BVB-Profi Raphael Guerreiro im Formtief Die Argumente für einen neuen Vertrag schwinden

BVB-Profi Raphael Guerreiro im Formtief: Die Argumente für einen neuen Vertrag schwinden
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Man müsse sich, riet BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl, doch nur die Szene vor dem 4:2 der Gladbacher anschauen, wie die Mannschaft da verteidigt habe. Nämlich gar nicht, schob er hinterher. Drei Borussen hinderten Torschütze Manu Kone im Zentrum nicht am Schuss. Und vorher, auf dem Flügel, da schreckte Raphael Guerreiro vor seinem Gegenspieler und Vorbereiter Jonas Hofmann zurück, als habe der sich ein gruseliges Helloween-Kostüm übergezogen.

Miserabler Wert für BVB-Spieler Guerreiro

Ein paar Schritte vor, wieder rückwärts – Guerreiros Abwehraktion entfachte so viel Druck wie in einem platten Ball steckt. Auch beim 1:0 nach vier Minuten schaute Dortmunds Linksverteidiger Hofmanns Laufweg staunend hinterher. Nur 17 Prozent seiner Zweikämpfe hat der Portugiese gewonnen, ein miserabler Wert für einen Defensivspieler, selbst wenn dessen Stärken im Vorwärtsgang liegen. Zum Vergleich: Sein Gladbacher Pendant Ramy Bensebaini, der ebenfalls gerne angreift und sich so auch in den Fokus des BVB gespielt hat, konnte eine Quote von 68 Prozent verbuchen.

Eine gewisse Lustlosigkeit im Defensivverhalten prägte Guerreiros Spiel schon immer. Doch die Bereitschaft dazu und seine Leidensfähigkeit scheinen weiter abzunehmen. Er steht für schönen Fußball, für Hacke, Spitze, Doppelpass. Aus gutem Grund nennen Mitspieler wie Marco Reus ihn bei der Frage nach dem besten Kicker in der Mannschaft. Der 28-Jährige hat für den Ball mehr Gefühl im linken Fuß als viele Leute in ihrer rechten Hand. Damit brilliert er gelegentlich mit großartigen Szenen, er liebt es, in den engen Räumen nahe des gegnerischen Sechzehners mit Finten und Finessen den Raum zu öffnen, Steckpässe zu spielen. Sechs Scorerpunkte (3/3) in 18 Partien sprechen für ihn.

Guerreiro ist einer der besten BVB-Techniker

Viel häufiger allerdings sieht man ihn mit hängenden Schultern seinem primären Arbeitsauftrag nachkommen, mit entsprechendem Ergebnis. Wenn die allgemeine Entwicklung im Fußball mehr Schwerpunkte auf Aggressivität, Intensität und physische Widerstandsfähigkeit legt als auf Ballkontrolle, Kreativität und „Geschnicke“, ist das ein Alarmzeichen für Typen wie Guerreiro. Es gibt in der Bundesliga wohl keinen zweiten Linksverteidiger mit solch einem feinen Fuß, aber eine ganze Reihe Dauersprinter auf der Außenbahn, die einen größeren Wert für ihre Mannschaft erbringen. Man muss das als Fußballästhet nicht gutheißen. Aber man darf es auch nicht ignorieren. Ebenso wenig die zehn (!) Ausfallzeiten allein seit Sommer 2021, mal wegen Krankheit, meist wegen muskulärer Beschwerden.

In Borussia Dortmunds Chefetage wird der Fall Guerreiro beim begonnenen und fortzusetzenden Umbruch kontrovers diskutiert. Da spielt der beschriebene sportliche Wert in die Überlegungen mit hinein bei der Frage, ob die Zusammenarbeit mit dem Portugiesen im Sommer 2023 nach dann sieben gemeinsamen Jahren endet. Da spielt aber auch der ökonomische Sachverhalt eine Rolle. Bei einem Marktwert von 20 Millionen Euro (vor der Weltmeisterschaft) gehört Guerreiro zu den relevanten Vermögenswerten im Kader. So einen Spieler ablösefrei ziehen zu lassen, muss man sich erlauben können, sofern man denn zu dem Entschluss kommt, dass er in einer neu ausgerichteten Mannschaft keine Hauptrolle mehr übernehmen soll.

Schulz und Passlack sind keine BVB-Optionen

Zur Entscheidungsfindung muss man alle Kandidaten für die Position „Linker Verteidiger“ ins Auge fassen. Guerreiros Argumente für einen neuen Vertrag schwinden. Der BVB will sich auch von Nico Schulz trennen, der nicht mehr zum Einsatz kommt und möglichst im Winter den Kaderplatz freiräumen soll. Auch bei Felix Passlack, der anderen Alternative für diese Position, mehren sich Wechselgedanken, weil er selbst bei ausgeprägter Personalnot kaum Einsatzzeiten verbuchen kann.

Raphael Guerreiro schießt den Ball Richtung Tor.
Einer der besten Techniker im BVB-Kader: Linksverteidiger Raphael Guerreiro. © imago / Moritz Müller

Sollten die beiden Letztgenannten bis Ende Januar den Klub verlassen, wäre Platz frei für eine vorgezogene Verpflichtung eines Kalibers wie Bensebaini. Nachwuchshoffnung Tom Rothe bliebe in jedem Fall als weitere Reserve im Mannschaftskreis, in der Not kann auch Marius Wolf dort aushelfen. Quantitativ ist Dortmund hinten links gut bestückt. Qualitativ nicht.

Guerreiro-Vertrag beim BVB läuft im Sommer aus

Die BVB-Bosse könnten Guerreiro bei den anstehenden Gesprächen frühzeitig mitteilen, dass sie ab nächstem Sommer nicht mehr mit ihm planen. Oder ihm ein Angebot unterbreiten, dass die Spielerseite als nicht akzeptabel betrachten wird. Das könnte auch der Wechselwilligkeit Guerreiros, der sich samt Familie in Dortmund nach wie vor sehr zuhause fühlt, auf die Sprünge helfen. Mit fast 29 Jahren – zwei Tage vor Weihnachten feiert Guerreiro Geburtstag – kommt er in ein Fußballalter, in dem man auf den letzten großen Vertrag hinarbeitet. Bis dato hat er zwar 206 Partien für den BVB bestritten. Doch es gibt nicht wenige Beobachter und Fans, die ihm unterstellen, er habe Borussia Dortmund bis heute nicht verstanden.

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