Bis zu zwei Einheiten am Tag, dazu Videoanalysen und Einzelgespräche – die Tage im Trainingslager in Belek waren für die U23 von Borussia Dortmund gut gefüllt. Zeit zur freien Verfügung war die Ausnahme. Den ersten freien Nachmittag aber nutzte Göktan Gürpüz für einen Ausflug in einen Freizeitpark. Gemeinsam mit Lion Semic, Silas Ostrzinski und Dennis Lütke-Frie machte er sich auf den Weg ins „Land of Legends“. „Achterbahnfahren kam für mich nicht in Frage. Die Achterbahn hatte Loopings. Wenn ich die gefahren wäre, hätte ich mich übergeben müssen“, erzählt Gürpüz im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten.
Gürpüz erlebt emotionale Achterbahnfahrt
Außerdem ist der 19-Jährige in den vergangenen Monaten emotional schon genug Achterbahn gefahren. Als frisch gebackener Deutscher Meister mit der U19 nahm Gürpüz im Sommer am Trainingslager der Profis in Bad Ragaz teil. Dort zog er sich einen Muskelfaserriss zu. Ausfallzeit: 42 Tage. Danach fasste er nur schwer Fuß bei der U23. Auch die dortige Intensität machte ihm zu schaffen. Hinzu kamen die Einsätze für die U19 in der Youth League. Das Pendeln zwischen den Teams erwies sich als große Herausforderung.
„Es war ein sehr schwieriges Halbjahr für mich. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich so lange benötigen würde, um mit den unterschiedlichen Gegebenheiten klarzukommen. Ich habe meine Leistungen nicht gebracht und wusste einfach nicht, woran es gelegen hat. Jeder erwartet etwas von dir, auch du selbst und dann kannst du es nicht zeigen“, sagt Gürpüz selbstkritisch. Das sei hart gewesen, er habe in einem Tief gesteckt.
BVB-U19-Spiel gegen City als Wendepunkt
Den Tag, an dem sich das verändert, kann er genau datieren: Es ist der 25. Oktober 2022. Für die U19 geht es im vorletzten Gruppenspiel der Youth League gegen Manchester City. Die Engländer spielen brutal stark auf. Der BVB scheint der Wucht und dem Tempo nicht gewachsen. Zur Pause steht es 1:3. Die Sache scheint klar, das Aus besiegelt. Doch zwei Minuten nach Wiederanpfiff ist es Göktan Gürpüz, der die Kugel beherzt zum Anschlusstreffer ins Tor pfeffert. Und wiederum eine Viertelstunde später macht Gürpüz es nochmal – 3:3.

U19-Trainer Mike Tullberg hat nach Abpfiff feuchte Augen, als er von diesem emotionalen Moment berichtet. Zumal es ausgerechnet Göktan Gürpüz ist, der die Citizens mit zwei Ausrufezeichen erschüttert. Gürpüz, dem so oft mangelnde Torgefahr vorgeworfen wurde. Dieser Nachmittag in der Youth League gegen den englischen Meister bildet den Wendepunkt. „Nach dem City-Spiel hat sich alles verändert. Das war wie eine Befreiung. Das war der Moment, an dem die Barriere durchbrochen ist. Danach habe ich mich besser gefühlt und ich denke, das hat man dann auch an meinen Leistungen in der U23 gesehen“, gesteht Gürpüz. „Letztlich habe ich diese Zeit wohl einfach gebraucht. Aber jetzt fühle ich mich leichter, schneller, klarer im Kopf.“
Debüt für die türkische U21-Nationalmannschaft
Der Mittelfeld-Filou findet zurück zu alter Stärke. Neuer Mut pulsiert durch seine Adern. Zum Ende der ersten Saisonhälfte wird er dreimal eingewechselt und im letzten Spiel vor der Winterpause gegen Erzgebirge Aue steht er erstmals über 90 Minuten auf dem Rasen. Den Ballast der Vorwochen scheint er erfolgreich abgeschüttelt zu haben.

Für seine Entwicklung wird er belohnt. Er erhält erstmals eine Einladung zur türkischen U21-Nationalmannschaft. Mitte November folgt sein Debüt. Beim 1:1 gegen Österreich steht er gleich in der Startelf. „Ich habe meine Leistung auf den Platz gebracht, das hat sich sehr gut angefühlt“, sagt Gürpüz. Erst im September 2021 hatte er unter Hannes Wolf sein Debüt für die deutsche U19-Nationalelf gegeben, war aber später nicht mehr berücksichtigt worden. Nun also die Türkei, die Gürpüz seine Heimat nennt. Seine Familie stammt aus Bartin am Schwarzen Meer.
BVB-Trainer Preußer lobt Gürpüz
Rund 750 Kilometer weiter südlich davon bereitet sich Göktan Gürpüz mit der U23 von Borussia Dortmund auf die zweite Saisonhälfte vor. Er startet topfit ins Trainingslager. Die ihm aufgetragenen Läufe hat er „fast übererfüllt“, sagt Christian Preußer. Der BVB-Trainer ist angetan vom Eifer seines Youngsters. „Göki hat sich eine ganze Menge vorgenommen, das sieht man auch im Training. Er blüht auf“, lobt Preußer im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten. Gürpüz sei in den vergangenen sechs Monaten reifer geworden, er habe in dieser Zeit wichtige Erfahrungen gemacht.

Darüber hinaus hat er sich während seiner Verletzungspause gezielt Muskelmasse antrainiert. Vier Kilogramm aber sind noch nicht ausreichend. „Göktan muss körperlich noch weiter zulegen. Er muss Muskeln aufbauen, um noch mehr Masse in den Zweikampf zu bekommen. Natürlich möchten wir ihm als filigranen Techniker seine Leichtigkeit nicht wegnehmen. Aber es braucht einfach parallel zum normalen Training begleitend Krafteinheiten und die absolviert er auch fleißig“, sagt Preußer.
Warten auf das Profi-Debüt beim BVB
Gürpüz ist fleißig. Gemeinsam mit Personaltrainer Dany Petric absolviert er nicht nur Krafteinheiten, sondern schult auch seine Handlungs- und Reaktionsschnelligkeit. In der 3. Liga geht es im Zweikampf häufig gegen echte Brecher. Gürpüz sieht es so: Der beste Zweikampf ist der Zweikampf, den er nicht führen muss. „Ich bin im Kopf relativ schnell. Ich versuche immer einen Schritt voraus zu sein, das ist meine Waffe. Ich bin flink und versuche, mit schnellen Bewegungen am Gegner vorbeizukommen und den Zweikampf zu meiden, wenn ich den Ball habe.“
Sein Fleiß gepaart mit einer Portion Schlitzohrigkeit hat ihn schon weit gebracht. Vier Mal stand bereits im Profi-Kader des BVB. Zu einem Einsatz hat es aber noch nicht gereicht. „Darüber mache ich mir jetzt keinen großen Kopf. Es kommt, wie es kommt. Ich möchte nichts erzwingen. Wenn die Zeit reif ist und der Trainer mich bringen sollte, dann werde ich liefern und alles geben“, sagt Göktan Gürpüz. Die emotionale Achterbahnfahrt der vergangenen Monate hat er allem Anschein nach gut überstanden. Vielleicht nimmt er als nächstes das Riesenrad – die Aussicht von dort soll gut sein.
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