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Sancho gut, Dortmund gut: BVB-Abschied im Sommer ist keineswegs beschlossen
Borussia Dortmund
Von Manchester Citys Reserve zur heißesten Aktie auf dem Transfermarkt: Jadon Sancho hat dem BVB viel zu verdanken - und umgekehrt. Noch ist sein Abschied im Sommer nicht fix.
Mit Überraschungsmomenten kennt sich Jadon Sancho genau aus. Wer seinen Spielstil beschreibt, könnte formulieren, dass dieser 19-jährige Engländer immer bemüht ist, das Unerwartete zu versuchen. Den anderen Weg zu gehen. Auf dem Spielfeld. In seiner Karriere. Und in einer feinen, kleinen Episode auch am vergangenen Samstag.
Die Effizienz des Jadon Sancho beim BVB ist schlicht phänomenal
An die goldene Reporter-Regel, niemals das Mikrofon aus der Hand zu geben, konnte sich Philipp Oppel nicht halten. Für BVB-TV wollte er nach dem Spiel in Bremen Jadon Sancho um eine Einschätzung bitten, da überrumpelte der Spieler den Interviewer. Kurzerhand entwand Sancho Oppel das Mikro, schnurrte in exakt 14 Sekunden eine Blitzanalyse der Partie in die Kamera und verabschiedete sich, „see you next week“.

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Ein Teil seiner Erklärung beschreibt ganz anschaulich die Entwicklung von Borussia Dortmunds Topscorer, dem sein früherer Trainer Peter Stöger anfangs bei aller Achtung für das Talent noch absprach, zielgerichtet zu spielen, „dann hat es etwas von Zirkus“, meinte der Österreicher. Doch die Flausen, die einen Teenager auf dem Rasen schon mal den richtigen Moment für das Abspiel verpassen lassen, hat sich Sancho längst austreiben lassen. Seine Effizienz ist, wenige Wochen vor seinem 20. Geburtstag, schlicht phänomenal.
Zirkus macht Sancho beim BVB schon lange nicht mehr
Am Samstag lieferte er in einer Partie, in der offensiv nichts wie selbstverständlich funktionierte, seinen 15. Assist in dieser Bundesliga-Saison, das ist absolut spitze. In zuletzt zwölf Ligaspielen sammelte er erstaunliche 19 Scorerpunkte mit zehn Toren und neun Vorlagen. Nicht einberechnet sind die vorletzten Pässe, auch in dieser Wertung führt ihn die Statistik längst zweistellig. Wie bei der Entstehung des 2:0 in Bremen erfasst Sancho Raum und Möglichkeiten, Pass- und Positionsspiel. Auch sein Vorder-, Neben- und Hintermann Achraf Hakimi hat bereits zehn Vorlagen auf dem Konto. Borussias Offensivherz schlägt am rechten Fleck.
In seiner schlaglichtartigen Kurzanalyse hob Sancho hervor, dass es „ein schweres Spiel“ gewesen sei in Bremen. Aber eben eines, „wo man durch muss“. Wo es nicht darum geht zu glänzen. Wo es nicht um den dritten Übersteiger im gegnerischen Strafraum geht oder einen Tunnel an der Mittellinie. Sondern schlicht darum zu gewinnen. Keine Fehler zu machen und cool zu bleiben. Zirkus macht Sancho schon lange nicht mehr.
Sancho hat aus seinen Fehlern beim BVB gelernt
Da hat er aus seinen Fehlern gelernt, die er beispielsweise noch im November begangen hat. Nach 36 Minuten ausgewechselt in München, Verabredungen verpasst in Barcelona. Seitdem trumpft Sancho in für einen Millennial bemerkenswerter Konstanz auf. Längst hat er sich zum Unterschiedsspieler aufgeschwungen. Dass er wie in der Champions League gegen Paris Saint-Germain mal ohne eine spielentscheidende Szene vom Platz geht, wird zur Ausnahme. Sancho ist kaum zu bremsen. Und schwer zu halten für die Gegenspieler.
Doch gilt das auch für den BVB? Brillanz weckt Begehrlichkeiten. Seit einem Jahr erreichen die Dortmunder Chefs immer wieder Berichte über angebliche Angebote mit Summen weit jenseits der 100-Millionen-Euro-Marke. Derzeit aber liegt kein entsprechendes Papier auf dem Tisch der Bosse am Dortmunder Rheinlanddamm, es gibt keine offizielle Anfrage.
Sancho spielt in Dortmund seit Wochen in Topform
Nach außen kommuniziert der BVB in dieser Angelegenheit Gelassenheit, wie am Samstag Sebastian Kehl vor dem Spiel beim SV Werder Bremen. „Bei Jadon gibt es keinen neuen Stand, deswegen gehen wir relativ entspannt in die nächsten Wochen. Wir genießen es, dass er einen langfristigen Vertrag hat. Warum sollten wir uns Gedanken machen?“ Der Klub kann geduldig abwarten, was passiert. Sollte der Spieler auf einen Wechsel drängen, wofür es bislang keine Anzeichen gibt, hat er alle Hebel in der Hand.
An Anschauungsmaterial für Sanchos Stärke mangelt es nicht. Er spielt seit Wochen in Topform und alle Bedenkenträger, die ihm nach seinem Durchbruch in der vergangenen Saison ein schweres zweites Jahr prophezeit hatten, müssen längst Abbitte leisten. 2017 wegen fehlender Perspektive von Manchester City zum BVB gewechselt, hat sich Sancho nach zweieinhalb Jahren in Deutschland neben Robert Lewandowski und Timo Werner als einer der dauerhaft gefährlichsten Bundesliga-Angreifer etabliert. Klasse und Konstanz. Mit 19 Jahren. Sancho gut, Dortmund gut. Bei jedem guten Spiel des Flügelflitzers steigt sein Marktwert und die Wahrscheinlichkeit, dass seine Mannschaft Erfolg hat.
Sanchos Vertrag beim BVB läuft noch bis 2022
Im Oktober 2018 hat Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc den Ausbildungsvertrag in ein langfristiges Arbeitspapier für Sancho umgewandelt. Bis 2022 bindet ihn das - theoretisch - an den Klub. Mit seinen Bezügen bei der Borussia kann der englischen Nationalspieler sicher nicht mit seinen Teamkollegen bei den „Three Lions“ mithalten, die in der Premier League Dutzende Millionen Pfund scheffeln. Aber Sancho ist schlau genug wertzuschätzen, was er an Borussia Dortmund hat. „Ich liebe es hier“, erklärt er. Wenn er nach Toren wie jüngst gegen Eintracht Frankfurt mit der rechten Hand auf sein Herz und aufs BVB-Logo auf dem Trikot klopft, dann soll das keine sinnfreie Geste sein. Sancho ist aufrichtig dankbar für den Treibstoff, der ihm die zweite und dritte Zündstufe seines raketenartigen Aufstiegs ermöglicht hat.
Wohin ihn diese Karriere führt, örtlich und leistungstechnisch, das vermag Sancho nicht zu sagen. Er betont lieber, was er sich als Fußballer vornimmt, wenn er sagt: „Ich habe noch nicht mein allerbestes Niveau erreicht.“ Keineswegs sei es beschlossene Sache, dass Borussia Dortmund für ihn im Sommer ein abgeschlossenes Kapitel sei, heißt es. Der BVB darf weiter auf Überraschungsmomente seiner Nummer sieben hoffen, gerade wenn sie unerwartet kämen.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
