Edin Terzic gibt Raphael Guerreiro Anweisungen.

Unter BVB-Trainer Edin Terzic (rechts) zählt Linksverteidiger Raphael Guerreiro zu den Vielspielern. © IMAGO/Revierfoto

BVB-Linksverteidigung: Was sie zur Achillesferse macht

rnBorussia Dortmund

Raphael Guerreiro ist beim BVB als Linksverteidiger gesetzt. Stellvertreter Tom Rothe braucht noch Zeit. Was die Position zur Achillesferse macht.

Dortmund

, 14.10.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Flutlicht. Rekord-Kulisse im Europapokal. 81.000 Zuschauer haben ihren Blick auf einen gerichtet. So also fühlt sich die Königsklasse an. Tom Rothe gibt am Dienstag beim 1:1 gegen den FC Sevilla sein Debüt in der Champions League. Edin Terzic hat den 17-Jährigen anstelle von Raphael Guerreiro in die Startelf beordert. Der 1,93 Meter große Blondschopf erhält als Linksverteidiger den Vorzug.

BVB-Debütant Tom Rothe mit schwerem Stand gegen Sevilla

Auf seiner Seite hat er es mit den ungleich erfahreneren und ausgebuffteren Suso und Jesus Navas zu tun. Das bekommt er früh zu spüren. Nach zwölf Minuten ist der mehr als doppelt so alte und an Titel hochdekorierte Jesus Navas mit einer einfachen Finte an Rothe vorbeigezogen und kann unbedrängt für den im Zentrum lauernden Ivan Rakitic servieren. Den Andalusiern bietet sich so eine frühe Torchance.

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Rothe, das ist zu sehen, tut sich mit Tempo und Dynamik des FC Sevilla schwer, auch mit dessen ebenso cleveren wie kompromisslosen Zweikampfverhalten. Ein Drittel seiner Pässe landet zudem beim Gegner. Kurzum: Rothe wird bei seiner Premiere auf europäischer Bühne gleich mal an seine Grenzen geführt. Anders als bei seiner gelungenen Premiere Mitte April in der Bundesliga, bei der Rothe den Torreigen beim 6:1 den VfL Wolfsburg mit einem Kopfballtreffer vor der Südtribüne eröffnet und 88 Minuten auf dem Feld steht, ist für ihn in der Königsklasse bereits zur Halbzeit Schluss.

BVB-Ressortleiter Raphael Guerreiro gibt nach der Pause Stabilität

Zur zweiten Hälfte übernimmt Ressortleiter Raphael Guerreiro. Der Portugiese, der gegen Sevilla sein 200. Pflichtspiel für den BVB bestreitet, stabilisiert die linke Dortmunder Seite zwar. Sonderlich viele Impulse aber gehen auch von ihm nicht aus. Guerreiros Auftritten haftet auch in dessen nunmehr siebter Saison in Dortmund weiterhin eine rätselhafte Flatterhaftigkeit an. Während der 28-Jährige gute Leistungen in der Bundesliga äußerst sparsam dosiert, lediglich gegen Hertha BSC überzeugt und gegen Leverkusen und Bayern ordentlich spielt, siedelt er sie in den ersten drei Gruppenspielen der Champions League gegen Kopenhagen, in Manchester und in Sevilla auf konstant hohem Niveau an. Allein im Rückspiel gegen Sevilla weiß (auch) er nicht zu überzeugen.

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Hinzu kommt Guerreiros über Jahre kultivierte Anfälligkeit für Muskelverletzungen sowie seine Verspieltheit und sein Hang für technische Sperenzchen auf dem Platz, wenn ein klarer Ball angemessener wäre. Die unbeständigen Leistungen und die beständige Verletzungsanfälligkeit ergeben eine Restzweifel säende Mischung. Sie sorgen dafür, dass die Verantwortlichen bei der Borussia noch immer zögern, den im Sommer 2023 auslaufenden Kontrakt des 28-Jährigen auszudehnen. Guerreiro hingegen würde nach RN-Informationen gerne im Verein bleiben – seine Familie fühlt sich in Dortmund ausgesprochen wohl. Das allein aber ist ein zu schwaches Argument für eine Vertragsverlängerung.

