Ottmar Hitzfeld über den BVB-Triumph „Ich wollte danach nie mehr Trainer sein“

Ottmar Hitzfeld über den BVB-Triumph: „Ich wollte danach nie mehr Trainer sein“
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Am 28. Mai 1997 besiegt Borussia Dortmund im Finale der Champions-League den großen Favoriten Juventus Turin mit 3:1 - es ist einer der größten Erfolge der BVB-Vereinsgeschichte. Am Samstag jährt sich der Triumph zum 25. Mal. In einer fünfteiligen Serie blicken wir zurück auf den legendären Abend von München und die folgenden Feierlichkeiten.

Ottmar Hitzfeld im Interview über den Champions-League-Titel des BVB

Ottmar Hitzfeld (73) nimmt sich Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen. Wie war das damals 1997, als der BVB in der Königsklasse triumphierte? Als junger, aufstrebender Trainer hatte Hitzfeld Borussia Dortmund erst in Deutschland und dann in Europa zur Nummer eins gemacht. Die Gedanken an den famosen Abend im Münchner Olympiastadion sind bei ihm sofort präsent – aber auch die Begleitumstände, die ihm schwer zugesetzt hatten. Im Interview mit den Ruhr Nachrichten gewährt er tiefe Einblicke in sein Seelenleben.

Herr Hitzfeld, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an das Finale 1997 denken?

Natürlich die Szene, als Lars Ricken den Lupfer reinschießt. Dieses Tor steht sinnbildlich für dieses Spiel. Wir hatten das nötige Schlachtenglück. Für uns war das ein Tag, an dem fast alles gelungen ist. Lars hatte gesehen, dass Angelo Peruzzi weit vor dem Tor stand. Dann flog der Ball perfekt. Von da an wurde der Traum, das eigentlich Unmögliche, für uns Realität. Die Mannschaft war mit ihrem Können an diesem Abend auf ihrem Zenit.

Dortmund war klarer Außenseiter.

Ohne Zweifel. Juventus hatte im Jahr zuvor die Champions League gewonnen, 1993 den UEFA-Cup. Sie hatten eine überragende Mannschaft beisammen. Für uns war das eine riesige Herausforderung. Wir hatten einen sehr guten Teamgeist, eine hohe Motivation und auch ein paar überragende Fußballer. Gerd Niebaum als Präsident und Michael Meier als Manager hatten Topspieler nach Dortmund geholt, viele von denen hatten vorher auch in Italien gespielt.

Ein Trainer, ein Mantel: Ottmar Hitzfeld bejubelt den Champions-League-Sieg des BVB.
Ein Trainer, ein Mantel: Ottmar Hitzfeld bejubelt den Champions-League-Sieg des BVB. © imago / Sven Simon

Haben Sie irgendwann im Laufe dieser Saison an so einen Triumph geglaubt?

Nein. Ich habe nur schrittweise gedacht, immer an die nächste Runde. Die Chancen, die Champions League zu gewinnen, waren sicher nicht groß. Jedes einzelne Weiterkommen war schon ein Erfolg gegen namhafte Gegner wie Manchester United oder AJ Auxerre.

International lief es wie am Schnürchen, in der Bundesliga nach zwei Meisterschaften alles andere als gut.

Wir hatten viele Spiele, mussten in der Saison die Belastung verteilen und rotieren. Und ich hatte sicher nicht die Auswahl wie vielleicht später bei Bayern München. Einige Spieler waren auch verletzt. Im Finale fehlten Julio Cesar und Steffen Freund. Dann spielte Martin Kree, den viele nicht auf dem Zettel hatten. Im Halbfinale hat Rene Tretschok gegen Manchester ein wichtiges Tor erzielt, gefühlt war das sein einziges. Aber diese Jungs hintendran haben immer sehr zuverlässig mitgearbeitet.

Einer Ihrer wichtigsten Spieler zu der Zeit war Matthias Sammer, oder?

Wir hatten hinten eine starke Achse mit Stefan Klos, Matthis Sammer, Jürgen Kohler und Julio Cesar. Man braucht diese Leadertypen in der Abwehr. Im Mittelfeld hatten wir einen Strategen wie Paulo Sousa, dazu einen Kämpfer wie Paul Lambert.

