Werner Hansch und Oliver Müller im XXL-Interview „Was Hitzfeld schaffte, schien unvorstellbar“

Werner Hansch und Oliver Müller im XXL-Interview: „Was Hitzfeld schaffte, schien unvorstellbar“
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Ottmar Hitzfeld hat als Trainer von Borussia Dortmund in den 90er-Jahren Stadt, Verein und Region stark geprägt. Werner Hansch und Oliver Müller waren schon damals als Sportjournalisten im Einsatz. Beide haben sowohl den BVB als auch den FC Schalke 04 während ihrer erfolgreichsten Zeiten begleitet.

Ottmar Hitzfeld: Werner Hansch und Oliver Müller im Interview

Gemeinsam mit Werner Hansch und Oliver Müller haben die Verlagshäuser Rubens, Bauer und Lensing nun ein Podcast-Special über Ottmar Hitzfeld produziert. In sechs Folgen sprechen die beiden über die Ära Hitzfeld und lassen Zeitzeugen und Weggefährten zu Wort kommen. Im Interview sprechen beide über die Besonderheiten des Projekts und warum es sich auch für Nicht-BVB-Fans lohnt, reinzuhören.

Als wir mit dieser Idee auf euch zugegangen sind, was war Euer erster Gedanke bei der Podcast-Idee über Ottmar Hitzfeld?

Werner Hansch: Ich habe mir gedacht, es wird höchste Zeit. Der hatte am 12. Januar Geburtstag. Da wurde er 75. Das ist ein Datum, das man einfach nochmal aufnehmen und feiern muss. Wenn er jetzt hier wäre, könnten wir ihm noch gratulieren. So lange ist es noch gar nicht her. Und es wird höchste Zeit, dass man diesen Mann nochmal in die Öffentlichkeit bringt. Denn viele junge Dortmunder Fans wissen ja noch gar nicht, was er für den BVB bedeutet.

Oliver Müller: Das stimmt. Ich habe mich unheimlich gefreut, als man mir über dieses Projekt, diesen Hitzfeld-Podcast, berichtet hat. Und ich habe mich unheimlich gefreut, dass man mich da angesprochen hat, weil diese Zeit von Ottmar Hitzfeld bei Borussia Dortmund – wir reden hier ja jetzt, zumindest was den Beginn angeht, von den frühen 90er Jahren – das war für mich persönlich eine sehr, sehr prägende Zeit.

Ich war damals ein ganz junger Radioreporter und konnte dann hautnah miterleben, wie der BVB unter Ottmar Hitzfeld zu einer echten nationalen und internationalen Spitzenmannschaft wurde. Ich durfte damals kreuz und quer mit dem BVB durch Europa fliegen und das bedeutet für mich zum einen sehr viele schöne Erinnerungen und zum zweiten ist das eine Zeit, die mich als Reporter und auch als Mensch nachhaltig geprägt hat.

Und bis heute fliegst Du ja auch mit dem BVB durch Europa.

Oliver Müller: Ja, das stimmt.

Ottmar Hitzfeld klatscht in die Hände.
Ottmar Hitzfeld war sehr erfolgreicher Trainer bei Borussia Dortmund. Zwei besondere Spiele seiner Ära fanden im Münchener Olympiastadion statt. © picture-alliance / dpa

Gehen wir nochmal in die 90er Jahre zurück. Ihr wart beide bei verschiedenen Schlüsselspielen von Borussia Dortmund dabei. Zwei fanden im Olympiastadion in München statt. Im Jahr 1996 gab es ein BVB-Auswärtsspiel bei 1860 München. Dortmund hat vorzeitig die Meisterschaft geholt und den Titel verteidigt. Ein 2:2 hat damals gereicht, weil ausgerechnet Schalke Schützenhilfe gegen den FC Bayern München geleistet hat. Oli, du warst 1997 an selber Stelle beim Spiel der Spiele dabei. Im historischen Champions-League-Finale von Borussia Dortmund gegen Juventus Turin. Der BVB gewann mit 3:2. Dortmund hat damals getobt. Wie habt ihr Hitzfeld beide in diesen Momenten erlebt?

