16 Jahre lang hatte er für Borussia Dortmund gearbeitet. Physiotherapeut Thomas Zetzmann war eine Institution beim BVB. Umso überraschender kam Ende der vergangenen Saison für viele der Abschied des 52-Jährigen. In einem Interview mit „Spox“ und „Goal“ hat Zetzmann sich nun über seinen Abgang geäußert. Der ehemalige BVB-Physio spricht über seinen langjährigen Weggefährten Marco Reus und sucht nach Erklärungsansätzen für die große Verletzungsanfälligkeit der Dortmunder Profis.
Zetzmann folgt BVB-Kapitän Reus in den Urlaub
Mit dem in seiner Karriere von schweren Verletzungen gebeutelten Marco Reus hat Zetzmann während seiner Zeit beim BVB häufig zusammengearbeitet und den Dortmunder Kapitän während der Reha intensiv begleitet. Zetzmann folgte Reus sogar nach Florida, Ibiza und Dubai in den Urlaub, um ihn dort zu behandeln. „Als wir in der Saison 2014/2015 auf den vorletzten Platz abgerutscht sind, zog er sich eine Bandverletzung am Sprunggelenk zu. Die Nerven lagen blank. Ich musste dann zu Michael Zorc und Jürgen Klopp gehen. Die meinten nur: ‚Der Marco will in der Winterpause nach Florida fliegen - und du musst mit!‘ Ich hatte aber bereits eine Reise mit meiner Freundin gebucht. Michael sagte: ‚Das kannst du streichen. Nimm‘ deine Freundin mit. Wir spielen um den Abstieg, du musst den fit machen.‘ Da ging mir schon der Arsch auf Grundeis“, wird Zetzmann im Interview zitiert.
Immer wieder musste er Marco Reus nach Verletzungen behandeln. Das war mitunter extrem schmerzhaft für den BVB-Kapitän. „Als Marco bei dem Kreuzbandriss merkte, dass er auch nach zwei oder drei Monaten noch nicht wirklich viel machen konnte, sagte er schon einige Male: ‚Boah, heute habe ich gar keinen Bock!‘ Er lag auch schreiend und weinend auf meiner Bank, als er bei der Beugung des Beins über einen Punkt gehen musste, der sehr schmerzhaft ist. Man muss aber nach einer gewissen Zeit schlichtweg die Struktur durchbrechen, damit die Beugung so funktioniert, wie sie bei einem Hochleistungssportler funktionieren muss. Das war schon extrem für ihn, er wollte das eine oder andere Mal nicht mehr. Ich konnte ihm nur sagen, dass er mir vertrauen soll, weil ich weiß, was ich tue“, erzählt Zetzmann.
Trotz langjähriger Zusammenarbeit sei Reus – auch ihm gegenüber – introvertiert. „Marco ist sehr in sich gekehrt, man kommt sehr schwer an ihn heran. Er hat Herz und eine sehr soziale Ader, wie sich ja auch in der Corona-Zeit zeigte, als er mit der Hilfsaktion „Help your Hometown“ eine halbe Million Euro spendete. Als Kapitän ist er nicht gerade ein großer Lautsprecher, doch das ist letztlich eine Typ-Frage. Sebastian Kehl ging als Häuptling voran und machte in der Kabine klare, deutliche Ansprachen. Marco spricht relativ wenig und will eigentlich gar nicht so sehr im Vordergrund stehen“, sagt der ehemalige BVB-Physio über Reus.

