Nach den Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate wollte Marco Reus in dieser Angelegenheit wohl gerne zügig Klarheit schaffen. Gleich am ersten Tag der Vorbereitung suchte der 34-Jährige also das Gespräch mit BVB-Trainer Edin Terzic und Sportdirektor Sebastian Kehl. Er habe beide darüber informiert, dass er sich nach reifer Überlegung dazu entschieden habe, nach fünf Jahren als Kapitän von Borussia Dortmund nun die Binde weiterzugeben, erklärte der Mittelfeldspieler einen Tag später in einer Video-Botschaft.
Reus nicht mehr BVB-Kapitän
Diese Entscheidung kam durchaus erwartbar daher. Die Kapitänsfrage wird bei Borussia Dortmund schon lange gestellt, weil viele Fans und Fachleute in dem gebürtigen Dortmunder ohnehin nie einen richtigen Leader und Führungsspieler gesehen haben, spätestens aber seit dem Endspurt der vergangenen Saison, als Reus nur noch eine Nebenrolle spielte. Dazu kommt: Der Mittelfeldspieler geht alle Voraussicht nach in sein letztes Karrierejahr. Ein optimaler Zeitpunkt also, um die Binde weiterzugeben.
Kehl, der ebenfalls vor seinem letzten Jahr als Fußball-Profi das Kapitänsamt beim BVB niedergelegt hatte, zollte Reus Respekt. „Das zeigt, dass Marco ein sehr großes Verantwortungsbewusstsein für diesen Klub hat, dass er für sich entschieden hat, jetzt in diesem Moment diese Verantwortung weiterreichen zu wollen.“ Stellt sich nur die Frage: An wen? „Wir haben natürlich einige Kandidaten im Kopf. Wir werden uns mit der Aufstellung des Mannschaftsrats beschäftigen. Wir werden eine gute Mischung finden, so wie wir das in den letzten Jahren auch geschafft haben“, sagte der Sportdirektor, der diese Entscheidung gemeinsam mit Terzic und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke treffen werde.
Der BVB sucht den Reus-Nachfolger
Das Stellenprofil umschreibt Kehl wie folgt: „Es war in der Vergangenheit immer jemand, der eine Persönlichkeit ist, die sich auf seine Art und Weise einbringt, Verantwortung übernimmt, auch in schwierigen Momenten. Man wünscht sich jemanden, der für Dinge einsteht, sie vertritt und der verlängerte Arm des Trainers in die Kabine und der Ansprechpartner für den Verein ist. Wir werden den richtigen Kandidaten finden.“
Das sind die BVB-Kandidaten:
Emre Can: Nach dem Weggang von Jude Bellingham und dem geplatzten Wechsel von Edson Alvarez ist er allein positionstechnisch prädestiniert für diesen Job. Can verfügt über internationale Erfahrung, definiert sich selbst als Führungs- und Mentalitätsspieler und hat sich nach seinem Wechsel im Januar 2020 von Juventus Turin zum BVB in seinen Leistungen stabilisiert. Doch er muss die Qualitäten aus der Rückrunde konservieren. Zudem hält Terzic große Stücke auf ihn. Grundvoraussetzung für die Rolle als Kapitän wäre allerdings, dass die von beiden Seiten angestrebte, aktuell aber noch unterschiedlich definierte Ausweitung seines Vertrages zustande kommt. Vielleicht ist die Kapitänsbinde aber auch ein interessanter Bonus für Can.
Niklas Süle: Allen Fitness-Debatten zum Trotz ist Süle ein heißer Kandidat auf das Amt des BVB-Kapitäns. Der Ex-Münchner wurde direkt nach seiner Ankunft in Dortmund in den Mannschaftsrat beordert, genießt im Verein sehr große Wertschätzung. Und Süle will Verantwortung übernehmen. Schon in der letztjährigen Sommer-Vorbereitung stellte er klar: „Ich sehe mich in der Verantwortung, gehöre zu den Erfahrenen und will vorweggehen – mit Leistung und medial, wenn es mal nicht so läuft.“ Nach dem Akklimatisierungsjahr muss man ihm diese Rolle auch uneingeschränkt übertragen können. „Er wollte sich auf diese Saison besser, intensiver vorbereiten. Wenn Niklas gesund bleibt, an seinen Themen arbeitet, dann wird er noch viel, viel besser werden“, sagt Kehl über den Innenverteidiger. Sehr wahrscheinlich, dass er mindestens einer der drei Kapitäne wird.
Nico Schlotterbeck: Der Innenverteidiger wäre die Youngster-Lösung. Schlotterbeck ist mit Abstand der Unerfahrenste aller Kandidaten, bringt allerdings viele wichtige Charakteristika mit: Mentalität, Siegeswillen, Kritikfähigkeit und in positiver Art ein großes Mundwerk. In einigen Partien hat der 23-Jährige seine Führungsqualitäten angedeutet, an Selbstbewusstsein mangelt es ihm zweifelsfrei nicht. Er muss es allerdings besser dosieren und die teils fatalen Böcke abstellen, die aus Übermut und Leichtsinnigkeit resultieren. Traut man ihm das zu, sollte er in der Hierarchie weiter aufsteigen. Schlotterbeck wäre mindestens das junge Pendant zu Bellingham als dritter Kapitän. Gut möglich, dass der BVB aber auch den ganz großen Schritt wagt.
Gregor Kobel: Der Torhüter ist DIE Wunschlösung der Fans. Bei einer Abstimmung der Ruhr Nachrichten landet der Schweizer mit über 50 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Platz eins. Die Gründe liegen auf der Hand: Kobel gehört seit zwei Jahren zu den absoluten Leistungsträgern, hat sportlich wie menschlich in seiner zweiten BVB-Saison einen sicht- und hörbaren Reifeprozess durchlaufen. Rein auf das von Kehl beschriebene Stellenprofil bezogen, müsste Kobel der klare Favorit auf die Binde sein. Die Frage ist: Machen Kehl, Terzic und Watzke einen Torwart zum Kapitän? Einige Klubs schließen das kategorisch aus, andere – wie der FC Bayern – zeigen, dass es wunderbar funktionieren kann. Und: Das Amt und das damit verbundene Vertrauen wäre ein dickes Faustpfand in weiteren Vertragsgesprächen mit Kobel.
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