Oliver Müller: Also 1997, der Gewinn der Champions League, das war etwas, was unvorstellbar schien. Obwohl der BVB vorher unter Hitzfeld schon zweimal Deutscher Meister geworden war. Tatsächlich auf den europäischen Thron zu kommen, das hatte man eigentlich nicht für möglich gehalten. Der BVB war Außenseiter. Ich weiß noch, als das Spiel im Münchner Olympiastadion zu Ende war, habe ich damals die Radio-Reportage gemacht für Radio 91.2. Es hat sich für mich immer noch unwirklich angefühlt. Und meine ganz persönlichen Erinnerungen beziehen sich auf dieses Bankett, welches es anschließend in München im „Sheraton“ gegeben hat.

Zwei Sachen sind mir in Erinnerung geblieben. Ich weiß noch, dass ein guter Freund von mir mit dabei war. Ich habe den, das kann ich ja heute sagen, so ein bisschen halb illegal mit auf dieses Bankett geschmuggelt. Er war großer BVB-Fan und er sagte dann irgendwann zu mir in den frühen Morgenstunden: „Ach Mensch, diesen Champions-League-Pokal, ich würde den gerne mal anfassen. Und ich sage: Das ist jetzt ein bisschen schwierig. Ich weiß nicht, wie wir das hinkriegen.“

Und wir haben dann tatsächlich kurz darauf nochmal mit Ottmar Hitzfeld gesprochen und irgendwann, eine Viertelstunde später, kam jemand an und stellte diesen riesigen Pokal tatsächlich auf unseren Tisch. Ottmar Hitzfeld hatte irgendeinem Ordner Bescheid gegeben. Das vergisst man natürlich nie. Das sind Erinnerungen für die Ewigkeit.

Werner Hansch: Ich war nicht in München. Ich war irgendwo anders, aber für mich ist heute klar: Die besondere Bedeutung dieses Pokals liegt darin, dass der FC Schalke 04 eine Woche vorher die UEFA-Trophäe in Mailand gewonnen hatte. Das ist diese Verbindung, die so einmalig ist, dass zwei Vereine 20 Kilometer Luftlinie entfernt innerhalb einer Woche die beiden höchsten europäischen Fußball-Trophäen gewonnen haben.

Das werden wir nicht mehr erleben. So etwas kann es schon aus statistischen Gründen gar nicht wieder geben. Das ist für mich so besonders, dass ich das hier noch einmal herausstellen möchte. Natürlich haben wir hinterher mit Hitzfeld geredet. Ich war zum Beispiel bei ihm zu Hause in Syburg. Das war so ein Moment, wo er dann erzählt hat. Und es kam ja dann noch der Weltpokal hinzu.

Oliver Müller: Ja, in Belo Horizonte. Aber in diesem Sommer 1997, da hattest du eine Stimmung im Ruhrgebiet aufgrund dieser Tatsache, dass die Schalker Eurofighter vorgelegt haben, mit dem Gewinn des UEFA-Pokals. Dann folgte der BVB mit dem Gewinn der Champions League.

Da hattest du eine Stimmung im Ruhrgebiet, wie ich das weder davor noch danach jemals erlebt habe. Wo Dortmunder und Schalker sich auf einmal, aller Rivalität zum Trotz, bewusst wurden, wozu der Fußball im Ruhrgebiet imstande ist. Und das ist auch besonders an dieser Ära Ottmar Hitzfeld. Ich glaube, dass diese Erfolge, die damals eingefahren worden sind, den Menschen hier sehr, sehr viel gegeben haben. Es war wirtschaftlich gesehen eine schwierige Zeit. Es gab den Strukturwandel und mitten in dieser Zeit haben die Erfolge des BVB, ganz speziell Ottmar Hitzfeld, den Menschen auch so etwas wie Hoffnung und Mut gegeben.