Insgesamt, so schildert es Zetzmann im Interview mit „Spox“ und „Goal“, seien viele BVB-Profis nur wenig an einem zwischenmenschlichen Miteinander interessiert. „Heute vertiefen sich alle in ihr Handy. Sich für den Menschen zu interessieren, steht nicht mehr im Vordergrund. Wenn man nach der Sommerpause zurückkam und die Spieler fragte, wo sie ihren Urlaub verbracht haben, kam keine Gegenfrage. Da gibt es keinen Austausch mehr. Das ist wirklich traurig und hat mich zusehends nachdenklich gemacht. Früher ist man mit den Spielern auch mal einen Kaffee oder ein Bierchen trinken gegangen, aber das passiert nicht mehr“, sagt Zetzmann.
Zetzmann bedauert unrühmlichen BVB-Abschied
Er ergänzt: „Ich habe ja Marco Reus zwölf Jahre intensiv betreut - selbst bei ihm kam sehr wenig zurück. Das ist schlicht eine andere Generation. Ich habe das mit der Zeit beobachtet und hatte dann auch keine andere Erwartung mehr. Da wurde nicht mehr nach irgendetwas gefragt, sondern nur noch die Behandlung gemacht.“ Traurig stimmte den 52-Jährigen auch die Art und Weise seines Abschieds aus Dortmund. Als sein Weggang bekannt wurde, wurde das mit der hohen Anzahl an Muskelverletzungen verbunden. Trainer Marco Rose versicherte daraufhin öffentlich, dass das nicht der Grund für die Trennung sei. Dass dennoch dieser Vorwurf im Raum stand, sei für Zetzmann eine herbe Enttäuschung gewesen.
„Das war sehr schwer für mich und ist ziemlich doof gelaufen. Es grenzte auch an Rufschädigung. Der Verein und ich hatten zuvor alles fair und sachlich besprochen. Die Verletzungsproblematik ging ja über Monate und es kam natürlich immer wieder etwas heraus. Ob man da schließlich ein Bauernopfer gesucht hat, das lasse ich mal dahingestellt. Es ist aber grotesk zu glauben, dass von sechs Therapeuten und drei Ärzten ein einziger alleine für die Probleme verantwortlich ist“, unterstreicht Zetzmann.
Dank an Ex-BVB-Trainer Marco Rose
Und weiter: „Ich werde es Marco Rose daher im Leben nicht vergessen, dass er diese Meldung im Interview nach dem darauffolgenden Spiel als Farce bezeichnete. Welcher Trainer setzt sich schon für einen Physiotherapeuten ein? Und: Mit den Verletzungen ist es ja danach auch nicht besser geworden, sondern eher noch schlimmer.“

Auch in der abgelaufenen Saison hatte wie schon Marco Rose diesmal Edin Terzic als BVB-Trainer mit der hohen Verletzungsanfälligkeit der Seinen zu kämpfen. Dafür hat Thomas Zetzmann einen Erklärungsansatz: „Ich habe eine Hypothese, die ich auch gegenüber der sportlichen Leitung geäußert habe: Im Stadion ist Hybridrasen verlegt. Das ist ein Gemisch aus Kunstrasen und normalem Rasen. im Trainingszentrum gibt es vor allem zwei große Plätze: Einer mit Hybridrasen, der damals auf Geheiß von Thomas Tuchel entstanden ist, weil er auf demselben Untergrund trainieren wollte, auf dem auch im Stadion gespielt wird. Und einer mit normalem Rasen.“ Zwischen diesen Plätzen werde aus seiner Sicht vor allem wetterbedingt zu häufig gewechselt.
Zetzmann kritisiert fehlende Hierarchie
„Es gab in meinen Augen keinen durchgängigen Rhythmus. Dazu müssen die Spieler jeweils ihr Schuhwerk wechseln. Auf beiden Plätzen hat man dann an bestimmten Strukturen in den Gelenken, Sehnen oder Faszien eine ganz andere Spannung drauf. So können Dysbalancen in den Gelenken und Muskelansätzen entstehen. Ich glaube, es würde den Spielern guttun, wenn man sich auf einen Belag einlassen würde“, so Zetzmann.

Aus seiner Sicht benötigt Borussia Dortmund im medizinischen Bereich künftig eine andere Hierarchie. „Ich habe ihm (Sebastian Kehl, d. Red.) gesagt: Man würde gut daran tun, sich von der bisherigen flachen Hierarchie zu verabschieden und stattdessen einen leitenden Physiotherapeuten einzustellen. Dass einer die Entscheidungen trifft und nicht jeder seinen Senf dazugibt, wäre sinnvoller. Gerade wenn man sechs, sieben Therapeuten hat, sollte man deren individuelle Qualität richtig einsetzen. Das hätte ich mir gewünscht, denn damit wären wohl viele Missverständnisse und Vertrauensverluste gar nicht erst aufgekommen.“
Nach einem persönlichen Sabbatjahr möchte Thomas Zetzmann künftig wieder tätig sein. „Ich möchte wieder als Fußball-Therapeut arbeiten und bin dazu mit ein paar Vereinen im Austausch.“ Konkrete Pläne habe er aber noch nicht. Mit ein paar ehemaligen BVB-Spielern sei er im Austausch.
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