB hat - wie alle anderen Klubs auch - eine hohe Verantwortung und eine Vorbildfunktion. Da geht es nicht nur darum, Gutes zu tun, sondern auch darum, Schlechtes zu vermeiden. Da spielt dann auch die Transparenz wieder mit rein.
Inwiefern?
Wer offen kommuniziert, ehrlich und transparent und nachvollziehbar auftritt und sagt, was er weshalb tut, dem muss in der Krise nicht bange werden und dem wird im Notfall viel verziehen. Der BVB hat aufgrund seiner Struktur das Potenzial, als gutes Vorbild in Sachen Finanzkommunikation zu wirken. Damit könnte er sich selbst und seiner Basis treu bleiben.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