Werner Hansch: Ja, ich kann mich noch daran erinnern, dass ein eingefleischter Borussen-Fan mir dann kurz danach nochmal gesagt hat: „Stell dir mal vor, wir hätten in München verloren, nachdem die Schalker den UEFA-Pokal gewonnen haben.“

Oliver Müller: Es hatte sich ein gewisser Druck aufgebaut, das stimmt.

Der BVB bejubelt den Champions-League-Titel.
Unter Trainer Ottmar Hitzfeld gewann der BVB 1997 die Champions League. © imago images/Sven Simon

Auch das ist ein Thema, auf das wir in den sechs Folgen zum Podcast-Special auf jeden Fall nochmal kommen werden. Wie sich die Schalker Eurofighter und der Champions-League-Gewinn des BVB auf die Stimmung in der Stadt bzw. die ganze Region übertragen haben. Kommen wir zurück zu Ottmar Hitzfeld. Werner, Du warst bei ihm zu Hause, welche besondere Eigenschaft rückt in diesem Podcast besonders in den Vordergrund?

Werner Hansch: Er war Mathematiklehrer und was mir besonders auffällt, ist das Systematische, wie er seine Karriere aufgebaut hat. Erst als Trainer in der Schweiz. Als er schon wusste, er musste in die Bundesliga kommen. Das war für ihn ganz wichtig und wie das alles geklappt hat.

Am Ende beim FC Bayern München auch nochmal mit Riesen-Erfolgen. Das war systematisch geplant und aufgebaut. Das ist schon sensationell. Natürlich hat er auch einen angemessenen Preis dafür bezahlt. Wir haben gemerkt, wie so eine Zeit auch an der Gesundheit eines Trainers nagen kann.

Oliver Müller: Das hört sich vielleicht ein bisschen pathetisch an, aber er war wirklich ein Meister der Menschenführung. Das hat er verstanden, wie kaum ein anderer Trainer, den ich in meiner Reporterlaufbahn kennengelernt habe. Er hat es mit großem Geschick verstanden, Konflikte in der Mannschaft zu moderieren. Als er kam, da gab es noch die alteingesessenen Spieler. Sei es ein Michael Schulz, sei es ein Günter Kutowski.

Denen wurden dann auf einmal, weil durch die Erfolge neues Geld eingespielt wurde, die Italien-Rückkehrer vor die Nase gesetzt. Ein Stefan Reuter, ein Matthias Sammer, ein Andy Möller. Da gab es natürlich Reibereien und Hitzfeld hat wirklich sehr gut verstanden, das auszubalancieren. Da haben wir sehr schöne Beispiele von Zeitzeugen in diesen Podcast-Folgen. Zum Beispiel von Lars Ricken.

Er erzählt, wie er als der kommende Youngster, als das Eigengewächs von Borussia Dortmund von Hitzfeld gefördert worden ist und wie er ihm sehr einfühlsam erklärt hat, warum man trotzdem Andy Möller geholt hat. Der hat ihm erstmal den Platz weggenommen. Ich glaube, das ist die größte Stärke, die Ottmar Hitzfeld hatte. Er war jemand, der auch schwierige Charaktere im Griff hatte. Und davon gab es viele in dieser Mannschaft.

Julio Cesar, der hier einen Biergarten hatte, wo regelmäßig Partys gefeiert wurden. Es gab einen Paulo Sousa, der erst frühestens donnerstags anfing, zu trainieren. Hitzfeld machte teilweise gute Miene zum bösen Spiel, weil er wusste, dass er diese Spieler braucht, und das war das Besondere an ihm. Ich glaube, andere Trainer hätten schon viel früher das Handtuch geworfen.

