Kampfeinsatz: Polizei und Hertha-Fans lieferten sich Ende Oktober im Stadion eine handfeste Auseinandersetzung. © Inderlied/Kirchner

Borussia Dortmund

BVB untersagt nach Hertha-Ausschreitungen Choreografien im Gästeblock

Nach den Ausschreitungen beim BVB-Spiel gegen Berlin hat die Polizei eine Ermittlungskommission gebildet. Erste Ergebnisse liegen nun vor. Und es gibt Konsequenzen.

Dortmund

, 11.12.2018 / Lesedauer: 5 min

Am letzten Montag im Oktober hatte die Polizei Dortmund zu einer spontanen Pressekonferenz eingeladen. Grund waren die Ausschreitungen beim Spiel der Borussia gegen Hertha BSC zwei Tage zuvor. Polizei-Einsatzleiter Edzard Freyhoff stand Rede und Antwort. Polizeipräsident Gregor Lange war zugegen, dieses Spiel und seine Folgen waren Chefsache.

Gewalt-Eskalation

Während des Bundesliga-Spiels war die Polizei kurz nach dem Anpfiff gegen Berliner Ultras vorgegangen. Die hatten vorher im Schutz einer Fahne, die Teil einer genehmigten Choreografie war, Pyrotechnik abgebrannt. Als diese Fahne, für Ultras eine Art Heiligtum, kurze Zeit später auf dem Boden lag, versuchten Polizisten, sie an sich zu nehmen. In der Folge kam es zu einer Gewalt-Eskalation. Mit, so hieß es damals, 45 Verletzten. Dass es zu diesem Vorgehen der Polizei kam, überraschte damals - Pyrotechnik brannte zuvor bei einem Großteil der Dortmunder Heimspiele im Gästeblock des Signal Iduna Parks. Doch für Polizeipräsident Lange war bei jener Pressekonferenz die Frage nach dem „Warum“ abenteuerlich. Dankbar sei er seinem Einsatzleiter und den eingesetzten Polizisten. Man habe, so die Lesart der Polizei, alles richtig gemacht.

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Ob das so ist, darüber lässt sich auch heute noch streiten. Sicher ist, dass auch die damals eingesetzte Hundertschaft von dem Vorgehen in Richtung Fahne überrascht war. Und auch heute noch, so sagt es im vertraulichen Gespräch ein Beamter, der vorne mit dabei war, sei die Meinung unter den Kollegen gespalten. Es gebe zwei Lager, ungefähr gleich groß. „Absolut unnötig“ und „genau richtig“ seien die beiden Standpunkte unter den Polizeibeamten.

„Weder verhältnismäßig noch angemessen“

Kriminologe Thomas Feltes hat eine klare Meinung: „Der Einsatz war weder verhältnismäßig noch angemessen noch polizeitaktisch sinnvoll“, sagt der Professor von der Ruhr-Universität, der auch lange für die Deutsche Fußball Liga als Experte im Einsatz war. Es gebe seit Jahren den ehernen Grundsatz, mit einer Hundertschaft nur dann vor den Block zu ziehen, wenn Gefahr für Leib und Leben bestehe. „Mögliche Brandverletzungen oder Rauch durch Pyrotechnik reichen dafür nicht aus.“

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Die eigens gegründete Ermittlungskommission (EK) „Bär“ hat inzwischen rund 360 Gigabyte an Bildmaterial zu den Auseinandersetzungen vorliegen. Der überwiegende Teil stamme aus den Überwachungskameras im Stadion und Bildern der Einsatzhundertschaft, so eine Polizeisprecherin. Annähernd 50 Bilder oder Videos hätten Privatpersonen zur Verfügung gestellt. Erste Tatverdächtige seien identifiziert, bisher gebe es mehr als 90 Strafanzeigen. Die im Raum stehenden Delikte seien Landfriedensbruch, schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften, gefährliche Körperverletzung, tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte oder Sachbeschädigung. Mehr als 60 Strafanzeigen sind im Moment noch gegen „unbekannt“ gerichtet. Szenekundige Berliner Beamte sichten das Filmmaterial.

Genaue Anzahl der Verletzten nicht abschließend geklärt

Während in einer ersten Pressemitteilung der Polizei nach dem Spiel von 45 Verletzten die Rede war (35 durch von der Polizei eingesetztes Pfefferspray, 10 durch Rauchgas oder Pyrotechnik), heißt es heute, dass die genaue Anzahl der Verletzten noch nicht abschließend geklärt ist. Es gibt in diesem Zusammenhang aber eine Auffälligkeit: Mehrere Berliner, die sich bei dem Spiel verletzt hatten, bekamen Ende letzten Monats Post von der Dortmunder Polizei. Die EK „Bär“ war der Absender. Es interessiere sie, schrieben die Beamten, „ob Ihre Verletzung eine Folge der besagten Rauchgasentwicklung gewesen ist“. In diesem Fall wird dann darum gebeten, sich mit der Dortmunder Polizei in Verbindung zu setzen. Nach Pfefferspray oder anderen Verletzungen fragt die EK „Bär“ nicht. Warum nicht? „Das ist doch klar: Weil man einseitig ermittelt“, sagt Kriminologe Feltes.

