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Schwieriger Spagat für den BVB: Jadon Sancho zwischen Sündenbock und Genialität
Borussia Dortmund
Jadon Sancho entwickelt sich bei Borussia Dortmund zu einem der begehrtesten Spieler Europas. In Zeiten der sportlichen Krise pendelt der 19-Jährige zwischen Sündenbock und Genialität.
Ob er den Worten seines Chefs oben von Podium aus folgen konnte, der am Sonntag auf der Mitgliederversammlung deutliche Worte auch in Richtung der Dortmunder Spieler schickte, darf bezweifelt werden. Als eifriger Deutsch-Schüler ist Jadon Sancho bislang nicht in Erscheinung getreten, insofern ist es möglich, dass Hans-Joachim Watzkes Worte keine nachhaltige Wirkung entfalten.
Zusätzliche Unruhe für den BVB
Spötter könnten anführen, dass es jetzt ohnehin keinen großen Sinn mehr machen würde, die Deutsch-Kenntnisse zu vertiefen. Sanchos Abschied aus Dortmund wird für den kommenden Sommer erwartet, spätestens, denn längst wird in seinem Heimatland auch darüber spekuliert, ob der 19-Jährige nicht sogar schon im Winter dem BVB den Rücken kehren könnte. Von angeblichen „Fluchtgedanken“ des Ausnahme-Talents ist in englischen Medien die Rede. Die sollen von einer (ebenfalls angeblich) großen Verärgerung des Offensiv-Spielers herrühren.
Die im noch relativ jungen, von renommierten Journalisten gestützten Online-Portal „The Athletic“ gestreuten Informationen aus Sanchos Umfeld sorgen für zusätzliche Unruhe vor dem für den BVB äußerst wichtigen Champions-League-Spiel beim FC Barcelona am Mittwoch. Sancho sei extrem verbittert, berichtet das Portal, nachdem er zuletzt auch viele negative Schlagzeilen über Verspätungen und eine mangelhafte Einstellung über sich lesen musste. Sancho fühle sich vom BVB „gedemütigt, ungeschützt und zum Sündenbock erklärt“, zitiert „The Athletic“ aus dem Umfeld des 19-Jährigen.
Zorc in regelmäßigem Kontakt mit Sanchos Beratern
Hintergrund seien mehrere Vorgänge, die Sancho „traurig und verwirrt“ hätten. Das Portal nennt Sanchos Suspendierung für die Bundesliga-Partie gegen Borussia Mönchengladbach, nachdem er vor dem Spiel verspätet von der Nationalmannschaft-Reise zurückgekommen war, sowie seine frühe Auswechslung beim 0:4 in München noch vor dem Pausenpfiff, der nach der Partie eine ungewohnt deutliche persönliche Kritik des Trainers in der Öffentlichkeit folgte. Die Auswechslung habe der Spieler als „schmachvoll“ empfunden.

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Dazu würde Sancho verwundern, wie offen der BVB mit einem baldigen Verlust des Spielers umgehen würde. Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc klopfe regelmäßig bei der Berater-Agentur Sanchos dessen Wechselabsichten ab - dabei habe die Sancho-Seite bereits im Sommer versichert, dass ein Transfer nicht im Winter und vor Ende der laufenden Saison in Frage käme.
BVB hat Sancho in der Vergangenheit viele Brücken gebaut
Interessenten für Jadon Sancho sollen laut „Athletic“ ungeachtet der momentanen Formdelle Schlange stehen. Fast alle englischen Spitzenvereine werden genannt, an der Spitze Jürgen Klopps FC Liverpool. Mit vier Treffern und sieben Vorlagen in der Bundesliga ist der Engländer Borussia Dortmunds torgefährlichster Offensivspieler, er war auch beim blamablen 3:3 gegen Paderborn einer derjenigen, der fähig war, sich nach der katastrophalen ersten Hälfte aufzubäumen.
Die Kritik aus England, wohl von Sanchos Berater-Agentur gezielt gestreut, dürfte in Dortmund auf große Verwunderung stoßen. Der BVB hat dem Super-Talent viele Brücken gebaut in der Vergangenheit, einige Eskapaden als Ausdruck der noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeits-Entwicklung toleriert, ihn an der langen Leine gelassen und ihm immer wieder auch öffentlich den Rücken gestärkt. „Er testet seine Grenzen aus“, hatte Sportdirektor Michael Zorc am Wochenende von Sanchos Suspendierung erklärt, „das ist normal für sein Alter. Aber wir sind dafür da, ihm die Grenzen zu setzen.“ Sancho sei gleichwohl „ein anständiger und normaler Junge“.
Sancho sollte sich Favres Worte zu Herzen nehmen
Es ist ein schwieriger Spagat für Borussia Dortmund und Trainer Lucien Favre. Sie brauchen die Unberechenbarkeit Sanchos auf dem Platz, seine Genialität und sein Gespür für die richtige Offensivaktion. Auch wenn ihm zunächst wie allen anderen nichts gelang gegen Paderborn, war er doch der Spieler, der die entscheidenden Szenen kreierte. Dass er auch als Fußballer noch nicht ausgereift ist, haben die vergangenen Wochen gezeigt. „Er hat großes Talent“, hat Favre kürzlich treffend beschrieben. „Aber um eine besondere Karriere zu haben, muss er noch sehr viel arbeiten.“

Beim Spiel in München wurde Sancho nach einem lustlosen Auftritt bereits nach 36 Minuten ausgewechselt. © Kirchner/Christopher Neundorf
Außergewöhnliche Spieler würden ihren Status nicht allein durch Begabung erwerben, dazu gehöre auch viel Fleiß. Sancho wäre gut beraten, sich Favres Worte zu Herzen zu nehmen. Am besten noch im BVB-Trikot.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
