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BVB-Aufsteiger Dahoud im Exklusiv-Interview: „Edin hat mir eine ehrliche Chance gegeben“
Borussia Dortmund
Beim BVB gesetzt, im DFB-Team vor dem Comeback: Mahmoud Dahoud hat sich zurückgekämpft. Im Exklusiv-Interview spricht der 25-Jährige über Technik, Taktik und seinen stolzen Vater.
Wie ist es, wieder zurück bei der Nationalmannschaft zu sein?
Schön!
Wie hat Hansi Flick Sie kontaktiert?
Er hat mich angerufen und mir Bescheid gegeben, dass er mich gerne nominieren möchte. Ich habe mich sehr gefreut, weil ich ja zuletzt bei der EM nicht im Aufgebot stand.
Sie haben jetzt einige Tage mit dem neuen Bundestrainer verbracht. Was unterscheidet ihn von Joachim Löw, unter dem Sie debütiert haben?
Joachim Löw ist eher der ruhige Trainer, sehr persönlich. Hansi Flick lässt offensiver spielen, wir pressen anders. Die Trainingseinheiten waren bisher auch sehr intensiv. Wir lernen seine Philosophie aber jetzt erst so richtig kennen.

Bundestrainer Hansi Flick (r.) im Gespräch mit BVB-Mittelfeldspieler Mahmoud Dahoud. © imago / Sven Simon
Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle im DFB-Team?
Ich versuche, Gas zu geben und mich im Training zu zeigen. Aber ich weiß, dass viel Konkurrenz da ist, gerade auch auf meiner Position im Mittelfeld. Hier spielen schließlich die besten deutschen Fußballer.
Mit welchen Qualitäten können Sie Hansi Flick von sich überzeugen?
Die Spielverlagerung oder das schnelle Umschaltspiel. Beides gehört sicher zu meinen Stärken.
Die nächsten DFB-Gegner heißen Liechtenstein, Armenien und Island. Was bedeutet das?
Wir sind Deutschland. Wir sind eine große Fußballnation und wollen das auch wieder zeigen. Es ist klar, dass wir jedes Spiel gewinnen müssen und wollen.
Sie haben die Spiele bei der EM aus der Ferne verfolgt. Was muss besser werden, um den Anschluss nach ganz vorne wieder herzustellen?
Was besser werden muss, ist meiner Meinung nach die Kommunikation auf dem Platz. Wir müssen noch mehr als Team zusammenarbeiten und uns gegenseitig helfen und unterstützen. So wie die Italiener das bei der Europameisterschaft geschafft haben. Das war schon geil, wie die das gemacht haben. Sie hatten vielleicht nicht die stärksten Einzelspieler. Aber vom Teamgeist her waren sie die stärkste Mannschaft.
Nach Ihrem Debüt mussten Sie fast ein Jahr lang auf die nächste Einladung warten. Wird Mahmoud Dahoud jetzt zum Stammgast in der A-Nationalmannschaft?
Ich muss meine Leistung bestätigen und Gas geben. Und dann müssen wir schauen. Ansprüche stelle ich sicher nicht.
Ihr Debüt in der A-Elf im vergangenen Oktober war ein bewegender Moment. Was ist da alles passiert mit Ihnen und mit Familie Dahoud, die vor 25 Jahren aus Syrien nach Deutschland gezogen ist?
Mein Vater ist total verrückt nach Fußball. Er hat sich immer so sehr gewünscht, dass er Fußballer wird. Aber er hatte nicht die Möglichkeiten, im Profibereich zu spielen. Für ihn fühlt sich das jetzt so an, als wenn er gerade seinen eigenen Traum leben würde. Er spielt in Gedanken jede Szene mit. Und auch für meine Mama und meine Geschwister ist es schön, dass ich hier spielen darf.
Sie sind als Baby nach Deutschland gekommen. Der Start war sicher alles andere als leicht. Haben Sie mit Ihrer Karriere auch gezeigt, dass man alles schaffen kann?
