
Eckball Julian Brandt, Kopfballtreffer Thomas Meunier: Beim BVB war das in der abgelaufenen Saison eine durchaus erfolgreiche Co-Produktion. © imago / Moritz Müller
Roses Erbe beim BVB: Terzic darf sich auf eine wiedergewonnene Stärke freuen
Borussia Dortmund
Marco Rose ist beim BVB Geschichte. Er hinterlässt allerdings ein Erbe, über das sich Neu-Coach Edin Terzic freuen kann. Borussia Dortmund hat zuletzt eine alte Stärke neu entdeckt.
Als Thomas Meunier Mitte Januar beim 5:1-Sieg gegen den SC Freiburg gleich zweimal nach einem Eckball von Julian Brandt per Kopf traf, reagierte der Belgier selbst ganz ungläubig. „Können wir von einem Wunder sprechen?“, fragte er bei Twitter. Doch der doppelte Erfolg war keinem Mysterium geschuldet. Er hatte ganz irdische Ursachen und war in erster Linie das Resultat kontinuierlicher Arbeit.
BVB nach Freiburg erfolgreichstes Team nach ruhenden Bällen
Borussia Dortmund hat es in der gerade abgelaufenen Saison geschafft, eine einstige Schwäche in eine Stärke zu verwandeln. 22 Mal hat der BVB nach Standardsituationen in der Bundesliga getroffen Nur der SC Freiburg (24) erzielte mehr Treffer nach ruhenden Bällen. Das dürfte eng mit Marco Rose und seinem Trainerteam zusammengehangen haben. Schon bei Borussia Mönchengladbach gab es unter Rose eine ausgeprägte Standardstärke. Die hatte der Coach auch nach Dortmund importiert. Dem neuen Trainer Edin Terzic wird daran gelegen sein, diese Stärke zu kultivieren.
Dass der BVB in dieser Disziplin neue Standards gesetzt hat, belegen auch die weiteren Zahlen eindeutig: In der Vorsaison traf der BVB lediglich 13 Mal nach ruhenden Bällen. Die Schwarzgelben haben ihre Trefferquote nach Standardsituationen auch insgesamt deutlich verbessert. In der abgelaufenen machten die 22 Standard-Tore 26 Prozent der gesamten Treffer aus gegenüber 17 Prozent in der Vorsaison. Einsame Spitze ist auch hier der SC Freiburg, der satte 41 Prozent Tore nach Standards erzielte.
BVB-Spezialisten Zickler und Ackermann leisteten wertvolle Analyse
Dass ruhende Bälle gerade gegen tiefstehende und engmaschig agierende Gegner ein probates Mittel sind, wusste auch Marco Rose. Schon in der Vorbereitung im letzten Sommer ließ der damalige BVB-Chefcoach deshalb vor allem das Positions- und Stellungsspiel bei eigener Ecke einstudieren. In manchen Übungseinheiten griff Rose nahezu nach jeder Ausführung korrigierend ein. Mit Erfolg: Tore nach Eckbällen (von Julian Brandt) gab es nicht nur beim Doppelpack von Thomas Meunier gegen Freiburg, sondern beispielsweise auch von Steffen Tigges beim 2:0 gegen den 1. FC Köln und von Tom Rothe bei seinem Bundesliga-Debüt gegen den VfL Wolfsburg. „Die Jungs wissen, was sie zu tun haben. Die Jungs kennen ihre Wege“, registrierte Ex-Trainer Marco Rose zufrieden.
Dabei profitierten die Spieler von der Vorarbeit durch Co-Trainer Alexander Zickler und Video-Analyst Daniel Ackermann, die das Thema im Detail für die Vor- und Nachbereitung analysierten und anschaulich machten. So war die Mannschaft nicht nur nach Eckbällen erfolgreich – auch nach Freistößen klingelte es beim Gegner. Fünf Tore haben die Dortmunder nach Freistößen erzielt und liegen damit über dem Durchschnitt (3,9), aber weit hinter den auch in dieser Hinsicht exzellenten Freiburgern (10). Doch auch hier lohnt der Vergleich zum Vorjahr, als dem BVB lediglich zwei Tore nach Freistößen gelangen.
BVB vom Elfmeterpunkt erfolgreichster Bundesligist
Was die Zahl direkt verwandelter Freistöße angeht, gibt es keinerlei Veränderung. Raphael Guerreiros Treffer zum 3:3 gegen Bayer Leverkusen am 4. Spieltag war ein Unikum. Auch in der Spielzeit 2020/2021 gelang dem BVB nur ein Treffer direkt per Freistoß. Signifikant zugelegt haben die Borussen dagegen bei Elfmetern. Elfmal traf der BVB vom Punkt – Liga-Bestwert. Sechs davon verwandelte Erling Haaland. In der Vorsaison erzielten die Schwarzgelben nur drei Treffer per Strafstoß. Auch Elfmeter fließen in die Treffer-Statistik nach ruhenden Bällen ein, was die totalen Zahlen beeinflusst. Dennoch lässt sich festhalten, dass sich der BVB bei Standardsituationen deutlich verbessert hat.
Das zeigt sich insbesondere im Vergleich zu den drei Saisons zuvor. Prozentual hat der BVB in dieser Saison 26 Prozent seiner Treffer nach ruhenden Bällen erzielt - gegenüber 17 Prozent (20/21), 7 Prozent (19/20) und 20 Prozent (18/19). Standardsituationen führten auch viel häufiger zu Torschüssen. Das war in der abgelaufenen Serie 108 Mal der Fall - gegenüber 86 Torschüssen (20/21), 81 Torschüssen (19/20), 102 Torschüssen (18/19). Zugelegt hat die Borussia auch bei Toren nach Freistößen. Fünfmal jubelte der BVB - häufiger als 20/21 (2) und 19/20 (1), aber seltener als noch 18/19 (7). Die Dortmunder sind also nicht nur in absoluten Zahlen besser geworden, sondern auch in vielen übrigen Paramatern.
Edin Terzic muss die Entwicklung beim BVB vorantreiben
Ex-Coach Marco Rose sah trotz der positiven Entwicklung bei Standardsituationen „noch eine Menge Luft nach oben“. Es ist daher an Edin Terzic und seinem Trainerteam, die Entwicklung weiter voranzutreiben. Klar ist: Auch Terzic hätte sicher nichts gegen weitere (Kopfball-)Treffer à la Meunier nach Eckbällen einzuwenden. Dann wären sie für den Belgier selbst sicher auch kein „Wunder“ mehr, sondern vielmehr fester Bestandteil im Repertoire des BVB. Im besten Fall wird der ruhende Ball in Dortmund zu einer neuen Standard-Stärke.
Cedric Gebhardt, Jahrgang 1985, hat Germanistik und Politikwissenschaft an der Ruhr-Uni Bochum studiert. Lebt aber lieber nach dem Motto: „Probieren geht über Studieren.“ Interessiert sich für Sport – und insbesondere die Menschen, die ihn betreiben. Liebt Wortspiele über alles und kann mit Worten definitiv besser jonglieren als mit dem Ball. Schickt deshalb gerne humorige Steilpässe in die Spitze.