Uli Hoeness und Ottmar Hitzfeld sprechen miteinander.
Die Wege von Uli Hoeness und Ottmar Hitzfeld haben sich mehrfach gekreuzt. © imago images/Sven Simon

Einige Weggefährten, mit denen wir gesprochen haben, hast du schon erwähnt: Uli Hoeneß war dabei und Lars Ricken auch. Gab es bei diesen Aussagen auch Erfahrungen und Erlebnisse, die euch noch nach all dem, was ihr schon wusstet, verwundert haben?

Werner Hansch: So wie ich ihn eingeschätzt habe, so ist er auch durchgelaufen. Natürlich wertgeschätzt, insbesondere von Uli Hoeneß. Der hatte ihn schon in seiner Dortmunder Laufbahn fest im Blick. Der wusste, wen er sich da holte und worauf er vertrauen konnte. Das hat ihm der Hitzfeld später in München auch bestätigt. Denn diese Mannschaft, die war nicht leichter zu führen, als die in Dortmund.

Oliver Müller: Es ist tatsächlich so, dass jeder, der sich diesen Podcast anhört, feststellen wird, dass die Kollegen von den Ruhr Nachrichten aus der Sportredaktion da unfassbare Arbeit reingesteckt haben. Ihnen ist es tatsächlich gelungen, unglaublich viele Weggefährten aufzutreiben, die teilweise sehr intime Einblicke über die Zeit mit Ottmar Hitzfeld geben. Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen oder aufhören soll.

Vielleicht nur so viel: Das für mich Verblüffendste ist diese Anekdote, die Uli Hoeneß erzählt. Erst großer Rivale von Hitzfeld, als er seine große Zeit beim BVB hatte. Später hat er ihn dann auch beim FC Bayern erlebt. Hoeneß erzählt sehr bewegend, wie Ottmar Hitzfeld ihn in der schwersten Zeit von Hoeneß im Gefängnis besucht hat und die beiden sich unterhalten haben. Also ich will nicht zu viel verraten, aber hört da unbedingt rein. Da sind tolle Dinge dabei. Teilweise kann man schmunzeln, teilweise bekommt man auch ein bisschen Gänsehaut. Es ist großartig, wer alles in diesen sechs Folgen zu hören ist.

Ottmar Hitzfeld schaut nach vorne.
Mittlerweile hat sich Ottmar Hitzfeld aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. © picture alliance / dpa

Ottmar Hitzfeld selbst kommt auch zu Wort. Er war auch sehr offen in seinen Aussagen. Inwiefern hat euch das überrascht, dass alle doch so offen gesprochen haben?

Werner Hansch: Es ist ja schon eine Weile her. Mit der Zeit wirst du dann auch einfach offener. Dann kann man auch einiges von sich preisgeben, was bis dahin noch unter der Decke geschlummert hat. Ich hätte es besonders schön gefunden, wenn wir Ottmar Hitzfeld nochmal live hier in Dortmund hätten präsentieren können. Zum Beispiel im Fußballmuseum.

Und mein alter Traum ist mir wieder näher gerückt. Wir haben gerade erfahren, dass Jürgen Klopp in Liverpool aufhört. Nach sieben Jahren. Er ist ausgebrannt. Da ist doch eine Parallele schonmal in gewisser Weise zu Hitzfeld festzustellen. Diese beiden auf einer Bühne. Ich glaube, die hätten beim Fußballmuseum anbauen müssen. Das ist nun leider nicht gelungen. Aber diese Parallelität, die müssen wir unbedingt nochmal hervorheben. Das ist unübersehbar für mich.

Oliver Müller: Das stimmt. Aber das ist wirklich eines der Highlights dieses Podcasts. Es ist tatsächlich gelungen, mit Ottmar Hitzfeld selbst zu sprechen. Ich kann verraten, es war gar nicht so einfach. Er gibt nicht mehr so gerne Interviews. Aber anlässlich dieses Projektes, das ihm offenbar auch sehr gefallen hat – und das freut uns natürlich sehr – hat er dann doch mal eine Ausnahme gemacht. Er spricht auch sehr ausführlich.