Wenn du an dir arbeitest, ist alles möglich. Davon bin ich fest überzeugt. Man muss seine Träume verfolgen. Wenn man hart dafür kämpft, können sie sich auch erfüllen.
Wer ruft Sie eigentlich bei Ihrem vollen Vornamen Mahmoud?
90 Prozent der Leute sagen „Mo“. Aber einige mögen es, meinen ganzen Namen auszusprechen. Mats Hummels zum Beispiel. Oder Marco Reus. Der will mich damit immer necken.
Wie finden Sie die Balance zwischen der Lockerheit, die den „Mo“ als Persönlichkeit auszeichnet, und dem ernsten, ergebnisfixierten Profifußball?
Draußen bin ich spaßig und locker. Wenn es auf den Platz geht, wenn es drauf ankommt, musst du fokussiert sein auf die Spiele. Das bin ich auch. Ich brauche beide Phasen, um mich wohlzufühlen, die konzentrierte und die flapsige.

Sieht sich als Instinktfußballer: Mahmoud Dahoud. © imago / Revierfoto
Sie haben mal gesagt, Sie möchten gerne alles perfekt machen. Auf dem Platz und drumherum. Sind Sie aktuell zufrieden?
Ich spiele noch nicht auf dem Niveau, auf dem ich spielen möchte. Aber das kommt, es wird Spiel für Spiel besser. Die Saison mit Borussia Dortmund fängt gerade erst an. Wir befinden uns noch im Lernprozess und die Mannschaft muss sich noch finden. Ich habe schon im BVB-Podcast im Trainingslager gesagt, dass am Anfang alles erst einmal holprig werden kann. Aber ich glaube, wenn wir ein paar Spiele auf dem Buckel haben, kommt der Rest von alleine.
Stammspieler beim BVB, eingeladen beim Neustart der Nationalmannschaft: Hätten Sie zu Beginn dieses Jahres damit gerechnet?
Mit der Nationalmannschaft habe ich nicht unbedingt gerechnet. Aber ich bin davon ausgegangen, dass ich beim BVB regelmäßig spiele.
In Dortmund sah es auch nicht immer danach aus. Kurz nach der Winterpause wurden Sie für zwei Spiele suspendiert. Vorangegangen sein soll ein Streit mit dem damaligen Trainer Edin Terzic.
Da gab es keinen Streit. Zwischen mir und Edin war immer alles in Ordnung. Immer.
Wie wichtig war Terzic denn für Ihre Entwicklung?
Er hat mir eine ehrliche Chance gegeben.
Sie haben sich über die Zeit vorher nie öffentlich beklagt, aber es so erklärt: Ich habe mal gespielt, war dann auch gut und saß nachher trotzdem wieder auf der Bank. Wie wichtig war es für Sie, das Vertrauen von Terzic zu spüren?
Das ist für jeden Spieler sehr, sehr wichtig. Wenn du kein Vertrauen spürst und du nicht weißt, dass der Trainer wirklich hinter dir steht und an dich glaubt, dann spielst du auch nicht gut und kannst deine Leistung nicht abrufen.
Ein Spiel, wo Sie das Vertrauen bekommen haben, war das Champions-League-Achtelfinale beim FC Sevilla. Da ist der Knoten für Sie geplatzt. Haben Sie das auch so empfunden?
Nur zum Teil. Die Entwicklung hat in den Spielen davor schon begonnen. Ich habe manchmal nicht mehr mit einem Einsatz gerechnet, habe aber dann regelmäßig meine 20 bis 30 Minuten bekommen. Das hat mir wieder dieses Gefühl gegeben: „Ich bin noch da. Mit mir wird noch gerechnet.“ Und dann stand ich im Champions-League-Spiel in Sevilla in der Startelf und wollte einfach alles zurückzahlen. Es war ein sehr gutes Spiel von uns.
Welche Bezeichnung gefällt Ihnen besser: Instinktfußballer oder Straßenfußballer?
Instinktfußballer.
Welche Instinkte bringen Sie mit für Ihr Spiel?
