Der BVB in der NS-Zeit: Wie braun war Schwarzgelb?

© Repro: Kolbe

Der BVB in der NS-Zeit: Wie braun war Schwarzgelb?

rnBorussia Dortmund

Nazis und sogar SA-Mitglieder hat es einige in den Reihen von Borussia Dortmund gegeben. Wie braun verseucht die Schwarzgelben waren, soll jetzt eine Studie erforschen.

Dortmund

, 24.09.2020, 07:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

Zur Feier des 30-jährigen Bestehens verließ Borussia Dortmund seine angestammte Heimat. Der BVB lud 1939 nicht in eine der zahlreichen Gaststätten rund um den Borsigplatz im Norden der Stadt, sondern zu einem Fest in das Lokal „Kronenburg“ in der südlichen Innenstadt. Dort fühlte sich während des Dritten Reiches die SA zuhause, und mit Stolz verkündete der amtierende Vorstand, dass 80 Prozent der ersten Mannschaft der Borussia der SA angehörten. Unter ihnen auch August Lenz, der erste Nationalspieler des BVB und so etwas wie ein Star der damaligen Zeit.

August Lenz und andere BVB-Spieler waren NSDAP-Mitglieder

Wie andere Borussen war Lenz in die NSDAP eingetreten, er verdingte sich bei Propagandaspielen der Nazis, tauchte in Wahlkampagnen auf und sprach später von den Dreißigern als „die schönste Zeit meines Lebens“. Mehr als 1000 Tore schoss der Stürmer in 31 Jahren für Borussia. Hat er die schönen Stunden damals Seite an Seite mit dem BVB-Platzwart und bekennenden Kommunisten Heinrich Czerkus verbracht, der für die KPD in den Stadtrat gewählt worden war und später bei den Karfreitagsmorden 1945 im Rombergpark erschossen wurde? Wie braun verseucht waren Spieler und Funktionäre der Schwarzgelben in der Nazizeit? Wer war bei der Borussia aktiver Täter und strammer Nazi? Wer war nur Mitläufer, und wer aus den eigenen Reihen zählte zu den Opfern des Naziterrors? Wie wichtig war Politik im Ballspielverein?

Das Konterfei der BVB-Fußballegende August Lenz ist das Wappen des BVB-Fanklubs The Unity.

Das Konterfei der BVB-Fußballegende August Lenz ist das Wappen des BVB-Fanklubs The Unity.

Mit einer umfassenden und wissenschaftlich fundierten Studie „Der BVB in der Zeit des Nationalsozialismus“ möchte Borussia Dortmund klären lassen, wie es um den Verein in der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 bestellt war. In akribischer Detailarbeit sollen Namen und Zusammenhänge recherchiert werden, die – trotz schwieriger Quellenlage – Antworten auf die Frage geben können, welche Rolle der BVB und seine Protagonisten damals eingenommen haben. „Uns geht es nicht nur darum, mutmaßliche Täter ausfindig zu machen und ihre Rolle im Verein vor dem Hintergrund der Studie neu zu bewerten. Wir wollen auch die Opferperspektive beleuchten, Leidtragende des Regimes ermitteln und den BVB und seine Strukturen in der Nordstadt während der NS-Zeit einordnen“, sagt Daniel Lörcher. Er fungiert als Abteilungsleiter für Corporate Responsibility des BVB als Bindeglied zwischen dem Verein, an dessen Spitze sich Präsident Dr. Reinhard Rauball für eine Aufarbeitung der Klubhistorie ausgesprochen hat, und dem Forscherteam.

BVB beauftragt renommierten Dortmunder Historiker

Für diese Aufgabe hat der BVB in Dr. Rolf Fischer einen renommierten Dortmunder Historiker gewinnen können, der zusätzlich mit einem wissenschaftlichen Beirat von Experten zusammenarbeitet. Seit Anfang dieses Jahres sichtet, sammelt und sortiert Fischer gemeinsam mit seiner Kollegin Katharina Wojatzek die historischen Fakten.

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Unstrittig ist, dass auch einige BVB-Mitglieder und Spieler der NSDAP und der SA angehörten. Fischer sagt: „Dass auch Borussen und der BVB eingebunden waren vom NS-Regime, gilt als gesichert, weil alle Sportvereine diesem Diktat unterlagen.“ Doch wie widerspenstig oder linientreu agierten die Schwarzgelben damals? „Es geht uns um das Ausmaß“, erklärt Fischer.

