Pyrotechnik, Gewalt gegen Polizisten, Randale – bis auf die Minderheit der Ultras geißeln alle beteiligten Parteien die Eskalation beim Bundesliga-Spiel zwischen dem BVB und Hertha BSC. Polizeipräsident Gregor Lange erklärte: „Das Stadion ist kein rechtsfreier Raum.“ Einsatzleiter Edzard Freyhoff betonte, man könne „Gewalttäter, Chaoten und Kriminelle nicht weitermachen lassen, weil es zu gefährlich ist, einzugreifen“. Doch auch die Strategie der Polizei wird kritisiert.
Warum ist die Polizei, anders als bei vielen Spielen zuvor, gegen die Berliner Ultras vorgegangen?
Freyhoff, als Polizeiführer verantwortlich für das Handeln der Polizei im Stadion, sagt, er habe sich „die Entscheidung nicht leicht gemacht“. Ob gegen das Abbrennen von Pyrotechnik vorgegangen wird, sei jedes Mal eine Einzelfallentscheidung, die von vielen Faktoren abhänge. Hauptursächlich waren hier wohl drei Dinge: Erstens stand der Rauch unter dem Stadiondach und den Blöcken, was laut Aussage der Polizei bei zehn Besuchern zu Verletzungen führte. Das Abbrennen von weiterer Pyrotechnik wurde befürchtet, und in dieser Situation, das war wohl der stärkste Grund für das Eingreifen, lag das Banner der Ultras am Boden und war für die Beamten greifbar. Hinter dem Schutz dieses Banners war die erste Pyrotechnik angesteckt worden. Die Gelegenheit, das noch einmal zu tun, wollte die Polizei den Ultras nicht geben. „Wenn wir Chancen sehen, nutzen wir sie“, sagte am Montag Polizeipräsident Gregor Lange, der im Übrigen mehrfach den Einsatz lobte.
Warum hat die Polizei nicht Rücksprache mit dem Veranstalter und szenekundigen Beamten gehalten, um eine Eskalation zu vermeiden?
Wenn er, so sagt es Freyhoff, Fanvertreter gefragt hätte, wäre klar gewesen, welche Antwort er bekommen hätte: Bloß nicht an die Fahne gehen! Alles Weitere, nämlich dass eine solche Fahne für Ultras ein Heiligtum sei, das sie verteidigen, sei ihm und allen Beteiligten klar gewesen. Dennoch habe er sich dafür entschieden. Eine Entscheidung übrigens, die auch die Hundertschaft, die dann vor dem Block die Fahne ergriff und dann attackiert wurde, überrascht hat. Freyhoff: „Ich wusste, dass diese Entscheidung vielleicht mit der Verletzung von Kollegen einhergeht.“ Fünf Polizisten und ein Bundespolizist wurden leicht verletzt, alle sind dienstfähig.

Hinter und unter diesem Banner haben sich Berliner Ultras beim Zünden der Pyrotechnik versteckt. © dpa
Wie bewertet die Polizei in ihrer Analyse den Einsatz?
Im Nachgang wird nach außen die Sicht vertreten: Wir haben alles richtig gemacht. Rechtsfreie Räume seien bei der Clankriminalität nicht zuzulassen, das gelte genauso für das Stadion. „Abenteuerlich“, so Polizeipräsident Gregor Lange, sei daher die Fragestellung, warum die Polizei gegen das Abbrennen von Pyrotechnik und gegen die Ultras vorgegangen sei. Fakt ist aber, dass Pyrotechnik, deren Abbrennen meistens eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat ist, bei sehr vielen Bundesligaspielen nicht geahndet wird. Und an einen solchen Polizeieinsatz können sich auch langjährige Beobachter bei einem regulären Bundesligaspiel nicht erinnern. Lange nennt die Kritik an dem Einsatz „interessengeleitet“.
Wie ermittelt die Polizei? Ab wann ist mit Anzeigen und Urteilen zu rechnen und welche Strafen kommen auf die Gewalttäter zu?
