Rickens turbulentes Jahr als BVB-Geschäftsführer Macht-Gerangel, Entlassungen und sportliche Krise

Rickens turbulentes Jahr als BVB-Geschäftsführer: Macht-Gerangel, Entlassungen und sportliche Krise
Lesezeit

An seinem ersten offiziellen Arbeitstag hat Lars Ricken gleich Überstunden gemacht. Ab morgens im Büro, trotz Feiertag! Und abends dann das Halbfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Paris Saint Germain. Ein 1:0, das im Dortmunder Stadion gefeiert wurde, wie man solche Flutlichtabende eben feiert. Auch Ricken strahlte mit den Fans um die Wette. Eine Woche später qualifizierte sich der BVB mit einem erneuten 1:0 in Paris für das Finale des wichtigsten UEFA-Vereinswettbewerbs, knapp vier Wochen später stand Ricken in London in dem Stadion, wo er elf Jahre zuvor vor dem deutschen Finale in einer Ritterrüstung steckend mit Münchens Paul Breitner den Henkelpott ins Stadion getragen hatte.

BVB-Neuling Ricken gleich gefordert

Diese vier Wochen, kann man rückblickend sagen, haben dem Ur-Dortmunder Ricken nur einen Vorgeschmack gegeben, auf was er sich da eingelassen hat, als er der Berufung von Vorstands-Boss Hans-Joachim Watzke folgte und den Posten des neu geschaffenen Geschäftsführers Sport übernahm. Ein intensiver Monat, dem eine turbulente Saison mit sportlichem Misserfolg und vielen Nebenkriegsschauplätzen folgte. 365 Tage im Schleuderwaschgang des notorisch aufgeregten Profi-Business im Fußball. Und in Dortmund dreht sich die Wäschetrommel immer besonders schnell.

Nach dem Ende der Saison, das ein 0:2 im Wembley-Finale gegen Real Madrid besiegelte, hatte Ricken nicht lange Zeit, der verpassten Chance hinterher zu trauern. Der Job duldet keine Sentimentalitäten, auch das ist rückblickend heute, ein Jahr nach seinem Amtsantritt am 1. Mai 2024, ein Learning für den 48-Jährigen gewesen.

Als sich Watzke im Sommer des vergangenen Jahres dann offiziell aus dem operativen Geschäft der sportlichen Leitung zurückzog, lastete die gesamte Verantwortung auf Rickens Schultern. Weiterentwicklung der Profi-Mannschaft, Optimierung der Rahmenbedingungen, Weiter-Entwicklung der Nachwuchs-Konzepte, Steuerung der Zuständigkeiten und der Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen – alles landete auf dem Schreibtisch von Lars Ricken. Dazu kleine Transfers, große Transfers, Wünsche der einzelnen Abteilungen – und nicht zuletzt schwierige Personal-Entscheidungen. Ricken musste schneller Stärke und Entschlossenheit demonstrieren, als das einem Neuling auf einem neu geschaffenen Posten eigentlich zuzumuten gewesen wäre.

Ricken trifft harte BVB-Entscheidungen

Schon in seinem ersten Sommer-Trainingslager moderierte er in der Schweiz das von den Ruhr Nachrichten aufgedeckte Kompetenz-Gerangel zwischen Sportdirektor Sebastian Kehl und Kaderplaner Sven Mislintat. Der Streit schwelte monatelang mehr oder weniger öffentlich weiter, ehe dem Geschäftsführer im Februar der Kragen platzte. Ricken zog die Reißleine und feuerte Mislintat.

Das war nicht die einzige schwierige Personalmaßnahme. Wenige Wochen zuvor teilte Ricken in den Stunden nach dem verlorenen Champions-League-Spiel in Bologna Cheftrainer Nuri Sahin seine Freistellung mit. Das war die direkte Konsequenz aus einem sportlichen Niedergang, den wohl auch Ricken im Sommer niemals für möglich gehalten hätte.

Fünf spektakuläre BVB-Transfers

Da sprach der 48-Jährige noch in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ von einem „coolen Mix“, den man im Kader vorfinden würde. Fünf Verpflichtungen von namhaften Bundesliga-Spielern (Serhou Guirassy, Waldemar Anton, Maximilian Beier), einem Talent aus Südamerika (Yan Couto) und England-Rückkehr Pascal Groß fallen als erste spektakuläre Transfers in seine Verantwortung uns sollten den Königsklassen-Finalteilnehmer BVB auch fit für einen Meister-Anlauf in der Bundesliga machen. Ricken lobte seinerzeit die kompetenz-übergreifend gute Arbeit beim Eintüten dieser Transfers.

