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Fehlende Konsequenz: Verspielt der BVB schon vor Weihnachten den Titel?
Borussia Dortmund
Borussia Dortmund lässt beim 1:1 in Bochum die Konsequenz im Abschluss vermissen. Binnen einer Woche verliert der BVB fünf Punkte auf den FC Bayern. Ist das schon die Vorentscheidung im Titelkampf?
96 packende Minuten, kein Sieger: Nach elf Jahren Pause bietet das „kleine“ Revierderby packende Zweikampf- und Torszenen, eine hochüberlegene Borussia aus Dortmund muss sich aber am Ende mit einem 1:1 begnügen.
Nach dem Bochumer Führungstor durch den verwandelten Elfmeter von Sebastian Polter schnuppert Aufsteiger VfL lange an einer Sensation, Borussia Dortmund benötigt einen Kraftakt, um wenigstens noch einen Zähler mit auf den kurzen Heimweg zu nehmen. Den rettet Julian Brandts später Ausgleichstreffer - im Ruhrstadion feiert dennoch nur die Heimmannschaft, die mit Leidenschaft und Herz einen glücklichen Punkt ergattert. Der BVB erzielt aus einer drückenden Überlegenheit und am Ende 20:5 Torschüssen viel zu wenig Ertrag - und hat nun schon sechs Punkte Rückstand auf Tabellenführer FC Bayern München.
BVB-Torhüter Gregor Kobel nimmt den Elfmeter auf seine Kappe
Schon in der Pause gibt es viel Applaus für eine aufopferungsvoll kämpfende Bochumer Mannschaft, in den Jubelchören über die 1:0-Pausenführung findet sich auch die obligatorische Häme für den Favoriten, der in den 45 Minuten zuvor eine Bestätigung dafür erhalten hat, wie schwer dieses Auswärtsspiel fast in Sichtweite des Signal Iduna Parks werden würde.
Sebastian Polter ist der Mann der ersten Hälfte aus Sicht der Bochumer, als er sich den Ball auf den Punkt legen darf, bleibt der Angreifer vor Gregor Kobel ganz cool. Kobel seinerseits hat schon vor der Ausführung des Elfmeters mit klaren Zeichen auf seine eigene Brust erklärt, dass er die Schuld für diesen Strafstoß auf seine Kappe nimmt. „Kurz vor dem Foul habe ich gemerkt, dass ich zu spät komme. Da gab es kein zurück mehr. Das ist scheiße und geht auf jeden Fall auf meine Kappe“, erklärte der BVB-Keeper bei Sky.
Das Bochumer Konzept gegen Borussia Dortmund geht voll auf
Völlig unnötig war Dortmunds Nummer eins an der äußeren Strafraumkante in Richtung VfL-Angreifer Christopher Antwi-Adjei gegrätscht. Dessen Startelf-Berufung hat sich in diesem Moment für Bochums Cheftrainer Thomas Reis schon gelohnt, nach dem Pass von Elvis Rexhbecaj war der pfeilschnelle Angreifer allen davongestürmt (39.).
Bochums Führung ist nicht verdient, aber das ist dem Aufsteiger herzlich egal. Dessen Konzept ist in den ersten 45 Minuten aufgegangen: Hinten möglichst wenig zulassen, schnell den Ball nach vorne bringen nach Dortmunder Ballverlusten. Außer der Elfmeterszene springt dabei nur noch eine Halbchance durch den Drehschuss von Antwi-Adjei heraus, hier ist Kobel zur Stelle (29.).
BVB lässt gegen den VfL Bochum zu viele Chancen liegen
Dass es mit Wiederbeginn noch schwieriger werden würde, hätte sich der BVB ersparen können. Erling Haaland, dessen Linksschuss von VfL-Torhüter Manuel Riemann problemlos gehalten werden kann (27.), Marco Reus, dessen Schuss geblockt wird (38.) - es gibt durchaus Chancen für die Gäste, die sich nach ausgeglichenen zehn Anfangsminuten eine Feldüberlegenheit herausspielen können. Die größte BVB-Gelegenheit aber vergibt Jude Bellingham, der nach Haalands klugem Querpass völlig frei vor Riemann auftaucht - das linke Bein des Schlussmanns lenkt den Schuss des Dortmunders so eben noch über das Tor (18.).
Bochum erwehrt sich mit viel Leidenschaft der spielerischen Überlegenheit der Schwarzgelben, die Zweikämpfe zwischen Erhan Masovic und Erling Haaland zeugen ebenso von großer Intensität wie auf der anderen Seite die zwischen Dan-Axel Zagadou und Polter.