Die Ermittlungskommission „Bär“ unter Leitung von Ronald Aßmus hat umfangreiches Videomaterial vorliegen, auch von Hinweisgebern aus der Bevölkerung. Damit sollen die mutmaßlichen Straftäter von geschulten und szenekundigen Beamten aus Dortmund und Berlin identifiziert und angezeigt werden. Ermittelt wird unter anderem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und sogar besonders schwerem Landfriedensbruch, wofür das Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft beträgt. Zusätzlich dürfte es bundesweite Stadionverbote hageln. Bei der Vielzahl von Pyrotechnik sind die Ermittlungsverfahren grundsätzlich schwierig. Wer hat (vermummt) welche Fackel angezündet und hochgehalten und ist für welche Rauchschwaden verantwortlich? Das ist kaum nachweisbar, wenn einem Täter Körperverletzungen zugeordnet werden sollen. Die Recherchen werden Monate andauern.
Steckt hinter dem Vorgehen der Polizei ein Strategiewechsel?
Auf Nachfrage räumt Gregor Lange ein, dass es mal eine andere Herangehensweise gab. Einen solchen Einsatz der Polizei vor Jahren wohl eher nicht gegeben hätte. Inzwischen aber ist die politische Lage eine andere, CDU-Innenminister Reul versucht mit mehr oder weniger großem Erfolg, im Bereich Sicherheit mit einer „Null-Toleranz-Strategie“ zu punkten. Das wird auch in den Polizeipräsidien wahrgenommen. Und in Dortmund nun auch im Stadion umgesetzt. Lange sagt, es musste ein Zeichen gesetzt werden: „Hier ist eine Polizei am Werk, die Regeln umsetzt.“ Sehr gut möglich also, dass, wenn die Polizei „Chancen sieht“, einzugreifen, sie es wieder tun wird.
Warum wurden die mutmaßlichen Täter eigentlich nicht vor Ort gestellt und identifiziert?
In dem Block, in dem sich die rund 150 Ultras aufhielten, stehen insgesamt 3500 Menschen. Wäre die Polizei hier tiefer eingedrungen, hätte es viele Verletzte geben können. Auch war das Spiel gegen Hertha BSC bei der Polizei als sogenanntes „Grün-Spiel“ klassifiziert. Einem Spiel also, bei dem wenig bis keine Auseinandersetzungen erwartet werden und dementsprechend wenig Polizeikräfte im Stadion sind. Die einzige realistische Chance, die mutmaßlichen Straftäter zu stellen, ergab sich, als die sich in der Halbzeitpause unter der Tribüne sammelten, Toiletten zerstörten und unter anderem mit der Keramik Polizisten bewarfen. Als sie dabei von der Polizei gestellt werden sollten, zogen sich die Ultras wieder in den Block zurück. Aßmus ist aber zuversichtlich, mithilfe des Videomaterials die mutmaßlichen Täter überführen zu können. Einerseits verfügt das Stadion über eine hochauflösende Kameratechnik, andererseits wurden der Polizei bereits Privataufnahmen zur Verfügung gestellt. (www.hinweisportal.de)

Die Einsatzkräfte der Polizei sind von den Ultras mit Pyrotechnik beworfen worden. © imago
Kritisiert die Polizei den BVB als Veranstalter für nicht ausreichende Kontrollen?
Nur indirekt. Polizeipräsident Lange lobt den BVB auf Nachfrage für die gute Zusammenarbeit, man kenne sich und arbeite schon lange zusammen. Lange sagt aber auch, dass er davon ausgehe, der BVB würde sich mit der Frage beschäftigen, wie das Schmuggeln von Pyrotechnik verringert werden könnte. Das sei eine drängende Frage, der sich alle Beteiligten stellen müssten. Der Hauptbeteiligte hier ist aber als Hausherr der BVB. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte: „Wenn es Fans immer wieder gelingt, Pyrotechnik gleich kiloweise in die Stadien zu schleppen, habe ich meine Zweifel, ob die Einlasskontrollen mit der nötigen Genauigkeit durchgeführt werden.“
Was sagt Borussia Dortmund?
Zum laufenden Verfahren erst einmal nichts. Sportdirektor Michael Zorc erklärte zu den Ausschreitungen. „Das waren unschöne Szenen.“ Neben der Polizei leitete auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Ermittlungen ein, gegen den BVB und gegen Hertha BSC. Das ist das übliche Verfahren, beide Klubs werden zu Stellungnahmen aufgefordert. Hinter den Kulissen übt der BVB scharfe Kritik am taktischen Vorgehen der Polizei, das die Eskalation provoziert habe, und bewertet den Einsatz als Fehler, zumal nicht ausreichend Beamte dafür zur Verfügung gestanden hätten.