Und um auf die Frage zurückzukommen: Ja, alle Protagonisten, die in diesem Podcast auftauchen, sprechen mit einer großen Offenheit und mit einer sehr großen Wärme über Ottmar Hitzfeld. Das hat mich allerdings nicht überrascht, denn ich kenne niemanden, der schlecht über ihn spricht. Selbst die Spieler, die er ausgebootet hat.

Zum Beispiel Publikumsliebling Teddy de Beer. Der war unumstrittene Nummer eins. Wenn man ihm zuhört, mit einigen Jahrzehnten Abstand, dann stellt man fest, dass er die Beweggründe, die Hitzfeld gehabt hat, nachvollziehen kann. Auch wenn es für ihn persönlich damals sehr schmerzhaft gewesen ist, kam ihm kein schlechtes Wort über die Lippen. Und das ist etwas ganz, ganz Besonderes. Ich glaube, das können nur ganz wenige Trainer für sich in Anspruch nehmen. Das sagt viel über den Menschen Ottmar Hitzfeld aus.

Es gibt noch zwei Personen, die auch im Podcast zu Wort kommen. Michael Meier und Gerd Niebaum. Mit Gerd Niebaum hast du selbst gesprochen, Werner. Wie hat es sich angefühlt, mit ihm über die Zeit von Hitzfeld beim BVB zu plaudern?

Werner Hansch: Ja, das war natürlich zwiespältig. Es war nicht so einfach, Gerd Niebaum einzuladen und ihn dazu zu bewegen, sich zu äußern. Über diese glorreichen Jahre. Die hat er mitgestaltet, ganz entscheidend. Und Michael Meier war derjenige, der Ottmar Hitzfeld nach Dortmund geholt hat. Der kam mit diesem Namen, als sie plötzlich einen Trainer brauchten. Das war dann Hitzfeld. Und alle haben sich gefragt, wer ist das denn? Ein Trainer aus der Schweiz. Der hatte noch nicht so viel vorzuweisen.

Dann kam er. Und gleich im ersten Jahr Vizemeister. Nur einer war furchtbar enttäuscht. Das war Ottmar Hitzfeld. Das hat er sich ein bisschen anders vorgestellt. Aber es war ja ein Riesen-Erfolg und er wurde Trainer des Jahres, obwohl er nur Zweiter wurde. Das war schon erfreulich für Niebaum, wie es dann weiterging.

Aber wir wissen alle, wie es geendet ist. Diese Ära von Gerd Niebaum. Der hat schwer bezahlt für alles, was passiert ist. Und er ist gesellschaftlich sehr schwer abgestürzt. Das bewegt mich bis heute. Hätten wir es erreicht, den Ottmar Hitzfeld mit Jürgen Klopp gemeinsam auf die Bühne zu holen. Dann hätten sich plötzlich ganz besondere Menschen gegenübergestanden und hätten sich die Hände gereicht. Nach so vielen Jahren. Dann hätten sich Epochen auf der Bühne noch einmal friedlich und freundschaftlich getroffen.

Jürgen Klopp und Henrikh Mkhitaryan freuen sich.
Jürgen Klopp, hier mit Henrikh Mkhitaryan (l.), und Ottmar Hitzfeld werden aufgrund ihrer Erfolge gerne miteinander verglichen. © picture alliance / dpa

Jetzt kam erneut Jürgen Klopp ins Spiel. Viele Fans verehren ihn noch mehr als Ottmar Hitzfeld. Wenn ihr an die beiden denkt, was unterscheidet die beiden aus eurer Sicht?

Oliver Müller: (lacht) Ich glaube, es ist offenkundig, was die beiden unterscheidet. Es sind andere Typen, komplett andere Typen, grundverschiedene Typen. Das fängt beim Optischen an. Logischerweise nehmen wir die Kleidung. Ottmar Hitzfeld ist mir aus seiner Dortmunder Zeit noch immer in Erinnerung mit diesem Trenchcoat.

