Es sagt für gewöhnlich mehr aus, was über einen Spieler gesagt wird, wenn er geht, als wenn er bei einem Klub neu vorgestellt wird. Im Fall von Pascal Groß (33) fielen die Reaktionen bei Brighton & Hove Albion eindeutig aus: Mitspieler, Fans, Offizielle, sie alle trauerten beim Abschied einer „Klublegende“. Im Süden Englands hatte der deutsche Nationalspieler, der hierzulande erstaunlich lange unter dem Radar blieb, in sieben erfolgreichen Jahren viele Freunde gewonnen, sportlich und menschlich. Bei Borussia Dortmund lassen die Eindrücke aus den ersten zwei, drei Wochen erahnen, was der Mittelfeldspieler seiner neuen Mannschaft geben kann: Das kann Groß werden.
BVB-Neuzugang Groß mit 169 Ballkontakten
Mit dem kleinen Pokal als „Man of the match“ knipste der Neuzugang der Schwarzgelben am Samstagabend ein Selfie im Hamburger Volksparkstadion. Beim 4:1 in einer wenig herausfordernden Pokalpartie gegen den Regionalligisten 1. FC Phönix Lübeck stach der 33-Jährige heraus. Nicht allein die Anzahl seiner Aktionen (169 Ballkontakte, 95 Prozent Passquote) fiel auf. Viel mehr imponierte, wie Groß direkt das BVB-Spiel prägte, den Rhythmus bestimmte, mit geschickt eingesetzten einfachen Mitteln Kontrolle und Dominanz herstellte.
„Das schafft ein Spieler nach der kurzen gemeinsamen Zeit, wenn er intelligent ist, wenn er Fußball denkt und weiß, wie der Hase läuft“, lobte BVB-Trainer Nuri Sahin seinen Taktgeber. „Er macht das sehr dominant. Er kann den Rhythmus bestimmen, das hat uns voriges Jahr in unserem Spiel etwas gefehlt, ehrlich gesagt.“ Deswegen habe man einen Spielertypen wie Groß gesucht, um endlich dieses spielerische Vakuum im Zentrum zu füllen. Kapitän Emre Can fehlt dazu die strategische Begabung und die nötige Geschwindigkeit in den Aktionen. Deswegen ist Sahin mit Blick auf die neue Nummer 13 bereits jetzt sicher: „Er tut uns gut!“
BVB-Spielmacher Groß und sein Schulterblick
Groß selbst hatte – auch in Anbetracht nachlassenden Spieltempos im zweiten Durchgang – noch „Luft nach oben“ in seinem Auftritt gesehen, der neben der personifizierten strategischen Hoheit auch in zwei Torvorlagen bemerkenswerte Ausprägung fand. Gut zu beobachten: Mit seinem permanenten Schulterblick, dem Gespür für Raum und Zeit sowie dem passenden Gefühl im Fuß ist er in der Lage, mit kurzen Pässen jegliche Pressingversuche des Gegners ins Leere laufen zu lassen und gleichzeitig mit Zuspielen und kluger Positionierung Räume aufzusperren, die den Weg nach vorne öffnen.
Dazu gehört auch eine hinzugewonnene Variante im Spielaufbau: sogenannte „Lockpässe“. Sahin klärt auf: „Damit versucht man, den Gegner aus der Position zu locken. Du kannst den Gegner übers Zentrum locken oder über außen. Pascal Groß weiß, wie der Rhythmus des Spiels sein muss. Er kann mit diesen Pässen provozieren.“ Das sei ein schmaler Grat, das könne auch mal nach hinten losgehen. „Aber wir wollen mutig sein, dominant Fußball spielen. Deswegen ist das sehr, sehr wichtig. Also: Lockbälle kann er!“
BVB-Neuzugang Groß: „Stabilität und Offensive“
Macht der Gegner also – unfreiwillig – Platz für diagonale Pässe oder Verlagerungen, kann Borussia Dortmund schnell und konstruktiv nach vorne spielen und ohne großes Risiko von Ballverlusten die Angreifer in aussichtsreiche Stellungen bringen. „Meine Aufgabe ist es, das Spiel von hinten nach vorne zu tragen, ihm eine gewisse Stabilität zu geben und unsere offensiven Waffen in Szene zu setzen“, sagt Groß.
Den Gegner mit Kurzpass-Stafetten hinter dem Ball herlaufen zu lassen und zu entnerven, hat er in Brighton unter Trainer Roberto de Zerbi verinnerlicht. Dort war er der verlängerte Arm des Trainers, der die Taktik von der Tafel auf den Rasen transportierte. Auch Sahin meinte bereits, Groß denke „wie ein Trainer“. Ähnliches hat man über den neuen Chef an der Seitenlinie der Dortmunder Borussia auch zu seinen aktiven Zeiten gesagt. Ein tieferes gemeinsames Fußballverständnis der beiden darf also vorausgesetzt werden.
Groß fiebert BVB-Auftakt gegen Frankfurt entgegen
Weil Groß nicht nur den Fluss des Spiels diktierte, sondern auch noch einige mit dem neuen Spezialtrainer Alex Clapham einstudierte Standardvarianten umsetzte, ruhen tatsächlich viel Verantwortung und viele Hoffnungen auf den schmalen Schultern des gebürtigen Mannheimers. Kein Problem, sagt der erfahrene, unprätentiöse Typ, der sich auf das erste Bundesliga-Spiel im Signal Iduna Park (Samstag, 18.30 Uhr gegen Eintracht Frankfurt) freut. „Ich möchte gut Fußball spielen, dann kann ich diese Kulisse sogar noch mehr genießen.“ Im Gegenzug lässt sich sagen: Wenn Pascal Groß die ersten Eindrücke bestätigt und so gut Fußball spielt, kann auch die Kulisse das Spiel noch mehr genießen.