Bei mir geschieht manches automatisch. Zum Beispiel, auf welche Seite ich aufdrehe, wenn ich den Ball in den Fuß gespielt bekomme. Oder dass ich in den richtigen Momenten entscheide, wann und welchen Pass ich spiele. Zeit ist knapp im Fußball, es muss alles schnell gehen. Am besten, ohne nachzudenken, aus dem Bauch heraus.
Fußball ist Technik, Taktik, Athletik - und welche Rolle spielt der Kopf?
Im Kopf entscheide ich mehr über die Defensivaktionen. Wann muss ich vorrücken, welchen Spieler muss ich übernehmen? Oder ob ich erst den nächsten Gegenspieler decke und dann den ballführenden Spieler? Taktik spielt dann auch mit rein in die Überlegung: Welchen Pass spiele ich in welcher Situation, und welchen Laufweg wähle ich.
Früher gab es Szenen von Mahmoud Dahoud, die man so beschreiben könnte: Erst Weltklasse, dann Kreisklasse. Ein Kniff von Terzic war es dann, Ihre Zeit am Ball zu reduzieren. Nicht viel mehr als fünf Sekunden, und weg mit der Murmel. Was hat das bewirkt?
Das stimmt so nicht. Mein Spiel war immer schnell. Ich hatte nie viele Ballkontakte. Ich habe das so in der Jugend von Borussia Mönchengladbach beigebracht bekommen und so auch bei den Profis gespielt.

Mahmoud Dahoud (l.) sagt über Edin Terzic: „Er hat mir eine ehrliche Chance gegeben.“ © imago / Christian Schroedter
Edin Terzic sowie Lucien Favre und Marco Rose beim BVB, Joachim Löw und Hansi Flick beim DFB - das macht fünf verschiedene Trainer in knapp einem Jahr. Wer hat Mahmoud Dahoud am besten eingesetzt?
Beim DFB hat man nicht so viel Zeit zusammen, deshalb kann ich das nicht wirklich vergleichen. Am intensivsten habe ich mit Edin Terzic gearbeitet. Aber auch Marco Rose hat vom ersten Training an sehr positive Eindrücke bei mir hinterlassen.
Sie galten immer als Achter, im zentralen Mittelfeld zuhause. Sind Sie eine Position weiter hinten als defensiver Mittelfeldspieler noch stärker?
Ich habe diese Position auch schon in der Jugend und beim DFB in der U21 gespielt. Ich war immer jemand, der die Bälle von hinten abholt und dann offensiv Druck macht.
Wenn man Sie spielen sieht, blühen Sie am meisten auf, wenn Sie schnell umschalten können oder den Spielaufbau mitbetreiben können. Sind das ihre großen Stärken?
Ja. Dabei fühle ich mich am wohlsten.
BVB-Sportdirektor Michael Zorc hat Sie kürzlich als Dieb bezeichnet. Können Sie sich vorstellen, warum?
Wegen der Bälle, die ich im Spiel klaue?
Genau. Woher kommt dieses Gespür für solche Balleroberungen?
Das ist eine Mischung aus Antizipation und ein Bauchgefühl, dass man weiß, was der Gegenspieler für eine Bewegung macht, wohin er dribbeln will. Manchmal gelingt es.
Lieber ein Trick oder lieber ein Tackling?
Ein Trick!
Beim BVB haben Sie die gesamte Vorbereitung absolviert. Wie wichtig war es für Sie, von Tag eins an dabei zu sein und den neuen Trainer Marco Rose kennenzulernen?
Sehr wichtig. Ich konnte wie ein Schwamm alles aufnehmen, was Marco Rose vorhat und vorgibt, welchen Fußball wir spielen wollen.
Was will er für einen Fußball spielen? Was sollen Sie für einen Fußball spielen?
Offensiv, mit direktem Pressing, immer mit dem Blick nach vorne. Nicht den Ball nach hinten spielen, sondern direkt nach vorne. Attraktiven Fußball eben. So stellen wir uns das vor.
Ist Tempo in der Ballverarbeitung, was Ihnen ja liegt, ein entscheidender Schlüssel?