Das war damals die Trainermode. Später dann beim FC Bayern hat er diesen Trenchcoat gegen einen Lodenmantel getauscht. Wahrscheinlich war der auch schon so zerknittert, dass er den nicht mehr anziehen konnte.

Und Jürgen Klopp, den machen wir natürlich fest an dieser Explosivität, an dieser Emotionalität, die er auch an der Seitenauslinie auslebt. Aber das sind die Dinge, die die beiden unterscheiden. Es gibt allerdings auch sehr große Parallelen. Stichwort Menschenführung. Ich glaube, so unterschiedlich diese beiden Trainer sind, so auffällig sind gleichzeitig ihre Parallelen. Es sind beides starke Persönlichkeiten. Es sind beides Trainer, die es geschafft haben, eine sehr homogene Mannschaft zu formen.

Jeder auf seine Art, mit großem Einfühlungsvermögen, mit großem psychologischem Geschick. Ich glaube, es kommt nicht von ungefähr, dass der BVB diese großen Erfolge mit zwei so starken, wenn auch in der Ausprägung unterschiedlichen, Persönlichkeiten hatte. Für mich gibt es tatsächlich mehr Parallelen als Unterschiede. Auch wenn das vielleicht nicht jeder verstehen wird.

Man stelle sich Jürgen Klopp im Trenchcoat vor. Eine merkwürdige Vorstellung.

Oliver Müller: Das stimmt allerdings. (lacht)

Was ist für dich der Hauptunterschied, Werner?

Werner Hansch: Also ich kann mich eigentlich nur anschließen. Die Zeit von Jürgen Klopp in Dortmund habe ich im Grunde genommen mehr von der Seitenlinie aus betrachten können. Ich weiß nicht, wie es seine Art war, mit Spielern umzugehen. Ob er auch dieses sehr intime, persönliche Gespräch mit einzelnen Spielern geführt hat, weiß ich nicht.

Oliver Müller: Ja, hat er.

Werner Hansch: Du weißt es besser, Oli. Du warst näher dabei damals. Dann ist das wieder eine große Gemeinsamkeit. Du hast auch schon gesagt, das Gemeinsame ist im Grunde das mehr Verbindende zwischen diesen beiden Persönlichkeiten. Und jetzt eben diese Tatsache. Ich weiß nicht, das ist sicherlich zufällig. Auch genau nach sieben Jahren muss Jürgen Klopp aufhören. Weil er leer ist, er hat keine Kraft mehr, weiterzumachen. Das ist der Preis, den er auch bezahlen muss und den hat irgendwann auch Ottmar Hitzfeld bezahlt.

Wir haben jetzt auch viel über andere Vereine gesprochen. Den FC Bayern München, wo Ottmar Hitzfeld nach seiner BVB-Zeit gearbeitet hat. Jürgen Klopp war lange beim FC Liverpool. Warum lohnt es sich, auch für Nicht-BVB-Fans in diesen Podcast über Ottmar Hitzfeld reinzuhören?

Werner Hansch: Der Grund liegt auf der Hand. Diese Person Ottmar Hitzfeld ist paradigmatisch für den Berufsstand von Fußballtrainern. Ob man jetzt Borussen-Fan ist oder nicht. Das muss einen einfach interessieren. Ein bisschen näher reinzuhören in diesen Menschen, was ihn bewegt hat. Dann hat man auch wieder einen Maßstab, um andere zu beurteilen. Das ist für mich ein entscheidender Grund, warum man in diesen Podcast reinhören sollte.