BVB-Dauerbrenner Guerreiro und die Sorge vor Muskelverletzungen

Guerreiro wird in den nächsten Wochen unter Beweis stellen müssen, dass er für den BVB ebenso topfit wie motiviert beim Tanz auf drei Hochzeiten einen Mehrwert darstellt. Dass er sein Wirken auf der linken Seite nicht nur auf offensive Ausflüge beschränkt, sondern seiner Stellenbeschreibung in vollem Umfang nachkommt. Das schließt die Arbeit gegen den Ball ein. Wie so oft geht es beim Portugiesen um die richtige Balance zwischen Abdichten und Anschieben, Abriegeln und Ausschwärmen. Und darum, gesund zu bleiben. Guerreiro ist beim BVB einer der Vielspieler, hat bereits 997 Pflichtspielminuten in den Beinen. Nur Thomas Meunier (1082 Minuten), Nico Schlotterbeck (1189) und Jude Bellingham (1440) kommen auf mehr Einsatzzeit.

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Und auch in dieser Saison verhindern muskuläre Probleme bereits einen Einsatz Guerreiros im Derby gegen Schalke und in der portugiesischen Nationalmannschaft. Angesichts der ohnehin hohen, dem Drei-Tages-Rhythmus geschuldeten Belastung und weiterer bevorstehender strapaziöser Englischer Wochen könnte die Linksverteidiger-Position zu einer echten Achillesferse des BVB werden.

BVB-Talent Prince Aning benötigt Zeit zur Anpassung

Gewiss, in Marius Wolf hat Edin Terzic einen Allrounder im Kader, der nahezu jeden Part verlässlich übernehmen kann. Ein echter Linksverteidiger ist er aber nicht. Im Gegensatz zu Nico Schulz, der wiederum bei den Profis keinerlei Perspektive mehr hat und den Klub nach Möglichkeit im Winter verlassen soll. In Tom Rothe und dem vor der Saison von Ajax Amsterdam verpflichteten Prince Aning hat Borussia Dortmund zwei weitere waschechte Linksverteidiger, die als unbestritten talentierte Stellvertreter Guerreiros durchgehen.

Tom Rothe und Prince Aning gehen über den Platz.

In Tom Rothe (links) und Prince Aning (rechts) hat der BVB zwei vielversprechende Talente für die Linksverteidiger-Position. © IMAGO/Jan Huebner

Doch sowohl Rothe (noch 17) als auch Aning (18) fehlt es angesichts ihres Alters naturgemäß an der entsprechenden Erfahrung. Aning soll über die U23 in der 3. Liga an die Profis herangeführt werden. Er hat gegenwärtig mit der in Deutschland ungleich härteren Physis und Intensität zu kämpfen und war zuletzt mit einer Fußverletzung außer Gefecht gesetzt. „Prince muss ankommen, er braucht noch ein bisschen Zeit – das macht er gut“, konstatiert Edin Terzic bereits Anfang September.

BVB-Trainer Edin Terzic hat großes Vertrauen in seine Back-ups

Tom Rothe ist dagegen in einer ganz anderen körperlichen Konstitution. Er steht in der Hierarchie (nicht nur deshalb) klar vor dem Niederländer. „Wichtig ist, dass die Jungs im Rhythmus bleiben, Spielminuten haben. Beide sind auf einem sehr guten Weg und wir sind sehr glücklich beide zu haben“, urteilt der BVB-Trainer. Um Raphael Guerreiro den Platz streitig zu machen, dafür reicht es bei den beiden Youngstern noch nicht. Der Portugiese ist gesetzt. In Dortmund hoffen sie, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, in den nächsten Wochen bis zur WM-Pause konstant abliefert und sich damit für eine Vertragsverlängerung unverzichtbar macht.

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Und falls Guerreiro doch mal ausfällt? „Tom und Prince wären beide Back-ups, die man bedenkenlos reinwerfen kann“, unterstreicht Terzic. Wacklige Leistungen wie die von Tom Rothe gegen Sevilla ändern nichts am grundsätzlichen Zutrauen des Trainers in die Fähigkeiten seiner Nachwuchskraft. Sie sind Teil des Entwicklungsprozesses und entsprechend eingepreist.