Nuri Sahin und Lars Ricken sprechen miteinander.
Die erste harte Entscheidung: Lars Ricken musste Trainer Nuri Sahin freistellen. © IMAGO/Kirchner-Media

Von den nach immer neuen sportlichen Rückschlägen stärker werdenden Strömungen wurde Lars Ricken in den folgenden Monaten zum Teil mitgerissen. Er hat ein Jahr unter Dauerfeuer erlebt, mit immer wieder auflodernder Kritik am Kader und an der Führung. In Edin Terzic verließ wenige Tage nach dem verlorenen Endspiel in London der Trainer die Borussia, zu dem Ricken eine persönliche Freundschaft pflegt. Die Beförderung von Nuri Sahin war getragen von der Hoffnung, einen neuen Trainer installiert zu haben, der mit ebenso viel Hingabe zum Verein für eine neue Ära stehen könnte. Sie platzte im nasskalten Januar abrupt.

BVB-Freundschaft zu Sammer

Wunsch und Wirklichkeit passten oft nicht zusammen in Rickens erstem Jahr. Das war ihm in vielen Fällen nicht anzulasten. Der sportliche Dauer-Misserfolg überstrahlte alles, auch die intern weiter problematischen Kompetenz-Rangeleien. Neben Mislintat mussten einige weitere Mitarbeiter aus dem Umfeld der Profimannschaft gehen, Ricken scheute sich auch vor einem Machtwort an Berater Matthias Sammer nicht, der öffentlich den Zustand der Mannschaft im Winter als „vernichtend“ beschrieben hatte. Auch mit Sammer pflegt der neue starke Mann der Borussia eigentlich eine enge Freundschaft.

Es war ein lehrreiches Jahr für alle im Klub, zuvorderst für den neuen Chef selbst, der sich rasend schnell die Hörner abstoßen musste und längst nicht alle Ziele erreicht hat. Auch wenn noch offen ist, auf welchem Platz der BVB ins Ziel einläuft: Die Bundesliga-Saison war eine Katastrophe, nicht „eine 3-“ , wie er sie selbst im Spätherbst mal tituliert hat, als es schon erkennbar nicht gut lief.

BVB in der Verfolgerrolle

Den Status des „zweiten Leuchtturms“ muss sich der BVB aus der Verfolgerrolle heraus zurückerobern. Das verlangt auch in diesem Sommer viele gute und richtige Entscheidungen. Denn Konkurrenten wie Frankfurt haben Dortmund überholt, Leverkusen war dies schon im Vorjahr gelungen. Andere wie Freiburg und Stuttgart haben aufgeholt. Das Rennen um die vier Plätze am Königsklassen-Gabentisch wird viel verbissener geführt als noch vor Jahren.

Lars Ricken betritt das Podium
Der wichtigste Transfer: Lars Ricken (r.) stellt Niko Kovac als neuen Trainer vor. © IMAGO/RHR-Foto

Auch bei Rickens jahrelangem Steckenpferd und Kompetenz-Gebiet, der Ausbildung und Heranführung von Talenten an den Profikader, gibt es viel zu tun. Die Entwicklung vieler dieser Spieler hat gestockt in dieser Saison, auch verursacht durch die großen Probleme in der Profimannschaft. Es war zu viel verlangt im Winter, von den jungen Kerlen wie Kjell Wätjen, Cole Campbell oder Almugera Kabar die Rettung einer missratenen Saison zu erwarten. Der Mut, die Nachwuchskicker in einem bewusst klein gehaltenen Kader stark in die Verantwortung zu nehmen, wurde nicht belohnt. Als Ricken noch Leiter des Nachwuchs-Leistungs-Zentrums (NLZ) war, gewann der BVB im U-Bereich Titel in schöner Regelmäßigkeit. Auch da hat die Konkurrenz mittlerweile aufgeholt.

Erst Kovac stabilisiert den BVB

Mit der Verpflichtung von Niko Kovac im Februar war die wichtigste Personalentscheidung Rickens im Winter gleichwohl erfolgreich. Der Ex-Profi hat die Mannschaft mit seiner ruhigen Art nach Anfangsschwierigkeiten stabilisiert, es ist folgerichtig, ihm nun weiter zu vertrauen. Mit besseren Resultaten kehrte in den vergangenen Wochen Stück für Stück auch der Optimismus zurück.

Doch es bleibt genug zu tun. Zwölf Monate ist Ricken nun im Amt, vielleicht werden sie ihm vorkommen wie Jahre. Genug ist passiert für so eine Zeitspanne, und die nächsten Herausforderungen warten. Wieder steht ein Umbruch an, Ricken muss aber nicht nur den Profi-Kader optimieren. Er muss auch entscheiden, ob dies in der aktuellen Personalkonstellation unter ihm mit einer großen Wahrscheinlichkeit gelingen kann. Und er wird noch stärker im Licht der Öffentlichkeit stehen, wenn Watzke im Herbst seinen Vorstandsposten endgültig räumt.