Wie viele Personen diesen Brief bekommen haben, will die Polizei nicht sagen. Und auch nicht, woher die Polizei die Adressen der Verletzten hat. Dass sie die hat, ohne dass die Adressen in einem Verfahren aufgetaucht sind, überrascht zum Beispiel den Berliner Anwalt René Lau. Lau hat inzwischen mehrere Strafanzeigen im Auftrag von Berliner Mandanten gegen die Dortmunder Polizei erstattet. Hier lauten die vorgeworfenen Delikte Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung. Für ihn, so sagt der Jurist, war der Einsatz rechtswidrig. „Mindestens aber unverhältnismäßig“. Feltes hofft, dass es zum Strafverfahren kommt. „Dann wird man fragen können, warum wird einseitig ermittelt, warum wurde nicht nach Verletzten durch Pfefferspray gefragt. Und: Wie ist die Polizei an die Adressen gekommen?“

Klärendes Gespräch zwischen Verein und Polizei

Borussia Dortmund hatte sich kurz nach der Eskalation zunächst nicht geäußert. Inzwischen habe es ein klärendes Gespräch zwischen Polizei und Verein gegeben, in dem der Klub angemerkt habe, dass er sich beim Alleingang der Polizei ohne Rücksprache übergangen gefühlt habe. Eigene Konsequenzen hat die Borussia allerdings auch gezogen: Aktuell haben die Fans von Borussia Mönchengladbach die Erlaubnis für eine Choreografie für das Spiel am 21. Dezember angefragt, die der Verein nach Informationen dieser Redaktion abschlägig beantwortet hat. Es sei, so heißt es, bei der überwiegenden Mehrheit der angekündigten Choreos im Stadion zum Abbrennen von Pyrotechnik gekommen. Nun gehe man als Konsequenz daraus zu einer restriktiveren Haltung über. Fraglich ist, wie das bei den Fans aus Gladbach und der eigenen aktiven Fanszene ankommt und welche Reaktionen erfolgen.

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Edzard Freyhoff, Polizeiführer und damals verantwortlich für den Einsatz, kam im Mai 2017 in einer TV-Berichterstattung des WDR zu Wort. Er unterwarf damals das Eingreifen in einen Block dem „Gebot der Verhältnismäßigkeit“. Wörtlich sagte er: „Und wenn wir da mehr Schaden anrichten, wenn wir da in eine Gruppierung reingehen, wo wir dann Körperverletzungsdelikte haben, Widerstandshandlungen haben, verletzte Kollegen, verletzte Ordner haben, nur um ein Banner sicherzustellen oder sowas, dann wird es schon schwierig.“

Das sei auch weiterhin richtig, heißt es aus der Pressestelle der Dortmunder Polizei. Freyhoff habe damals theoretisch über das Eingreifen in einem Block gesprochen. Zu den Ausschreitungen bei dem Hertha-Spiel sei es vor dem Block gekommen.

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Update 12. Dezember:

Inzwischen hat die Polizei mit einer Stellungnahme auf die Berichterstattung reagiert. Dort beklagt sie die Anschuldigung, die EK Bär ermittle einseitig und erklärt: „Fakt ist aber, dass für Ermittlungen im Zusammenhang mit der Frage, ob Polizeibeamte sich im Einsatz rechtmäßig verhalten haben, aus Neutralitätsgründen nicht die Polizei Dortmund, sondern die Polizei in Recklinghausen zuständig ist.“

In einem zweiten Punkt weist die Polizei darauf hin, es werde der Eindruck erweckt, dass die Polizei möglicherweise nicht auf rechtmäßigem Wege in den Besitz von Adressen gelangt sei. „Fakt ist aber, dass die Polizei im Rahmen von Strafverfahren gesetzlich befugt und sogar verpflichtet ist, die Adressen möglicher Opfer und Zeugen zu ermitteln, um Straftaten aufzuklären und zu verfolgen“, heißt es dazu in der Stellungnahme.

Im Übrigen, so heißt es weiter, hätten Polizeipräsident und Einsatzleiter die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes geprüft. Wörtlich steht in der Stellungnahme: „Die Sicherstellung der Fahne diente dem Zweck, Körperverletzungen von unbeteiligten Dritten zu verhindern.“

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