
Marco Reus (r.) und Anthony Modeste bejubeln den BVB-Sieg in Berlin. © imago / Nordphoto
BVB-Sieg mit Schönheitsfehler: Modeste steht in Berlin goldrichtig
Borussia Dortmund
Der BVB erlebt in Berlin einen skurrilen Nachmittag. Trotz zahlreicher Chancen gelingt nur ein Tor. Modeste lässt Dortmund durchatmen.
Völlig erschöpft sanken Borussia Dortmunds Akteure zu Boden – am Ende von 90 hoch intensiven, aber unnötig spannenden Minuten stand ein schwer erkämpfter 1:0-Erfolg im Berliner Olympiastadion. Von den Kräfteverhältnissen auf dem Rasen war der Dortmunder Sieg verdient. Die gelungene Wiedergutmachung für den Blackout gegen Bremen vor einer Woche hatte einen Schönheitsfehler. Dortmund schoss 20 Mal aufs Tor der Berliner, 18 (!) mal von innerhalb des Strafraums. Die Ausbeute aus dieser Überlegenheit war viel zu mager.
BVB-Torhüter Gregor Kobel ist in Berlin unüberwindbar
Das sorgte für unnötige Aufregung in der dramatischen Schlussphase, in der Gregor Kobel, zuvor schon mit mehreren glänzenden Paraden, die Führung am Leben hielt, als er den Schuss des eingewechselten Marco Richter an die Latte lenkte (79.). Wie ein Kellerkind spielten die mit nur einem Zähler gestarteten Berliner wahrlich nicht und verlangten der Borussia alles ab.
Als Schiedsrichter Tobias Stieler zur Pause pfiff, hatte Borussia Dortmund schon elf Mal vors Tor der Hertha geflankt. Nicht zufällig entstand das Tor des Tages auch aus einem so vorbereiteten Angriff. Marius Wolf hatte die Kugel nach einem Einwurf in den Lauf von Salih Özcan gelegt, der BVB-Debütant den Ball butterweich in die Mitte geschaufelt – genau auf den Kopf von Anthony Modeste, der von Berlins Marc-Oliver Kempf nicht mehr zu stoppen war. Wunderschön segelte der Ball in den linken Torwinkel, an der Seitenlinie vollführte Edin Terzic ein Freudentänzchen.
Bei BVB-Neuzugang Anthony Modeste platzt in Berlin der Knoten
Genau diese Szenen wollte Dortmunds Trainer von seiner Elf sehen als Reaktion auf ein Spiel gegen Werder Bremen, das komplett an Modeste vorbeigelaufen war, weil es den Mitspielern nicht gelang, ihn so einzusetzen, dass der bullige Stürmer seine Stärken ausspielen konnte. Es war auffällig, wie konsequent die Borussia Modeste von außen immer wieder suchte.
Das Tor (32.) fiel nach einer wilden Phase mit zwei Dortmunder Aluminiumtreffern (Reus, Özcan) und klaren Feldvorteilen für die Schwarzgelben, die sich von einer Berliner Großchance durch Jonjoe Kenny (4.) nicht aus dem Konzept bringen ließen. Gregor Kobel hatte den BVB in dieser Szene vor einem Rückstand bewahrt, als er den abgefälschten Aufsetzerschuss spektakulär mit einer Hand zur Ecke lenkte.
Salih Özcan mit einem gelungenen Debüt im BVB-Mittelfeld
Ein zweiter Treffer für die Borussia lag in der Luft. Modeste (25.), Adeyemi, der im Strafraum beim Schussversuch ausrutschte (19.) und Julian Brandt, der mit Tempo in den Berliner Strafraum eindrang und dann den Zeitpunkt für den Abschluss verpasste (29.), hatten weitere dicke Chancen für die Gäste, bei denen die Abwehr sicher stand und Debütant Özcan mit viel Körpereinsatz und Laufarbeit das defensive Mittelfeld ordnete, aus dem heraus der BVB immer gefährlich mit Tempo die Lücken der Berliner Deckung bespielte.
Nach Kobels Glanzparade drohte bis zur Pause nur noch einmal Ungemach, als Raphael Guerreiro als letzter Mann einen schlampigen Pass spielte und Hertha damit eine 3:1-Überzahl ermöglichte. Mit starkem Umschaltspiel machte der BVB aber diese Chance zunichte.
Karim Adeyemi hat zweimal den zweiten BVB-Treffer auf dem Fuß
Die Partie hielt auch nach dem Wechsel ihren hohen Unterhaltungswert. Reus scheiterte an Christensen (47.), dann verpasste Adeyemi gleich zwei Mal hintereinander die große Chance zum 2:0, als er frei vor Christensen am Berliner Keeper scheiterte und auch den Abpraller in den Himmel drosch (58.). Und auch die Berliner machten mit: Der sehr agile Chidera Ejuke ließ Wolf stehen und zog nach innen, sein Schuss aus spitzem Winkel flog übers Tor (60.).
Das war ein Startsignal für die Hertha, deren Druck nun deutlich zunahm – auch, weil der BVB den Ballbesitz zu schnell wieder hergab. Der eingewechselte Jovetic prüfte Kobel aus 25 Metern, wieder war der Dortmunder Keeper zur Stelle (68.).
Jude Bellingham vergibt zahlreiche BVB-Chancen nach Kontern
Berlins Offensive sorgte für große Räume zum Kontern. Julian Brandt legte den Ball perfekt in den Lauf von Jude Bellingham, dessen Flachschuss grenzte an Überheblichkeit und landete genau in den Armen von Hertha-Keeper Christensen (72.). Zwei weitere Gelegenheiten zur endgültigen Entscheidung ließ der Engländer aus (74./76.), dadurch stand die Führung der Borussia weiter auf tönernen Füßen. Und der BVB durfte sich bei Kobel bedanken, der Richters fulminanten Schuss an die Latte lenkte (79.).
Es wurden noch 15 lange Minuten inklusive Nachspielzeit für die Borussia, die alles hineinwarf und unterm Strich auch ein verdienter Sieger war. Der große Chancenwucher sorgte freilich dafür, dass der BVB die Partie nicht viel früher für sich entschied.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
