Einmal mehr staunte am Dienstagabend deutscher Zeit die Fußballwelt vor den TV-Geräten. Portugal demütigte die Schweiz mit 6:1, und neben dem dreifachen Torschützen Goncalo Ramos oder dem leichtfüßigen Joao Felix brillierte ausgerechnet ein vermeintlicher Abwehrspieler bei diesem Offensivspektakel. Raphael Guerreiro steuerte ein Tor und eine Vorlage bei, brachte 91 Prozent seiner Pässe an den Mann, entfachte mit Antritten und Pässen Dauerdruck auf der linken Seite. Wie an den besten Tagen beim BVB, dachte man sich in Dortmund und Umgebung. Als verkappten Spielmacher auf dem Flügel, als stürmischen Verteidiger mit kreativen Einfällen im Kombinationsspiel kennt und schätzt man Guerreiro.
Guerreiros BVB-Vertrag endet im Sommer
Doch anders als 2016, als nach dem Sieg der Portugiesen bei der Europameisterschaft in Frankreich die Manager aus Manchester oder Madrid übellaunig staunten, dass sich Borussia Dortmund bereits vor dem Turnier die Dienste des technisch hochveranlagten Außen gesichert hatte, kehren sich die Vorzeichen im Winter 2022 um. So ein Guerreiro, wie er gegen die Eidgenossen auftrumpfte, käme in vielen Topklubs zum Zuge. Für genug Aufmerksamkeit hat er gesorgt. Und der soll im nächsten Sommer mit dann 29 Jahren ablösefrei auf den Markt kommen?
So sieht es derzeit aus. Der Arbeitsvertrag zwischen Raphaël Adelino José Guerreiro und dem BVB endet im kommenden Juni. Aus dem direkten Umfeld des Spielers haben die Ruhr Nachrichten gehört, es sei bereits entschieden worden, dass „Rapha“ den Klub verlassen werde. Einen gut dotierten Vertrag kann der in Frankreich aufgewachsene Guerreiro mindestens noch unterschreiben, ohne fällige Ablöse könnten er und seine Berater bei einem taxierten Marktwert von 20 Millionen Euro bei einem Wechsel zusätzlich ein gutes Handgeld einstreichen. Über Jahre hat der Linksverteidiger betont, wie zufrieden er und seine Familie in Dortmund seien, wie wohl man sich fühle. Doch irgendwann ist wohl der Zeitpunkt für einen Abschied gekommen. Ist es im Sommer 2023 so weit?
Guerreiro fehlt dem BVB im Schnitt fünf Mal pro Saison
Bei Borussia will man von einer gefallenen Entscheidung nichts wissen und verweist auf Gespräche, die noch stattfinden werden. Wie bei unzähligen anderen Profis birgt der auslaufende Vertrag bei Guerreiro ein Risiko für den Klub. Wenn der Spieler nicht von einer neuen Vereinbarung überzeugt werden kann, steht es ihm frei, sich einen neuen Verein zu suchen. Die Entschädigung in Form einer marktgerechten Ablöse entginge dem BVB.

Wie groß der Schmerz darüber ausfällt, hängt auch davon ab, wie sehr Guerreiro beim zweiten Teil des Umbruchs noch eingeplant ist oder eben nicht. Sportdirektor Sebastian Kehl hat mehrfach betont, dass die „Verfügbarkeit“ eine größere Gewichtung bekommen soll bei der Kaderplanung. Die vergangenen, von (zu) vielen Verletzungen geprägten Jahre haben den sportlichen Erfolg bei Borussia Dortmund torpediert. Guerreiro, das ist breitflächig diskutiert, hat seinen Anteil daran. Auf sage und schreibe 28 Ausfallzeiten kommt der Portugiese seit seiner Anstellung im Sommer 2016. Er fällt im Schnitt fünf Mal pro Saison wegen Blessuren und Kalamitäten aus.
Linke BVB-Seite als Einfallstor für die Gegner
Und zur sachlichen Vervollständigung des Stärke-Schwäche-Profils von Guerreiro gehört eben auch die Kehrseite, die an seinen guten Tagen vernachlässigbar erscheinen mag, an durchschnittlichen oder schwächeren hingegen so manchem Trainer die Zornesröte ins Gesicht treibt. Jene Momente, in denen er mit teilnahmsloser Körpersprache einem Konter hinterher trabt, der auf sein Tor zurollt. Oder in denen er in seinem Verteidigungsbezirk als eher gedankenversunkener Schutzmann Umsicht und Patrouille vernachlässigt. Dortmunds linke Flanke ist immer wieder ein Einfallstor für die Gegner.
Heute Abend winkt Guerreiro die nächste Gelegenheit zur Eigenwerbung bei der WM. Seinen Stammplatz hat er wegen des verletzungsbedingten Ausfalls seines Positionskonkurrenten Nuno Mendes sicher, und ihm blühen aufsehenerregende Duelle auf seiner Außenbahn. Bei Gegner Marokko stürmt in Achraf Hakimi ein anderer spektakulärer Verteidiger die Linie rauf und runter. Die Ausprägung von Qualitäten und Defiziten ist beim Ex-Borussen ähnlich zugunsten der Offensive verlagert wie bei Guerreiro. Hakimi trauern in Dortmund viele nach. Bei Guerreiro könnte es schon bald ähnlich kommen.
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