Am 31. Mai wird Marco Reus 34 Jahre alt, 30 Tage später endet nach jetzigem Stand seine Anstellung bei Borussia Dortmund. Ob der Kapitän dann nach elf Jahren bei seinem Jugendklub den Spind räumen wird? Völlig offen. Reus möchte bleiben. Der BVB möchte ihn auch halten – aber nur zu bestimmten Konditionen. Es geht ums Gehalt, von derzeit bis zu zwölf Millionen Euro müsste der Topverdiener der Schwarzgelben mit etwas mehr als der Hälfte auskommen. Es geht auch um die Laufzeit – logisch bei einem Spieler seines Alters und mit seiner Verletzungshistorie.
Mit Marco Reus läuft’s beim BVB besser
Neben allen weichen Faktoren – Spielführer, Dienstältester, Fanliebling, Klublegende und womöglich bald Rekordtorschütze – muss bei den Argumenten entscheiden: Braucht Borussia Dortmund Marco Reus – oder braucht Reus den BVB sogar mehr? Wie entscheidend ist der 33-Jährige, der immer noch ein Unterschiedsspieler sein kann, für den Erfolg der Mannschaft? Ein Blick in die Fakten unseres Datendienstleisters Deltatre zeigt: Mit Reus läuft’s besser. Reus haut sich immer noch rein. Aber abhängig ist das Team von ihm nicht mehr.
01.) Begrenzte Verfügbarkeit: 374 Spiele hat Reus für den BVB bestritten, 158 Tore erzielt – 147 Mal fiel er verletzungsbedingt aus. So auch im Herbst vergangenen Jahres. In den beiden Spielzeiten zuvor verschont und im Dauereinsatz (32 bzw. 29 Bundesliga-Spiele), hat er in dieser Saison bereits wieder acht Bundesliga-Spiele verpasst. Er kam nicht einmal in der Hälfte der möglichen Zeit zum Einsatz (956 von 1980 Minuten gespielt, etwa 48 Prozent). In der Champions League kamen gar nur 174 (von 630 möglichen) Minuten zusammen.

02.) Großer Erfolgsfaktor: Mit dem 33-Jährigen erreicht der BVB in dieser Bundesliga-Saison eine deutlich bessere Bilanz und holt 2,4 Punkte pro Spiel. Ohne ihn waren es im Schnitt nur 1,6 Zähler. Hochgerechnet hätte der BVB in den 22 Saisonspielen mit Reus auf dem Platz 52 Punkte gesammelt – das würde die Tabellenführung mit sechs Zählern Vorsprung bedeuten. Mit Reus auf dem Platz erzielte der BVB in dieser Saison im Schnitt alle 60 Minuten ein Tor (16 in 956 Minuten). Allerdings traf die Borussia ohne ihn sogar alle 35 Minuten (29 Treffer in 1024 Minuten), also fast doppelt so häufig.

03.) Regelmäßig Unterschiedsspieler: Routinier Reus besticht immer noch durch seine offensiven Aktionen: Alleine in den beiden vergangenen Spielen gegen Hertha und Hoffenheim sammelte er drei Scorer-Punkte, lieferte jeweils die Vorlagen zum 1:0 und traf selbst per Freistoß. Insgesamt ist er aber nicht mehr so auffällig wie früher. In dieser Bundesliga-Saison sammelte er sieben Scorer-Punkte (drei Tore, vier Torvorlagen). In der vergangenen Saison waren es 21 Torbeteiligungen (neun Tore, zwölf Torvorlagen), in der Spitze sogar 32 (2013/14: 16 Tore, 16 Assists). Davon ist Reus mittlerweile weit entfernt.
04.) Häufigere Auszeiten: Die Entwicklung geht eher in die gegenteilige Richtung. Diese Saison war Reus alle 137 Minuten an einem Tor direkt beteiligt. 2021/22 galt das noch alle 121 Minuten. In seiner überragenden Spielzeit 2013/14, als er der ligaweite Topscorer war, gelang das noch alle 69 Minuten. Wichtig sind seine Torbeteiligungen noch immer: Fünf seiner sieben Scorer-Punkte sammelte er zu einer 1:0-Führung des BVB, alle drei Saisonspiele mit Reus-Toren hat der BVB gewonnen, zweimal davon mit 1:0.

Reus sucht sich mit all seiner Erfahrung die aussichtsreichen Szenen gezielter aus, dadurch ist er nicht mehr ganz so präsent wie früher, er nimmt sich seine Auszeiten. So gab Reus in dieser Saison alle 42 Minuten einen Torschuss ab, vorige Saison sogar nur alle 50 Minuten. In seiner besten Saison 2013/14 zog er noch alle 20 Minuten ab. Obwohl der Dortmunder immer noch gesucht und gefunden wird von seinen Mitspielern, nimmt er weniger Einfluss aufs Spiel. Er war diese Saison im Schnitt nur 44-mal pro 90 Minuten am Ball - sein durchschnittlicher Karriere-Wert liegt bei 56 Ballbesitzphasen. In der Spitze (2013/14) waren es 63 pro 90 Minuten.
05.) Voller Einsatz: An Einsatzwillen hat es Reus nie mangeln lassen, auch wenn er nicht jeden Defensivzweikampf ohne Rücksicht auf Verluste führt. In der Spielzeit 2022/23 gewann er bisher 44 Prozent seiner Duelle, da liegt er in etwa auf seinem Karriere-Wert beim BVB (zuvor 45 Prozent). Er bestritt dabei durchschnittlich 21 Zweikämpfe pro 90 Minuten. In seiner BVB-Zeit davor waren es 23 pro Spiel. Das Niveau hält er also und auch läuferisch ist ihm nichts vorzuwerfen: Mit 11,1 Kilometern pro Partie liegt er auf dem gleichen Level der vergangenen Jahre. Körperlich kann ein gesunder Reus also durchaus mithalten. Seine Spitzengeschwindigkeit von 32 km/h kann sich noch sehen lassen, 31 Sprints im Schnitt verpackt er auch.
06.) Taktisches Fragezeichen: BVB-Trainer Edin Terzic hat mehr als deutlich aufgezeigt, dass er für den mannschaftlichen Erfolg auf große Namen keine Rücksicht nimmt. Der Einsatzbereich seines Spielführers begrenzt die taktischen Möglichkeiten, Reus kommt eigentlich nur als Zehner infrage, in bestimmten Situationen (gegen Topgegner) noch als verkappter Flügelstürmer. Eine „Lex Reus“ wird Terzic nicht anstreben, bei aller Wertschätzung müsste der Fußballer des Jahres 2012 und 2019 auch immer wieder mal mit einem Bankplatz vorliebnehmen.
Klares Fazit: Wenn Marco Reus sich auf den neu ausgerichteten BVB einlassen und partiell mit einer Reserverolle anfreunden kann, wird er (Gesundheit vorausgesetzt) der Mannschaft sportlich auch mindestens ein weiteres Jahr weiterhelfen, nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrung. Der Klub muss gegenrechnen, wieviel Gehalt der Kapitän in Zukunft wert ist – die Vergangenheit darf dabei keine Rolle spielen. Bei einem stärker leistungsbezogenen Salär kann Borussia Dortmunds Kapitän auch in Zukunft noch Spiele für seinen Klub gewinnen. Nicht immer. Aber immer noch.
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