Dr. Reinhard Rauball: "Tuchel verdient eine Eins"
Das Interview
Er ist einer der wichtigsten Lenker des deutschen Fußballs: Dr. Reinhard Rauball ist Präsident des Ligaverbandes, Vizepräsident des DFB und Präsidenten von Borussia Dortmund. Im Interview mit Sascha Klaverkamp sagt Rauball, warum Thomas Tuchel die Note eins verdient hat und warum er den BVB als Präsident weiter führen möchte.

Dr. Reinhard Rauball steht vor seiner Wiederwahl als Präsident von Borussia Dortmund.
Herr Dr. Rauball, Sie wurden vor wenigen Wochen einstimmig als Präsident des Ligaverbandes wiedergewählt. Verraten Sie uns das Geheimnis: Wie schaffen Sie es als Dortmunder, in der DFL-Spitze reibungslos mit dem Schalker Peter Peters zusammenzuarbeiten?
(Lacht) Weil es an der Stelle nicht um Emotionen geht, sondern um Sachentscheidungen. Je rationaler man an die Dinge herangeht, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sie auch zum Erfolg führt. Das machen wir in diesem Fall so. Das Schwarzgelbe und Blauweiße in den Vordergrund zu stellen, ist nicht die Sache der DFL. Unsere Aufgabe besteht darin, über den Tellerrand hinaus zu blicken, Lösungen für alle Klubs gemeinsam zu finden und gemeinsame Visionen für den Profifußball zu entwerfen. Die Zusammenarbeit mit Peter Peters als Vize-Präsident ist sehr vertrauensvoll.
Sie vertreten für die DFL die Interessen der Profiklubs, sind gleichzeitig als Freund der Amateurfußballer bekannt. Welches der beiden Herzen schlägt kräftiger in Ihrer Brust?
Ich bin seit 1960 aktives Mitglied in einem Dortmunder Amateurverein, war mit 25 Jahren neben dem aktiven Sport dort Jugendleiter. Ich weiß, wie wichtig es ist, das Ehrenamt zu erhalten, das ein wichtiger Kitt für unsere Gesellschaft ist. Ich glaube, nachgewiesen zu haben, dass ich ein ehrliches Herz für den Amateursport habe.
Wird es rumoren an der Basis, wenn von der nächsten Saison an das Bundesligaspiel am Sonntagmittag hinzukommt – und Amateurklubs weitere Verluste befürchten?
Nein. Fünf Spiele pro Jahr am Sonntagmittag sind verkraftbar. Außerdem ist der Grund für die Einführung ein sportlicher: Wir wollen den Europa-League-Startern, die am Donnerstag spielen, Zeit zur Regeneration geben. Dieser Grund wird auch von den Amateurvertretern verstanden, die dem ja bei der Verabschiedung des Grundlagenvertrages zugestimmt haben.
Ist der Spagat zwischen guter internationaler Vermarktung auf der einen und zufriedener Basis auf der anderen Seite überhaupt leistbar?
Es ist zugegebenermaßen schwierig, ein sehr großer Spagat. Es kommt daher darauf an, die Dinge zu erklären. Die Internationalisierung ist nicht nur unabwendbar, sie erzeugt auch viele Chancen. Klar ist allerdings: Die Bundesliga hat auch in den vergangenen Jahrzehnten mit Augenmaß gehandelt. Es gilt, bewährte Dinge zu erhalten, gleichzeitig aber aufgeschlossen für Innovationen zu sein.
Der BVB steckt in dieser Situation. Er präsentiert sich im Sommer in Asien, um den Markt dort anzukurbeln. Und in Dortmund fühlen sich Fans vernachlässigt, weil es nur selten öffentliche Trainingseinheiten gibt, bei denen man seine Stars sehen kann.
Zunächst einmal ist es so, dass viele Fans auch stolz darauf sind, wenn ihr Klub weltweit gefragt ist – auch wegen seiner Fan-Kultur. Grundsätzlich ist es aber natürlich so, dass wir den Spagat mit Blick auf verschiedenste Interessen und Notwendigkeiten hinbekommen müssen. Da kann ich verstehen, wenn es manchmal Enttäuschung gibt. Unsere Aufgabe ist daher umso mehr, die Dinge gut zu erklären. Und ich denke, insbesondere die Gründe für die geringe Anzahl öffentlicher Trainingseinheiten in Zeiten von Handykameras und Social Media hat der BVB nachvollziehbar erläutert. Am Ende möchten wir ja alle den Erfolg des BVB.
Seite 2: Rauball über Thomas Tuchel, die personelle und sportliche Entwicklung des BVB sowie seine bevorstehende Wiederwahl.
Thomas Tuchel hat jetzt fast eineinhalb Saisons als Cheftrainer des BVB hinter sich. Welche Schulnote geben Sie ihm für seine Leistung?
Eine Eins!
Warum?