Der war nur dieses eine Jahr beim BVB.

Ja, und er war unglaublich, weil er immer am richtigen Fleck stand und für die Mannschaft gearbeitet hat. Er war die ideale Ergänzung. Es war für mich schwierig, Michael Zorc draußen zu lassen. Er hat unglaubliche Qualitäten, ist immer in den Strafraum gestoßen. Aber ich musste die Mannschaft als Ganzes sehen, und Lambert war der defensivere Spieler.

Trainer und Führungsspieler: Ottmar Hitzfeld (l.) im Gespräch mit Matthias Sammer.
Trainer und Führungsspieler: Ottmar Hitzfeld (l.) im Gespräch mit Matthias Sammer. © imago / Brenneken

Und die Offensive?

Einen Stephane Chapuisat könnte man ja heute gar nicht mehr bezahlen (lacht). Und Andi Möller war super stark. Beide waren Weltklasse.

Sammer sollte im Finale spielen, obwohl er vorher verletzt war. Wie lief das mit Wolfgang Feiersinger, der vorher den Libero-Part tadellos übernommen hatte?

Das war die schwierigste Entscheidung meines Lebens. Sammer war top, Europas Fußballer des Jahres. Ich bin am Tag des Spiels zu Feiersinger aufs Zimmer und musste ihm mitteilen, dass er nicht nur nicht spielt, sondern nicht einmal im Kader steht. Ich brauchte Tretschok als flexibleren Spieler auf der Bank, weil ich bei einem Rückstand hätte reagieren müssen. Es gab leider nur fünf Auswechselspieler.

Hat Feiersinger Ihnen das je verziehen?

Ich glaube nicht. Er hätte es verdient gehabt, zu spielen. Diese Entscheidung war brutal schwer und nicht fair ihm gegenüber. Aber man muss als Trainer an die Mannschaft denken. Da geht es dann nicht um den Einzelnen, sondern um den Verein.

Matthias Sammer (l.) erhielt im Finale den Vorzug gegenüber Wolfgang Feiersinger.
Matthias Sammer (l.) erhielt im Finale den Vorzug gegenüber Wolfgang Feiersinger. © imago / Brenneken

Sie sind oft dafür gelobt worden, dass es Ihnen gut gelingt, Menschen und Mannschaften zu führen. War das mit der damaligen Dortmunder Mannschaft mit einigen Prüfungen versehen, die dann in ihrer späteren Karriere auch noch einmal richtig geholfen haben?

Da gab es permanent schwere Prüfungen, das kann ich verraten. Wir hatten viele verschiedene, meinungsstarke Charaktere in der Mannschaft. Sammer und Zorc, Stefan Reuter, Möller. Es hat immer irgendwo gelodert, da war viel Feuer in der Mannschaft. Es gab einen großen Konkurrenzkampf. Und alle wollten mitreden.

Sammer wollte am liebsten selbst alles entscheiden, oder?

Sie kennen ihn ja. Er war sehr ehrgeizig. Das zeichnet ihn aus.

Wie wichtig ist es aus Ihrer Erfahrung heraus, dass es in einer Gruppe auch Reibung gibt, die leistungsfördernd sein kann?

Das braucht es für mich nicht unbedingt. Man hört oft, dass es wichtig ist, auch Spannungen und Konflikte zu haben, aber das stimmt nicht. Bei Bayern München hatte ich diese Probleme wie in Dortmund nicht. Obwohl da noch mehr Druck herrschte und noch mehr Stars im Kader standen.

War Ihnen nach dem Finale klar: Das ist jetzt der Höhepunkt meiner Zeit, hier nach zwei Deutschen Meisterschaften jetzt die Champions League zu gewinnen?

Immer wenn man so einen Riesenerfolg hat, legt man die Messlatte und die Erwartungshaltung sehr hoch. Die Fans waren völlig aus dem Häuschen. Es war sagenhaft schön, das zu erleben. Und gleichzeitig stieg der Druck enorm. Ich war sechs Jahre Trainer in Dortmund und wollte gerne aufhören. Ich war nach dieser Saison 1996/97 total ausgelaugt.