Was sagen die Fanvertreter?
In einer Stellungnahme bemängelt das Fan-Projekt Dortmund, dass im Rahmen des Einsatzes der Polizei „keine Kommunikation mit den Fanbeauftragten und den Fanprojekten beider Vereine“ stattgefunden habe. Außerdem habe das besagte Banner ungenutzt und nicht erreichbar vor dem Gästeblock gelegen. „Die von der Polizei geäußerte Intention, mit der Entfernung des Banners weiteren Straftaten vorbeugen zu wollen, erschließt sich uns daher nicht.“ Das Dortmunder Fan-Projekt verurteilt die Gewaltaktionen der Hertha-Fans aufs Schärfste, gibt aber zu bedenken: „Unserer Meinung nach hätte eine auf Deeskalation setzende Polizei-Einsatzstrategie eine so brisante Situation gar nicht erst entstehen lassen.“
Wie positionieren sich die Dortmunder Ultras?
Zwei von drei Ultragruppen beendeten am Samstag den Support der eigenen Mannschaft, „The Unity“ stellte das Anfeuern seinen Mitgliedern frei. Ihre Reaktion zeigt, dass die Solidarität der Ultragruppierungen untereinander größer ist als die Zuwendung zum eigenen Verein. Am Mittwoch im DFB-Pokalspiel gegen Union Berlin ist mit einer Vielzahl von Spruchbändern und Parolen auf der Südtribüne zu rechnen, die den Polizeieinsatz am Samstag kritisch würdigen, den sie als „unverhältnismäßig“ brandmarken, unter anderem indem sie die laut Polizeiangaben zehn durch Rauchentwicklung verletzten Personen in Relation setzen zu den 45 durch Pfefferspray und Polizeigewalt verletzten Berliner Fans.
Sind die Sicherheitsbestimmungen ausreichend? Wie groß müsste ein Mehraufwand ausfallen, um sicherzustellen, dass keine Bengalos ins Stadion kommen? Wie groß wäre der Aufwand zur Kontrolle?
Ultra-Gruppen treten geballt an den Kontrolltoren auf und erzeugen großen Druck von hinten, wenn sie Pyrotechnik einschleusen wollen. Dieser Druck nimmt durch Angstaufbau verunsicherten Ordnern Zeit. Doch selbst wenn sich Ordner pro Person 60 Sekunden Zeit für das Abtasten nehmen – mehrere 100 oder 1000 Fans werden sie nicht hundertprozentig filzen können. Schärfere Sicherheitsmaßnahmen würden auch die mehrheitlich friedlichen Fans betreffen.

Das Spiel des BVB gegen Hertha BSC konnte nur mit Verzögerung angepfiffen werden. © imago
Wie wird Pyrotechnik ins Stadion geschmuggelt?
Wer Pyrotechnik auf der Tribüne zünden will, findet immer einen Weg – nicht erst am Spieltag vorbei an den Eingangskontrollen. Schon in den vergangenen Jahren äußerten die Polizei und der BVB den Verdacht, dass auch Lieferanten und anderes Personal die Pyrotechnik einschmuggeln und deponieren. „Es sind nicht immer nur die Ultras, die Pyrotechnik reinschmuggeln“, bestätigt Polizeiführer Edzard Freyhoff. Ebenfalls bekannt ist, dass sich Ultra-Gruppen gegenseitig beim Einschmuggeln helfen. Teilweise wird die Pyrotechnik auch zerlegt hineintransportiert und im Stadion zusammengesetzt. Zudem lässt die Anatomie des Menschen Transportwege zu, die kein Ordner überprüfen darf oder will – weil er mit urologischer oder gynäkologischer Präzision in Körperhöhlen hineinschauen oder -tasten müsste. Intimvisitationen sind nicht erlaubt.
Wie gefährlich ist Pyrotechnik?
