Es lässt sich trefflich darüber spekulieren, wie das mediale Echo auf das Interview von Niclas Füllkrug nach dem 1:2 in Stuttgart vor gut einer Woche ausgefallen wäre, wenn der Angreifer noch im Trikot des SV Werder Bremen gesteckt hätte. An der Weser wäre man wohl recht schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen, in Norddeutschland sieht man manche Dinge eben gelassener als anderswo. Vielleicht ja auch, weil Leistungen wie die der Dortmunder Borussia in Stuttgart dort häufiger mal vorkommen – und die Ansprüche an den SV Werder naturgemäß ganz andere sind.
Unruhe beim BVB ist zurück
In Dortmund hatte Füllkrug nach seiner erstaunlich offenen und schonungslosen Analyse der 90 Minuten zuvor stattdessen eine Diskussion darüber am Hals, ob er nach nur zweieinhalb Monaten beim BVB da vor den Mikros von „Sky“ gerade eine Breitseite gegen den Trainer abgefeuert hatte. Und Füllkrug musste die große Bühne der Pressekonferenz bei der Nationalmannschaft nutzen, um seine Worte erklärend einzuordnen und wieder einzufangen.
Die Interpretation der Aussagen des Stürmers passten zur nun wieder stürmischen Stimmung in Dortmund. Da könnte angesichts der nun anstehenden happigen Aufgaben ein Herbststurm heranziehen. Die Art und Weise, wie der BVB im Schwabenland verloren hat, hat die Stimmung kippen lassen. Im engen Vereinsumfeld war man nach einem der schwächsten Spiele der jüngeren Vergangenheit entsetzt über einen derartig deutlichen Leistungsabfall. Über die Gründe darf dabei gerätselt werden. Das Wort „unerklärlich“ fiel an vielen Stellen, Ausdruck einer großen Ratlosigkeit, die sich in den Stunden nach der Partie breit machte. Drei Spiele, 14 Tage – innerhalb dieser kurzen Zeitspanne handelte sich der BVB acht Zähler Rückstand auf die Bayern ein, noch zwei mehr sind es nun auf Tabellenführer Leverkusen.
Die Unruhe ist zurück. Dabei war das 0:4 gegen die Bayern noch als Ausrutscher durchgegangen. Drei Tage später besiegte die Mannschaft in der Champions League Newcastle und sprang an die Spitze der schwierigen Gruppe F. Vor dem Bayern-Spiel hatte Dortmund mit einer reifen Leistung Hoffenheim im Pokal besiegt, was als prompte Reaktion auf das 3:3 in Frankfurt verstanden werden konnte. Zweifel am grundsätzlichen Kurs der vergangenen Wochen, in denen sich der BVB nicht nur Punkte erarbeitet hatte, sondern auch spielerische Fortschritte nachwies, konnte die Mannschaft also schnell wieder ersticken. Dann aber kam Stuttgart, das es am Ende noch gnädig machte mit der Borussia – und sich ankreiden lassen musste, im Duell „alle Stuttgarter gegen Gregor Kobel“ viel zu oft den Kürzeren gezogen zu haben.

Über eine deutlichere Niederlage hätte sich Borussia Dortmund nicht beschweren können. Sie hätte freilich nur noch verstärkt, was jetzt schon rund um den Borsigplatz zu spüren ist. Es rumort in Dortmund. Und plötzlich sind die Kritiker zurück, die Zweifler auch.
BVB-Profi Brandt findet Kritik überzogen
Wie schnell in Dortmund Dinge in Unordnung geraten, wie schnell Unruhe entsteht und wie bisweilen selbstzerstörerisch die Fans auf sportliche Rückschläge ihrer Mannschaft reagieren und gleich alles in Frage stellen, darüber wird sich Füllkrug sicher wundern. Er ist ja noch nicht so lange dabei. Aber er ist in guter Gesellschaft. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir der Verein sind, der ganz gerne auserkoren wird, um dort Unruhe zu stiften“, sagte Julian Brandt nun in einem Interview mit der „Sport Bild“. „Die Niederlage gegen Bayern war unsere erste in der Bundesliga in dieser Saison und die zweite im kompletten Jahr – im November“, meinte der 27-Jährige.
Eine merkwürdige Sichtweise nach einem Auftritt wie im Schwabenland. Immerhin: So, wie beim 1:2 gegen den VfB Stuttgart dürfe sich die Mannschaft nicht präsentieren, gestand Brandt. „Aber man muss das Ganze schon richtig einordnen: Wir stehen aktuell auf Platz eins in der Knallergruppe überhaupt der Champions League und sind im Achtelfinale des DFB-Pokals. Aber trotzdem kommen immer wieder Themen auf, bei denen du dir denkst: Puh…“
Große Erwartungshaltung in Dortmund
Nun ist Brandt im Gegensatz zu Füllkrug lang genug in Dortmund, dass er um diese Empfindlichkeiten eigentlich wissen müsste. Fakt ist, dass das Anspruchsdenken über die Jahre mindestens so gewachsen ist wie die Umsatzerlöse, die die Borussia wirtschaftlich in neue Sphären katapultierten und nun zumindest vom großen Rest der Liga trennen. Wer deutlich mehr ins kickende Personal investieren kann, steht mehr unter Druck, von dem wird dann auch mehr erwartet. Und wer diese Erwartungen nicht bedienen kann, der muss mit Unruhe im Umfeld rechnen.

In dieser Spirale, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint, steckt Borussia Dortmund schon seit Jahren fest. Seitdem der Klub zwei Mal, ein Mal sensationell, im Jahr darauf mindestens ebenso überraschend, Meister wurde, ist die Sehnsucht nach dem neunten Meistertitel mit jedem Jahr Bayern-Dominanz immer weiter gewachsen. Zum Teil in unrealistische Höhen.
Der BVB und die Herbstdepression
Wenn Edin Terzic darüber reden muss, warum seine Mannschaft Spiele abliefert, in denen sie dramatisch von ihrem Niveau abweicht, spricht der Dortmunder Trainer oft vom „bekannten Gesicht“, das man seit Jahren kenne. In der Tat fällt auf, dass ausgerechnet im Herbst in Dortmund viel zu oft die Depression Einzug hält. Die Parallelen zu den Vorjahren sind unverkennbar. Vor einem Jahr verlor Dortmund die letzten beiden Partien vor der WM-Pause, zwei entscheidende Rückschläge im Kampf um eine gute Ausgangsposition für den Angriff auf die Ligaspitze. Nur dank der Aufholjagd im Frühjahr gab es das dramatische Titel-Finale. Doch so eine Aufholjagd wird nicht immer gelingen.
Vor zwei Jahren, unter Marco Rose, gab es im November und Dezember nur drei Siege in sieben Liga-Spielen. Vor drei Jahren löste Terzic im Dezember Lucien Favre ab – nach zuvor vier Niederlagen in den letzten beiden Monaten des Kalenderjahrs. Unverkennbare Parallelen zu dieser Saison, die die Besorgnis wachsen lassen. Vielleicht liegt da die Ursache für die für Brandt nicht erklärbare schnell aufkommende Unruhe in Dortmund. Es ist wieder Herbst – und der BVB könnte schon entscheidend an Boden verloren haben
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