Er lebt Fußball, pausenlos, abzüglich der wenigen Stunden, die er schläft. Er ist kreativ, taktisch ungeheuer variabel – und das mit Erfolg. Wir haben eine tolle Saison hinter uns, waren der beste Zweite der Liga-Geschichte, sind in die Champions League eingezogen, standen im Pokal-Endspiel. Thomas Tuchel hat unseren Fußball weiterentwickelt. Das alles kann man nur mit einer Eins bewerten.
Das Gesicht des BVB hat sich stark verändert. Welcher der neuen Spieler hat Sie am meisten überrascht?
Ich muss zugeben, dass ich vor den Verpflichtungen den einen oder anderen Spieler gar nicht kannte, etwa Mikel Merino oder Emre Mor. Sie gefallen mir aber alle, ich bin froh, dass wir sie haben. Ich hoffe, dass sie sich weiter so gut entwickeln. Obwohl sie schon sehr stark aufgetreten sind, sehe ich bei allen noch mehr Potenzial.
Der BVB verfügt über eine herausragende Nachwuchsschmiede in Dortmund. Bremsen viele ausländische Talente im Profikader nicht den eigenen Nachwuchs?
Es existiert eine Zweigleisigkeit bei uns, die seit vielen Jahren sehr gut funktioniert: Wir holen Spieler von außen und binden eigene Nachwuchskräfte nachhaltig ein. Mir fallen spontan mindestens vier Spieler ein, die aktuell noch für unsere A-Jugend spielen könnten, aber schon bei den Profis zum Einsatz kamen. Das ist Beleg dafür, dass dieses Zwei-Säulen-Modell bei Borussia Dortmund nicht nur auf dem Papier existiert.
Die aktuelle Bundesliga-Tabelle weist Leipzig, Hoffenheim und Hertha als Spitzenklubs aus. Nur eine Momentaufnahme – oder langfristig ernsthafte Konkurrenz für den BVB beim Kampf um die internationalen Plätze?
Wir nehmen alle Mannschaften ernst. Ich rechne in dieser Saison auch noch mit Leverkusen und Schalke 04. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Leistungsdichte in der Liga größer geworden ist. Das erhöht die Spannung, auch der FC Bayern gewinnt nicht mehr automatisch alle Spiele.
Ein ganz wichtiger Faktor für den Erfolg des BVB ist Pierre-Emerick Aubameyang. Allerdings wird er mit jedem Tor interessanter für die Topklubs aus dem Ausland. Wird Dortmund ihn im nächsten Sommer halten können?
Zunächst einmal freue ich mich, dass offenbar am Donnerstag vor dem HSV-Spiel keine Maschine nach Mailand geflogen ist (lacht). Aber mal im Ernst: Aubameyang ist ein fantastischer Spieler und in jeder Beziehung ein belebendes Element für unseren Klub. Er hat seine Suspendierung klaglos akzeptiert, weil er eingesehen hat, dass er einen Fehler begangen hat. Und wer beobachtet hat, wie das gesamte Team sich anschließend mit ihm über seine vier Tore in Hamburg gefreut hat, der erkennt, dass das Team funktioniert. Da existiert kein Neid, es gibt ein starkes Wir-Gefühl. Aubameyang fühlt sich wohl in Dortmund, und er hat bei uns einen langfristigen Vertrag bis 2020.
Am 20. November steht die Mitgliederversammlung des BVB an. Warum wollen Sie Präsident des Vereins bleiben?
Mir macht das Amt immer noch Spaß, und es ist mir eine Ehre, Präsident dieses Vereins zu sein. Ich glaube, dass es dem Verein nutzen kann, wenn diese Kontinuität hier auch in Zukunft herrscht. Die jetzige Aufgabe ist nicht vergleichbar mit der des Jahres 2004, als es nur darum ging, den Klub am Leben zu erhalten. Nun geht es darum, die positive Geschichte der vergangenen Jahre zu verstetigen und nicht durch falsche Entscheidungen die falsche Richtung einzuschlagen. Im Erfolg werden mitunter die größten Fehler gemacht. Wir haben mittlerweile 145 000 Mitglieder, sind der zweitgrößte Sportverein Deutschlands, werden einen siebenstelligen Gewinn verkünden können. Der e.V. verfügt derzeit über ein Vermögen von rund 29 Millionen Euro allein aus Aktienkapital. Damit müssen wir gut und vertrauensvoll umgehen – und ich will gerne weiter dabei mithelfen.
Vor drei Jahren, als Sie zuletzt als BVB-Präsident zur Wahl standen, haben Sie gesagt, dass Sie sich fühlen wie 44. Wie steht es heute um Sie?
(Lacht) Wenn ich ehrlich bin: noch ganz genauso.
Wählen die BVB-Mitglieder Dr. Reinhard Rauball am 20. November erwartungsgemäß erneut zum Vereinspräsidenten, macht dieser im Laufe der nächsten dreijährigen Amtszeit seine 20 Dienstjahre voll. Rauball führt den BVB seit 2004. Zuvor agierte er bereits von 1979 bis 1982 und von 1984 bis 1986 als Präsident und verdiente sich stets den Namen „Retter“. 1979 war er mit 32 Jahren jüngster Präsident der Bundesligageschichte.