Vor der türkischen Fankurve sah Julian Nagelsmann links von seiner Trainerbank zu viele Spieler in Rot jubeln. Zwei Treffer der Gäste bis zur Pause, beide zugegebenermaßen wunderschön erzielt, führten dem neuen Bundestrainer vor Augen, dass die Europameisterschafts-Mission auf jeden Fall noch mit viel Arbeit versehen ist, bevor im Juni dann der EM-Ball rollt. Sein erstes Heimspiel, vor mindestens 40.000 türkischen Fußball-Fans in Berlin eher eine nächste Auswärtsaufgabe, entwickelte sich so gar nicht nach seinem Geschmack. Guter Start der DFB-Elf, frühe Führung, dann aber aus der Vergangenheit bekannte Nachlässigkeiten, Unkonzentriertheiten und unübersehbar auch Schwächen im Verteidigungsverhalten.
Türkei agiert kompromisslos
1:2 stand es zur Halbzeit, weil die Türken zwei Mal den Ball kompromisslos aus spitzem Winkel an Kevin Trapp vorbei ins deutsche Tor droschen. Bei beiden Schüssen wurde Trapp überrascht, beim 1:1 von Fener-Profi Ferdi Kadioglu (38.), der ins kurze Eck traf. Beim zweiten in der Nachspielzeit der ersten 45 Minuten von Kenan Yildiz (45.+2), der sehenswert ins lange Eck zielte. Beiden Treffern gingen freilich grobe Fehler der DFB-Elf voraus. Sané, zur Unterstützung von Benjamin Henrichs rechts auch defensiv oft gefordert, ließ Torschütze Kadioglu aus den Augen, vor dem 1:2 ließ sich Henrichs in der Mitte zu leicht wegblocken. Und rutschte auch noch aus. Hinter ihm stand Yildiz völlig frei.
Mit seinen sechs Änderungen überraschte Bundestrainer Nagelsmann, vor allem auf der linken defensiven Seite. Dort sollte Kai Havertz defensiv mitarbeiten, es war am Ende eine Art Mischung aus Vierer- oder Fünferkette, je nach Spielsituation. in Ballbesitz agierte der Arsenal-Profi freilich eher als Linksaußen und war auch im gegnerischen Strafraum zur Stelle, als Henrichs einen wunderschönen Steckpass auf Sané spielte und der den Ball in die Mitte legte. Das frühe 1:0 (5.) weckte Fantasien. Und durch scharfe Vertikalbälle in die Tiefe der türkischen Hälfte kam Deutschland gleich mehrere Male in die gefährliche Zone vor dem Tor der Gäste. Sané nahm einen dieser Bälle, diesmal von Joshua Kimmich, auf, schob die Kugel aber doch recht deutlich am Tor der Gäste vorbei (16.). Was da noch niemand ahnte im weiten Rund: es sollte die letzte gefährliche Annäherung der deutschen Mannschaft bis zur Halbzeit gewesen sein.
Blass im Sturmzentrum: BVB-Profi Niclas Füllkrug, der vergeblich auf passende Zuspiele lauerte und zur Pause nur acht magere Ballkontakte hatte. Auch Julian Brandt, der zum erst en Mal seit seinem Einsatz beim 3:3 im Juni gegen die Ukraine in der Startelf stand, sah trotz bekannt hohem Laufeinsatz nur wenig Land. Mit jeder weiteren Minute der ersten Hälfte büßte Deutschland Ballkontrolle ein, die beiden Gegentore waren eine Folge der luftigen Defensive um den fahrig wirkenden Antonio Rüdiger, in der die DFB-Elf oft direkte Manndeckung praktizierte, die nachrückenden Mittelfeldspieler der Gäste aber sträflich frei ließ.

Typisch Mittelstürmer: Ballkontakt Nummer zehn von Füllkrug landete dann zu seinem zehnten Länderspiel-Treffer im zwölften Einsatz im Tor. Maßgeblichen Anteil am 2:2 hatte dabei allerdings Leverkusens Florian Wirtz, der in unnachahmlicher Weise den Ball durchs Mittelfeld trieb. Füllkrugs Haken um den Ex-Schalker Ozan Kabak und der trockene Flachschuss ins kurze Eck krönten den zielstrebigen Angriff direkt nach Wiederbeginn (48.).
Ex-BVB-Profi Ducksch feiert Debüt
Deutschland nun wieder besser im Spiel, aber mit der nächsten Nachlässigkeit: Dass Havertz bei der Abwehraktion nach einer Flanke der Ball im Rücken an die Hand sprang, war nun wahrlich kein absichtliches Handspiel – allerdings stand der Ex-Leverkusener beim langen Ball zuvor mal wieder schlecht, das Experiment verlief nicht nach Wunsch von Nagelsmann. Nach Hinweis des VAR und persönlichem Studium der Szene zeigte Schiedsrichrer Bartosz Frankowski auf den Punkt, den Elfmeter von Yusuf Sari hätte Trapp fast noch pariert (71.)
Nagelsmann drohte die erste Niederlage im dritten Spiel seiner Ära. Brandt in seiner besten Szene hätte das mit dem 3:3 verhindern können, scheiterte jedoch an Türkeis Schlussmann Altay Bayindir (74.). Kurz danach war Schluss für den Dortmunder, der in der Schlussphase Platz machte für Marvin Ducksch – der ehemalige Bremer Doppelsturm war wieder vereint
Bei allem Bemühen: Der DFB-Elf fehlte es auch in der Schlussphase an letzter Konsequenz und der letzten Schärfe in der Zone vor dem türkischen Tor. Beim besten Angriff verfehlte der eingewechselte Serge Gnabry die scharfe Hereingabe von Benjamin Henrichs nur knapp – Sané hatte den Leipziger Außenverteidiger perfekt freigespielt (86.). Mit Mann und Maus verteidigte die Türkei den knappen Vorsprung auch in den sieben Minuten Nachspielzeit. Füllkrug vergab aus zentraler Position die letzte Chance (90.+7), der erste Dämpfer für Neu-Bundestrainer Nagelsmann war perfekt. Nach dem Schlusspfiff brach dennoch großer Jubel aus.
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