Ottmar Hitzfeld sagt über den Champions-League-Triumph des BVB: „Die Fans waren völlig aus dem Häuschen.“
Ottmar Hitzfeld sagt über den Champions-League-Triumph des BVB: „Die Fans waren völlig aus dem Häuschen.“ © imago / Fassbender

Sie haben viel Kritik einstecken müssen, weil der dritte Meistertitel in Serie nicht gelang. Dann hat Michael Meier Sie überredet, zumindest im Management mitzuarbeiten.

Der BVB wollte, dass ich im Klub bleibe. Ich hatte ein Angebot von Real Madrid damals und habe zumindest eine Nacht und einen Tag darüber nachgedacht, nach Spanien zu gehen. Real ist ein Traumverein für viele, auch für mich. Aber weil ich nicht Spanisch spreche, war die logische Entscheidung, in Dortmund zu bleiben. Aber Manager zu sein war nicht mein Ding, das habe ich schnell gemerkt.

Weil Sie es bevorzugen, direkt mit den Spielern zu arbeiten?

Ja. Mir lag die Arbeit mit den Spielern mehr.

Hat Sie die Erfahrung mit dieser schwierigen Dortmunder Mannschaft als Trainer reifen lassen?

Ja, daraus lernt man. Ich hatte auch vorher in Klubs gearbeitet, wo es Schwierigkeiten gab. Schon in meiner ersten Trainerstation 1983 in Zug, später in Aarau oder bei den Grashoppers in Zürich. Mal war es der Präsident, mal der Kapitän oder der Manager, der querschoss. Irgendwann musste ich weiterziehen.

1991 sind Sie in Dortmund gelandet. Wie kam das?

Dortmund drohten damals sogar noch der Abstieg oder die Relegation. Ich wusste gar nicht, ob wir in der ersten oder zweiten Liga spielen würden. Aber ich habe zugesagt für beide Fälle.

Was hat Sie denn gereizt? Bis auf den Pokalsieg 1989 hatte der BVB ja nicht viel vorzuweisen.

Die Ausstrahlung des Klubs und die Fans, die unglaublich hinter der Mannschaft gestanden haben, haben mich gereizt. Wenn man im Fernsehen die Bilder sieht und die Gesänge im Stadion hört, spürt man: Borussia Dortmund ist ein unglaublich attraktiver und leidenschaftlicher Fußballklub.

Große Sprünge hat man Ihnen damals nicht versprechen können.

Es war gar nicht absehbar, dass wir mal jemals Deutscher Meister werden könnten. Und dann waren wir 1992 gleich in meiner ersten Saison nah dran, bis am letzten Spieltag der VfB Stuttgart durch Guido Buchwalds Tor in der 86. Minute an uns vorbeigezogen ist. In dem Jahr haben wir über unsere Verhältnisse gut gespielt, aber danach die Mannschaft Jahr für Jahr verstärkt.

Ein neues Gesicht in der Bundesliga: Ottmar Hitzfeld übernahm im Sommer 1991 das Traineramt bei Borussia Dortmund.
Ein neues Gesicht in der Bundesliga: Ottmar Hitzfeld übernahm im Sommer 1991 das Traineramt bei Borussia Dortmund. © imago / Werek

Und mit besseren Spielern noch erfolgreicher gespielt.

Es ging viele Jahre nur aufwärts, bis zum großen Triumph 1997.

War Ihnen damals bewusst, wie schlecht es um die Finanzen des Klubs tatsächlich bestellt war?

Das ahnte ich. Man hatte mir gesagt, dass es ganz gut wäre, wenn wir die Champions League gewinnen würden. Wir mussten den Titel holen, sonst wären wir in der folgenden Saison nicht für den Europapokal qualifiziert gewesen. Das wäre teuer geworden, wir hätten mehrere Spieler verkaufen müssen. Der Druck war nach dem schwachen Abschneiden in der Bundesliga extrem hoch.

Sie haben später vor allem mit dem FC Bayern München viele Erfolge gefeiert. Hat dieser Triumph mit dem BVB 1997 einen besonderen Platz in Ihrem Herzen?