Zagadou rückt erstmals wieder in die BVB-Innenverteidigung
Wie erwartet, erhält Zagadaou nach der Verletzung von Manuel Akanji die Startelf-Nominierung, ungeplant muss der gesperrte Marco Rose auch noch die linke Abwehrseite umbesetzen. Dort fehlt Raphael Guerreiro erneut wegen muskulärer Probleme. Mit unverminderter Intensität kommen beide Teams aus den Kabinen, sofort zu spüren ist der Wille der Borussia, diesen Rückstand so schnell wie möglich zu egalisieren. Und es brennt lichterloh im Strafraum des VfL: Leitsch klärt auf der Linie einen Schuss von Schulz (46.), Riemann rettet gegen Reus (49.), dann liegt der Ball im Tor: Marius Wolf hat die Lücke in der vielbeinigen Abwehr der Bochumer gefunden, nach der Ablage von Reus bringt er den Ball überlegt im Tor unter (54.).
Doch der Jubel währt nur kurz. Eine mögliche Abseitsstellung von Jude Bellingham wird überprüft, rund zwei Minuten dauert dieses Prozedere, ehe Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck selbst zum Monitor geht - und dann tatsächlich die Entscheidung revidiert. Vertretbar, denn im Augenblick des Schusses von Wolf steht der Engländer genau in der Sichtlinie von Riemann.
Bochum bleibt gegen den BVB kaum Zeit zum Luftholen
Das sorgt dennoch für Fassungslosigkeit, die der BVB aber schnell abschüttelt. 8:0-Ecken zeigt die Anzeigetafel in der 62. Minute für den Gast, die nächste dicke Chance folgt: Diesmal ist es Thomas Meunier, der mit links abzieht, Danilo Soares klärt auf der Linie. „Wenn wir konsequent unsere Chancen nutzen, gewinnen wir das Spiel“, sagt BVB-Profi Brandt.
Dem Aufsteiger bleibt keine Zeit zum Luft holen. Welle um Welle rollt Richtung VfL-Tor, vor allem über Meunier auf der rechten Seite entwickelt Dortmund viel Druck. Entlastung gibt es kaum. 10:3 Torschüsse nach 70 Minuten zählen die Statistiker für den BVB, doch das ersehnte Tor will nicht fallen. Rose sieht das hinter dem schützenden Glas einer Loge, unten schicken seine Assistenten Alexander Zickler und Rene Maric zwei frische Offensivkräfte aufs Feld: Julian Brandt und Thorgan Hazard kommen, das Zeichen für noch mehr Risiko.
Haaland setzt Brandt in Szene - der BVB erzielt doch noch das 1:1
Doch die Klarheit der ersten 20 Minuten des zweiten Durchgangs ist dem BVB abhandengekommen. Erst Emre Cans Kopfball bringt eine nächste Chance, da sind schon 78 Minuten gespielt. Riemann hat keine Mühe. Was bis zum Keeper durchkommt, ist eine sichere Beute des Torhüters, der sich aber auch auf seine Vorderleute verlassen kann. Immer wieder blockt ein Abwehrbein die Dortmunder Abschlussversuche.
Doch die Erlösung, sie kommt noch: Haaland, von Masovic im zweiten Abschnitt komplett abgemeldet, behauptet sich am Strafraumeck, seine Flanke landet punktgenau bei Julian Brandt - und diesmal geht der Schuss ins Ziel (86.). Das 1:1 ist hochverdient, reicht dem BVB aber natürlich noch nicht, weil in München die Bayern nach einem ebenso schwierigen Spiel gegen Mainz mittlerweile führen.
Bochum hat den Siegtreffer gegen den BVB auf dem Fuß
Fünf Minuten Nachspielzeit bleiben. Die richtig dicke Chance kommt noch, aber es ist der VfL, der das 2:1 auf dem Fuß hat. Zumindest ein bisschen kann Kobel seinen Bock beim Elfmeter wettmachen, als er im Eins-gegen-Eins mit dem eingewechselten Ganvoula Sieger bleibt (90.+2). Bochum ist die Mannschaft, die die zweite Luft entwickelt, einen letzten langen Ball hat aber auch der BVB noch - auch er landet in der vielbeinigen VfL-Abwehr.
Dann pfeift Jöllenbeck ein von beiden Klubs leidenschaftlich geführtes Derby ab. „Wir hatten natürlich genügend Chance, um das Spiel zu gewinnen. Das ist nicht nur Pech. Am Ende musst du es auch wollen, dass Tor unbedingt zu schießen“, sagte Brandt.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