Oliver Müller: Ich finde, man lernt sehr viel darüber, warum Borussia Dortmund heute so ist, wie der Verein ist. Ich glaube tatsächlich, dass der Grundstock dafür in dieser Zeit von Ottmar Hitzfeld gelegt worden ist. Angefangen in seinem ersten Jahr mit der Vizemeisterschaft. Wo alle in Dortmund froh waren. Niemand hätte damit gerechnet und Ottmar Hitzfeld sagte: „Das reicht nicht. Wir haben es nicht geschafft und wir müssen alles daransetzen, um nächstes Mal ganz oben zu stehen.“

Das ist eine Form von Denke, die gab es damals bei Borussia Dortmund nicht. Die gab es nicht im Ruhrgebiet. Und dann wurde natürlich investiert. Dann hat man auch wirtschaftliche Risiken in Kauf genommen, hat diese Italien-Rückkehrer in die Mannschaft integriert, für viel Geld. Damals wurde dem Verein so ein bisschen der Fatalismus ausgetrieben. Dieser Glaube, wir können doch sowieso nichts reißen.

Und das hat auch zu dem geführt, was Borussia Dortmund dann an Erfolgen hatte. In der Hitzfeld-Zeit und später in der Zeit von Jürgen Klopp. Da wusste man, dass auch für den BVB etwas in dem Bereich der absoluten Spitze geht. Das ist keine reine Lobhudelei, diese Podcast-Reihe. Gleichzeitig erläutern wir auch, was die Folgen dieses wirtschaftlichen Risikos sind, was man damals eingegangen ist. Was dann auch mit einer leichten Verzögerung zu der Finanzkrise geführt hat. Werner hat darüber mit Gerd Niebaum.

Die sind dann irgendwann dieser Revolte zum Opfer gefallen, worunter sie bis heute sehr leiden. Auch das beleuchten wir. Wie kam es dazu? Wie hat Hitzfeld diesen Verein professionalisiert? Wie hat er ihn verändert? Wie hat sich Borussia Dortmund verändert? Und deshalb glaube ich, dass diese Zeit auch heute noch sehr relevant ist, wenn man den Fußball und auch speziell Borussia Dortmund verstehen will.

Eine Choreo der BVB-Fans.
Im Champions-League-Achtelfinale 2015 haben die BVB-Fans noch einmal an den Titel im Jahr 1997 erinnert. Es war Ottmar Hitzfelds großes Meisterstück. © imago/Moritz Müller

Wie war es für euch, diese Zeit noch einmal zu durchleben?

Werner Hansch: Für mich war es fast wie ein Jungbrunnen. Ich habe noch an viele einzelne Begebenheiten gedacht, die auch immer wieder im Hinterkopf hochsteigen. Ich bin schon ein alter Fußball-Singvogel. Nein, das war ein guter Ansatz, alles noch einmal nachzuerleben. Es war schön, damals dabei zu sein. Wie ich hier nach der Champions League mit dem Präsidenten auf dem Dach des Rathauses gestanden habe. Das war schön. Jetzt stand ich nicht mehr oben, aber ich habe es noch einmal nachgefühlt. Das war für mich sehr erfrischend.

Wie war es für dich, Oli?

Oliver Müller: Es war großartig, in diese Zeit noch einmal einzutauchen. Für mich persönlich war es eine sehr, sehr prägende Zeit, die ich damals habe miterleben dürfen. Und was besonders schön ist: Damals war es noch möglich, eine größere Nähe, auch als Journalist, zu den Protagonisten zu haben.

Also wir haben am Rabenloh gestanden nach den Trainingseinheiten. Da brauchtest du keinen Termin über eine Medienabteilung machen, sondern hast einfach den Spieler gegriffen, der jetzt gerade vom Feld runterkam. Du hast mit ihm geredet. Sehr schöne persönliche Erlebnisse, die man teilweise vergessen hatte, aber die so ein bisschen im Alltag in den Hintergrund gerückt sind und die einem dann jetzt wieder in Erinnerung gekommen sind. Das war sehr schön. Das war für mich auch bewegend.

Ich weiß auch, dass meine Reputation als Reporter zu einem nicht unerheblichen Teil auf diese Zeit zurückzuführen ist. Damals konnte ich hautnah miterleben, wie eine große Mannschaft aufgebaut worden ist. Ich hatte Einblicke, die ich in dem Podcast versuche, weiterzugeben und die natürlich dann gleichzeitig dazu geführt haben, dass die Leute gesagt haben: „Hey, der Müller scheint da ganz gut drin zu sein bei Borussia Dortmund.“ Also insofern war das für mich persönlich eine sehr wichtige Zeit.