Der BVB in der NS-Zeit: Forschungsarbeit ist aufwändig

Weil kaum belastbare Schriftstücke oder Fotos aus der NS-Zeit vorliegen, die mit dem BVB in Verbindung gebracht werden können, ist die Forschungsarbeit aufwändig. Sämtliche Publikationen aus den entsprechenden Jahren, Dortmunder Zeitungen und überregionale Fachblätter wie den „Kicker“, haben die Forscher bereits durchleuchtet. Diverse Archive in Berlin, Dortmund, Duisburg, Arnsberg und Münster wurden auf rund 300 Namen hin durchforstet, die in den 20er- und 30er-Jahren rund um die Borussia auftauchten.

Zu erforschen und gegebenenfalls neu zu bewerten sind gleich mehrere Figuren aus der Vereinsgeschichte, die den Schluss nahelegen, dass auch bei der Borussia, die zum wichtigsten Fußballklub der Stadt Dortmund aufgestiegen war, Nationalsozialisten das Geschehen lenkten oder in ihren Reihen mindestens duldete. Neben August Lenz zählt „Vereinsführer“ August Busse zu ihnen, der dem Verein von 1928 bis 1933 vorstand und 1934 das Amt von seinem Nachfolger Egon Pentrup, einem bekennenden Katholiken und Nazigegner, womöglich gegen dessen Willen übernahm. Ging es bei diesem Handel darum, im Sinne der Borussia eine Gleichschaltung zu verhindern? Oder war Busse, selber Mitglied der NSDAP, die personifizierte Gleichschaltung? Kritisch zu hinterfragen sind auch die Verwicklungen des aktiven BVB-Mitglieds Wilhelm Röhr, einem Obersturmführer der SA, oder von Karl Brettin, einem Nationalsozialisten, der als „Dietwart“ und Pressewart nach innen und außen wirkte.

Der BVB in der NS-Zeit: Aus „Hip Hip Hurra“ wurde „Sieg Heil“

Wer war Opportunist, wer leistete Widerstand? Wie harmonisch lief das Vereinsleben der Borussia tatsächlich ab, von der es doch seit Gründertagen heißt, sie sei eine große Familie? Wie unpolitisch konnte ein Fußballklub aus dem Arbeitermilieu von Hoesch und Co. im Dritten Reich sein - und bleiben? Wenn aus dem Sportlergruß „Hip Hip Hurra“ ein „Sieg Heil“ wurde und an der Weißen Wiese Hakenkreuzfahnen wehten, geschah das aus Zwang, war es den Spielern gleichgültig oder mussten sie es widerwillig in Kauf nehmen? Die immense Aufgabe, diese und viele weitere Fragen zu stellen und soweit wie möglich fundiert zu beantworten, will Historiker Rolf Fischer im Laufe des nächsten Jahres fertigstellen.

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Bisher hat es zwei nennenswerte Aufarbeitungen zur BVB-Geschichte in der NS-Zeit gegeben. Der frühere Vereinssprecher Gerd Kolbe machte sich in einer Pionierarbeit als einer der ersten historisch Interessierten an die Aufgabe, die wenigen verbliebenen Puzzleteile aus der Vergangenheit einzusammeln und die Geschichte aufzuschreiben. 2002 erschien sein Buch „Der BVB in der NS-Zeit“, in dem er auf knapp 200 Seiten aus journalistischem Antrieb zusammentrug, was ihm Zeitzeugen oder Nachfahren von damals berichten konnten. Wichtige Dokumente und Berichte wären ohne seine Recherchen wohl verlorengegangen. „Ich begrüße die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas außerordentlich“, sagt BVB-Archivar Gerd Kolbe, der im Verein seit Jahren auch die AG Tradition leitet.

BVB war in der NS-Zeit womöglich brauner als bislang dargestellt

In der offiziellen Chronik zum 110-jährigen Bestehen haben die Historiker Patrick Bormann und Nina Schnutz für einen „Einwurf“ eine erste wissenschaftliche Spurensuche zusammengefasst und eine intensivere Aufarbeitung und neue Deutungen angeregt. Womöglich, sagten die beiden Wissenschaftler im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten, sei der BVB in der NS-Zeit brauner gewesen als bislang dargestellt. Es gebe viele „Indizien, die eine regimeferne Haltung des Vereins zweifelhaft erscheinen lassen“.

Was auch immer bei der Aufarbeitung herauskommt, welche Ergebnisse, Tendenzen und Neubewertungen daraus hervorgehen, dem BVB ist wichtig, dass daraus Erkenntnisse und Handlungen folgen. „Das ist keine Studie für den Schrank“, sagt Lörcher. Gerade anhand eines allgegenwärtigen Beispiels wie dem BVB könnten Erinnerungskultur und eine aktuelle inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus erfahrbar werden. Borussia Dortmunds gesamtgesellschaftliches Engagement wird damit vollständiger.

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