Raphael Guerreiro und das Bangen um die BVB-Lieblingsposition

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Raphael Guerreiro und das Bangen um die BVB-Lieblingsposition

rnBorussia Dortmund

Raphael Guerreiro hat beim BVB eine herausragende Saison gespielt. Das lag auch an seiner Position. Der Europameister würde sie am liebsten behalten, aber sicher erscheint das nicht.

Dortmund

, 20.08.2020, 08:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Raphael Guerreiro geht in seine nunmehr fünfte Saison bei Borussia Dortmund. Die vergangene Spielzeit, Guerreiros viertes Jahr beim BVB, war vermutlich seine stärkste in Schwarz und Gelb. Nur in seinem ersten Jahr in Dortmund, in der Saison 2016/2017, spielte er unter Trainer Thomas Tuchel ähnlich groß auf.

Guerreiros Vielseitigkeit war immer ein Trumpf für die BVB-Trainer

Damals absolvierte Guerreiro 35 Pflichtspiele für den BVB, er erzielte sieben Tore selbst, legte neun Treffer auf. Tuchel schob den vielseitigen Linksfuß damals auf dem Platz umher wie die Dame beim Schach. Linkes Mittelfeld, linker Außenverteidiger, zentrales Mittelfeld: Guerreiro tauchte immer da auf, wo es gerade wichtig war.

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Das war unter Lucien Favre lange Zeit nicht anders. Der Portugiese spielte mal defensiv in der Viererkette hinten links, mal offensiv auf dem linken oder rechten Flügel. Guerreiros Vielseitigkeit war immer ein Trumpf für seine Trainer, sie ist es freilich auch heute noch, aber die vergangene Saison darf durchaus auch als Anhaltspunkt dafür gewertet werden, dass selbst flexible Spieler wie Guerreiro auf Dauer von einer festen Position profitieren.

Plötzlich hat Guerreiro beim BVB eine feste Position

In der vergangenen Spielzeit, die Guerreiro nach muskulären Problemen zu Saisonbeginn in der Folge erstmals verletzungsfrei durchspielen konnte, absolvierte er 38 Pflichtspiele, so viele wie noch nie für den BVB in einer Saison, erzielte acht Tore und legte fünf Treffer auf. Die nackten Scorerzahlen sind zwar schlechter als in Guerreiros Premieren-Saison in Dortmund, aber man muss die vergangene Spielzeit des BVB vermutlich in zwei Hälften teilen. Bis zum 13. Spieltag war Guerreiro der flexible Fußballer, der er in Dortmund seit seinem Wechsel vom FC Lorient zum BVB im Sommer 2016 (zwölf Millionen Euro Ablöse) immer war, ab dem 13. Spieltag hatte er bis zum Ende der Spielzeit plötzlich eine feste Position.

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Denn Favre entschied sich, als er im Herbst 2019 nach den Niederlagen gegen Bayern München (0:4) und den FC Barcelona (1:3) sowie einem 3:3-Unentschieden gegen den SC Paderborn unter enormen Erfolgsdruck geriet, das System zu wechseln. Statt auf sein favorisiertes 4-2-3-1-System setzte der Schweizer beim 2:1-Sieg bei Hertha BSC an jenem 13. Spieltag auf eine Dreierkette in der Abwehr, davor agierte ein Vierer-Mittelfeld, und vorne tobten sich drei Offensivspieler in ständig wechselnden Anordnungen aus. Rückblickend sagt der BVB-Trainer: „Wir haben in der Vorsaison das System gewechselt, weil wir ein paar Probleme hatten.“

In der Rückrunde avanciert Guerreiro zum absoluten Leistungsträger

Favre behielt dieses System - bis auf eine Ausnahme in der Rückrunde beim 3:4 in Leverkusen - bis zum Saisonende bei, Guerreiro lief, wenn er spielte, ab dem 13. Spieltag immer im linken Mittelfeld auf, mit einer Dreier-Abwehrkette im Rücken. Von seinen 13 Torbeteiligungen sammelte Guerreiro zehn nach dem 13. Spieltag, sogar neun nach der Winterpause. Vor allem in der Rückrunde avancierte Guerreiro zum absoluten Leistungsträger beim BVB.

Guerreiro, der seinen Vertrag beim BVB im vergangenen Herbst nach einigem Hin und Her bis zum 30. Juni 2023 verlängerte, sagt: „Das System mit Dreierkette ist das, das mir am besten gefällt. Es gibt mir Raum, nach vorne zu gehen - und ich weiß immer, dass noch jemand hinter mir ist, der mir Rückendeckung gibt. In der Viererkette ist es schwieriger, nach vorne zu gehen, weil man unsicherer ist, ob hinter einem vielleicht eine Lücke entsteht.“

BVB-Allrounder Guerreiro: „Meine Präferenz ist klar“

Doch auch Guerreiro hat bereits registriert, dass sein Trainer, öffentlicher Befürworter der Viererkette, das BVB-Trainingslager in Bad Ragaz dazu genutzt hat, um sein eigentlich bevorzugtes 4-2-3-1- beziehungsweise 4-3-3-System wieder auf den Lehrplan zu rufen. In den beiden Testspielen gegen den SCR Altach (6:0) und Austria Wien (11:2) spielte Guerreiro einmal als Linksverteidiger und einmal im zentralen Mittelfeld. Es klingt fast ein bisschen nach dem Prinzip Hoffnung, wenn der Europameister erklärt: „Bisher weiß ich noch nicht, mit welchem System wir in der nächsten Saison spielen. Es gab noch keine Teamsitzung, in der das klar besprochen worden ist. Meine Präferenz ist klar, aber wir sind Profis, und wir spielen am Ende natürlich da, wo es der Trainer für richtig hält.“

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Nach Achraf Hakimis Abgang zu Inter Mailand fehlt Favre womöglich das perfekte Pendant zu Guerreiro auf der rechten Seite, Neuzugang Thomas Meunier ist zumindest ein anderer Spielertyp. Und anders als Hakimi, der als Rechtsverteidiger in der Viererkette teils große Probleme in der Rückwärtsbewegung offenbarte, hat Guerreiro bereits ausdrücklich nachgewiesen, dass er auch als Linksverteidiger auf höchstem Niveau spielen kann. Guerreiro wäre wohl klar die erste Wahl für hinten links. Nationalspieler Nico Schulz hat ein schwaches erstes Jahr beim BVB hinter sich, Marcel Schmelzer fällt nach einer Knieoperation verletzt aus. Favre sagt zur Systemfrage: „Ich spiele lieber mit Viererkette, viele große Mannschaften spielen damit. Wir werden sehen, ob es möglich ist, damit zu spielen. Es ist einfacher, von der Vierer- zu Fünferkette zu wechseln. Aber wir werden sehen, es ist nicht gesagt, dass wir umstellen.“

Guerreiro spielt in der Nationalmannschaft „deutlich defensiver“

Als Beweis für Guerreiros Linksverteidiger-Qualitäten dienen seine Auftritte in der portugiesischen Nationalmannschaft, mit der er 2016 den Europameister-Titel feierte. „Bei der portugiesischen Nationalmannschaft trainieren wir immer und ausschließlich mit Viererkette“, sagt Guerreiro. Seine Aufgabe in der Mannschaft sei bei der Nationalelf „deutlich defensiver“ als beim BVB. Nicht auszuschließen, dass sich die Anforderungsprofile in Zukunft nachhaltig annähern werden, auch wenn Guerreiro darüber wohl gar nicht allzu glücklich wäre - aber noch darf er ja hoffen, dass alles so bleibt, wie es in der vergangenen Rückrunde war.