Werner Hansch: Und damals, Oli, hatten sie noch Pressesprecher. Heute sind es Direktoren.

Oliver Müller: In der ersten Zeit von Ottmar Hitzfeld gab es ja sogar gar keinen Pressesprecher. Da wurde noch alles so „Free Floating“ gemacht. War schön. Aber das werden wir leider nicht mehr zurückholen können.

Dafür holen wir zumindest die Erinnerungen im Podcast hervor und werden näher erläutern, wie sich das alles weiterentwickelt hat. Der BVB ist wesentlich größer geworden. Das sieht man zum Beispiel am Stadion oder am Trainingsgelände. Auch darüber sprecht Ihr im Podcast. Ottmar Hitzfeld ist jetzt im Januar 75 Jahre alt geworden. Was wären zum Abschluss eure guten Wünsche für ihn?

Werner Hansch: Ich glaube, wir müssen ihm nichts Besonderes mehr wünschen. Etwas Materielles sowieso nicht. Ich gehe davon aus, dass er für sich und für seine Familie und mit allen Menschen, die vielleicht noch damit im Zusammenhang stehen, ausgesorgt hat. Das ist nicht mehr sein Problem.

Wir können ihm nur Gesundheit wünschen. Denn ich weiß nicht, wie dieses ausgebrannt sein eventuell noch nachwirkt. Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er das überstanden hat und ein Leben in guter Gesundheit führen kann. Da, wo er heute zu Hause ist. Möglichst mit seiner ganzen Familie.

Oliver Müller: Da kann ich mich eigentlich nur anschließen. Ich habe ihn damals auch hier erlebt, als es ihm nicht so gut ging. Er hatte sogar noch vor der ersten Meisterschaft einen Magendurchbruch erlitten. Das ging so ein bisschen unter. Da wusste man schon genau, wie sehr ihm das auch naheging. Wie sehr er Dinge in sich reingefressen hat. Und er war dann tatsächlich nach dem Champions-League-Gewinn ausgebrannt.

Da merkte man, dass dieser Erfolg und vor allen Dingen die Art und Weise, wie er für diesen Erfolg gearbeitet hat, Konsequenzen hatte. Hier zu versuchen, Konflikte zu lösen, dort Feuerchen auszutreten. Das hat ihm sehr viel abverlangt. Sowohl beim BVB als auch dann anschließend beim FC Bayern München, wo es vielleicht nochmal eine Nummer härter war, was die Egoismen in diesem Klub angeht. Das hat ihm stark zugesetzt.

Deshalb: Gesundheit ist ganz wichtig und das wünsche ich ihm in erster Linie. Dass er so bleibt, wie er ist. Ich habe ihn kennengelernt, auch nachdem er dann mächtig erfolgreich war. Und so viel kann ich verraten: Als einen Menschen, der sich auch immer sehr bewusst war, welche Rolle wir Journalisten gespielt haben.

Ganz zum Schluss, bevor er dann den BVB verlassen hat und zum FC Bayern ging, hatten wir damals einen Journalistenkick und haben uns gerade umgezogen in einer Turnhalle im Kreuzviertel. Auf einmal geht die Tür auf und Ottmar Hitzfeld steht da im Trainingsanzug und sagt: „Jungs, kann ich mitspielen bei euch?“ Wir waren völlig baff.

Er hatte wohl gehört, dass wir Journalisten uns da regelmäßig verabredet hatten. Und er kam dann dazu. Das war sein Abschiedsgeschenk. Er hat uns gecoacht. Er hat uns erstmal eine taktische Grundordnung vorgegeben. Sowas kannten wir gar nicht. Und anschließend hat er uns dann zum Essen und zum Trinken eingeladen. Es wurde eine lange, feuchtfröhliche Nacht.

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