Es war ein großartiges Finale. Schon beim Gang ins Stadion waren die Fans und ihre Gesänge überwältigend. Diese Begeisterung der Leute, egal ob jung oder alt, die in Dortmund den Fußball so sehr lieben, das hat mich tief bewegt. Das war pures Glück, das habe ich nie mehr so erlebt in meinem Leben. Die Bilder, wie ich mit der Zigarre im Mund und der Pickelhaube auf dem Kopf die Band „Wandervögel“ dirigiere, sind ja bekannt. Das war auch ein magischer Moment.

Mit Zigarre und Pickelhaube: Ottmar Hitzfeld erlebte mit dem BVB einen magischen Abend in München.
Mit Zigarre und Pickelhaube: Ottmar Hitzfeld erlebte mit dem BVB einen magischen Abend in München. © imago / Sven Simon

Und trotzdem musste es für Sie anderswo weitergehen.

Man kann als Trainer nicht ewig bleiben, in Dortmund lag die Messlatte nach 1997 unerreichbar hoch. Ich habe dann das eine Jahr Pause gemacht und wollte eigentlich nie mehr Trainer sein. Aber ich habe schnell gemerkt, dass mir ein Job am Schreibtisch zu langweilig ist.

Sie waren damals 48 Jahre alt - viel zu jung, um aufzuhören!

Ja, aber ich war erschöpft. Heute würde man sagen, ich stand kurz vor einem Burnout. Der Job als Trainer war auch damals schon sehr, sehr anstrengend. Ähnlich leer angefühlt hat es sich dann 2004, nach meiner ersten Zeit bei den Bayern. Das waren auch sechs intensive Jahre.

Drei Jahre später haben Sie dort wieder zugesagt.

Als Uli Hoeneß im Januar 2007 anrief, ahnte ich schon: Du gehst besser nicht ans Telefon. Doch es hat mich nochmal gepackt, ich habe spontan zugesagt. Auch weil ich wusste: Wenn ich eine Nacht darüber nachdenke, müsste ich absagen. Meine Frau hat mich gefragt, ob ich denn spinne … Das erste halbe Jahr lief gut, ich konnte mich wieder über Siege freuen, und habe noch ein Jahr drangehängt. 2008 hat dann mein Verstand wieder eingesetzt (lacht).

Gab es nie den Moment, nochmal zum BVB zurückzukehren?

Nach der zweiten Bayern-Zeit bis 2008 bin ich noch Nationaltrainer in der Schweiz gewesen, das Anforderungsprofil ist wesentlich ruhiger. Den Job als Vereinstrainer wollte ich mir nicht mehr antun. 2018 gab es nochmal eine lose Anfrage vom BVB, aber ich habe sofort dankend abgelehnt.

Zwischen 2008 und 2014 betreute Ottmar Hitzfeld die Schweizer Nationalmannschaft.
Zwischen 2008 und 2014 betreute Ottmar Hitzfeld die Schweizer Nationalmannschaft. © imago / Sven Simon

Ende Juli 2023 sollten in Dortmund nochmal alle Champions-League-Sieger von 1997 zusammentreffen. Waren Sie dabei, vielleicht mit Zigarre und Pickelhaube?

Ich hätte mich sehr gefreut, die Jungs mal alle wiederzusehen. Ich war da leider verhindert.

Dann mussten Sie nicht aufpassen, ob alle Spieler rechtzeitig auf ihren Zimmern sind.

So etwas muss ich zum Glück nicht mehr machen (lacht).

Stimmt eigentlich die Geschichte, dass Sie am Abend nach dem Finale in München mit Matthias Sammer nochmal die Taktik am Essenstisch besprochen und mit Gläsern nachgestellt haben?

Sammer wollte das, er wollte immer diskutieren. Aber ich habe keine Lust gehabt und ihm gesagt, er solle sich amüsieren und den Sieg genießen.

Konnten Sie den Moment genießen?

An dem Abend? Ja! Weil ich wusste, dass dieser Moment wunderbar und vielleicht einzigartig ist. Und weil ich wusste, dass ich danach erstmal nicht mehr Trainer sein musste.