Bengalische Fackeln verbrennen Phosphor mit einer Temperatur von bis zu 2500 Grad Celsius. „Phosphor brennt sich brutal durch die Haut bis in die Tiefe vor und verursacht fürchterliche Schmerzen und Wunden“, sagt der ärztliche Leiter des Dortmunder Rettungsdienstes, Dr. Hans Lemke. Er arbeitet auf einer Intensivstation für Brandverletzte. Die Rauchgase können Augen und Atemwege reizen. Bei einem durch Asthma vorbelasteten Patienten könne Atemnot und damit Lebensgefahr ausgelöst werden. Laut Volker Stall von der Bundespolizei können sich je nach chemischer Substanz auch giftige Gase ausbreiten.
Können Betroffene Schmerzensgeld oder Schadenersatz geltend machen?
Wer durch Tränengas verletzt wurde oder anderweitige Verletzungen erlitten hat, kann das an Schmerzensgeld geltend machen. Auch Ansprüche wegen Verdienstausfalls sind denkbar, wenn der Zuschauer aufgrund der während des Spiels erlittenen Verletzungen nicht arbeiten konnte. Das frühzeitige Verlassen des Spiels stelle keine erstattbare Schadensposition dar, erläutert Sportrechtler Dr. Paul Lambertz, „da dies die freiwillige Entscheidung des einzelnen Zuschauers war und es nach Beendigung der Gefahrensituation keinen objektiven Grund gab, das Spiel zu verlassen“.
Als mögliche Anspruchsgegner seien die Klubs auszuschließen, da sie keine schuldhafte Handlung begangen hätten. Ansprüche gegenüber der Polizei seien grundsätzlich denkbar, aber womöglich hinfällig, wenn die Polizei argumentiere, dass die verletzende Maßnahmen prinzipiell zum Schutz Unbeteiligter ergriffen wurden. „Denkbar sind auch Ansprüche gegen die randalierenden Ultras, wenn man davon ausgeht, dass die den polizeieinsatzauslösende Ursache durch diese gesetzt wurde“, erklärt Lambertz. Anspruchsgegner wären alle randalierenden Ultras als Gesamtschuldner. Es würde jedoch reichen, wenn man einen zur Verantwortung zöge. Dieser würde für den gesamten Schaden haften, könnte sich aber im Innenverhältnis zu den anderen Ultras um Kostenteilung bemühen.

Auch nach dem verzögerten Anstoß war der Signal Iduna Park noch lange Zeit in Rauch gehüllt. © imago
Wie bereiten sich Veranstalter und Sicherheitskräfte auf das Spiel gegen Union Berlin im DFB-Pokal vor?
Die Begegnung galt auch schon vorher als Hochrisikospiel. 8000 Union-Fans werden erwartet. Beim Aufeinandertreffen vor zwei Jahren initiierten Berliner Anhänger einen Sturm auf die Einlasskontrollen und zündeten massiv Pyrotechnik in ihrem Block. Bessere Durchsuchungsmaßnahmen und mögliche Sperren im Stadionvorfeld sollen laut Einsatzleiter Edzard Freyhoff helfen, die Situation zu kontrollieren. Sollte ein geregelter und kontrollierter Einlass nicht gewährleistet sein, müsse das Spiel später angepfiffen werden. Die Anpfiffzeit um 18.30 Uhr gilt als problematisch, weil ein Großteil der Zuschauer zur gleichen Zeit anreist. Dann müssen laut Polizei bis zu 56.000 Fans an der Nordseite abgefertigt werden.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.

Jahrgang 1967, geboren in Barop. Aufgewachsen auf einem Sportplatz beim DJK TuS Körne als Torwart. Lebt jetzt im Loh. Fährt gerne Motorrad. Seit 1988 bei den Ruhr Nachrichten. Themen: Polizei, Feuerwehr und alles, was die Großstadt sonst noch so hergibt. Mag multimediales Arbeiten. 2015 ausgezeichnet mit der "Goldenen Viktoria" für Pressefreiheit.

Ich wurde 1973 geboren und schreibe seit über 10 Jahren als Redakteur an verschiedenen Positionen bei Lensing Media. Als problematisch sehen viele meiner Kollegen oft die Länge meiner Texte an. Aber ich schreibe am liebsten das auf, was ich selber bevorzugt lesen würde – und das darf auch gerne etwas länger sein.