Ja, Spielaktivität ist Marco Rose sehr wichtig. Das ist im Top-Fußball überall ein entscheidender Faktor. Rose wünscht sich, dass kein Spieler auf einem Fleck verharrt, sondern dass sich die Achter und Stürmer ständig bewegen und nicht in toten Räumen stehen.
Und was ist mit der defensiven Härte?
Die muss da sein, auch bei mir.
Die Konkurrenz auf Ihrer Position ist groß.
Ich gehe davon aus, dass ich auch mal aussetzen werde. Wir müssen rotieren.
Aber Sie gehen schon davon aus, dass Sie einen Großteil der Spiele machen werden? Das Selbstbewusstsein ist inzwischen da?
Ich hoffe. Ich werde Gas geben. Ich muss meine Leistung bestätigen. Da ist noch viel Luft nach oben.
Ist das so?
Ja, zu einhundert Prozent.
Was dürfen die BVB-Fans denn noch von Ihnen noch erwarten?
Einiges.

Erling Haaland lauert beim BVB auf die Pässe von Mahmoud Dahoud. © imago / ActionPictures
Besonders beeindruckend sind Ihre Steilpässe auf Erling Haaland, wie in den Spielen bei Manchester City, in Wolfsburg oder zuletzt im Supercup. Ist das einstudiert oder ahnen Sie: Der steht da!
In Teilen sind diese Szenen auch einstudiert. Natürlich weiß ich, dass Erling Haaland da vorne steht und nur darauf lauert, dass er lossprinten kann. Ich versuche einfach, den Ball so gut es geht dorthin zu passen.
In der Vorbereitung haben Trainer und Spieler immer wieder von Konstanz gesprochen. Dann startet der BVB mit einem furiosen 5:2 gegen Frankfurt in die Saison, eine Woche später gibt es eine vermeidbare Niederlage in Freiburg. Wie ist das zu erklären?
Es war unsere erste Englische Woche, wir hatten keinen vollbesetzten Kader und angeschlagene Nationalspieler wie Emre Can oder Mats Hummels, auch Raphael Guerreiro war noch nicht fit. Aber wir hätten das Spiel trotzdem gewinnen können, wenn wir unsere Chancen genutzt hätten. Wir standen zwei- oder dreimal allein vor dem Torwart.
Insgesamt macht es den Anschein, als wachse in Dortmund wieder etwas zusammen. Es gibt viel Lob für das Trainerteam, die Mannschaft ist bis auf Jadon Sancho und Thomas Delaney zusammengeblieben, einige Neue sind dazugekommen. Was glauben Sie ist drin für den BVB in dieser Saison?
Vom ganzen Paket her ist das eine richtig geile Truppe. Es macht sehr viel Spaß, da mitzuspielen und zu trainieren. Es ist einfach schön, dabei zu sein in so einem starken Kader und auch mit dem Trainerteam passt alles zusammen. Ich hoffe, dass wir so schnell wie möglich aus unseren Fehlern lernen und wir noch besser zusammenwachsen.
Sie persönlich nehmen dabei in der Zentrale eine wichtige Position ein. Fast jeder Spielzug läuft über Sie.
Nicht jeder, die Gegner stellen mich auch oft zu, wie zuletzt in Freiburg oder gegen Hoffenheim. Dann kommst du nicht gut in den Spielaufbau rein, aber dafür sind andere Spieler frei auf den Außen oder die Achter.
Ist es für Sie nicht auch eine Auszeichnung, wenn die Gegner Sie so zustellen? Oder ärgert es Sie mehr, dass Sie nicht so aufspielen können, wie Sie wollen?
Ehrlich: Es nervt.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.

Jahrgang 1991, tritt seitdem er Vier ist selbst gegen den Ball, hat mit 14 das erste Mal darüber berichtet, wenn es andere tun. Wollte seitdem nichts anderes machen und hat nach Studium und ein paar Jahren Lokaljournalismus seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Seit 2021 BVB-Reporter.
