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Analyse der Gegentor-Flut: Das ist die größte Schwachstelle des BVB
Borussia Dortmund
50 Gegentore hat der BVB in dieser Bundesliga-Saison bereits kassiert. Aus welchen Situationen sind sie entstanden, wie sind sie gefallen, wer hat sie verschuldet? Die Analyse der Gegentor-Flut.
„Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive gewinnt Meisterschaften“ - dieses oft zitierte Sprichwort aus dem US-Sport beschreibt die Situation rund um Borussia Dortmund wohl am besten. Spiele hat der BVB in dieser Saison einige gewonnen, meist dank seiner starken Offensive. Von einem Titel ist er aktuell aber meilenweit entfernt - weil es hinten einfach zu oft klingelt. 50 Gegentore haben die Schwarzgelben in der laufenden Bundesliga-Saison bereits kassiert - das sind mehr als in den beiden Meistersaisons 2010/11 und 2011/12 zusammen. Aber aus welchen Situationen entstehen die Gegentreffer, in welchen Zonen ist der BVB besonders anfällig und spielen individuelle Fehler wirklich eine so große Rolle? Wir analysieren die Gegentor-Flut von Borussia Dortmund:
Standards, Flanke, Passspiel: So kassiert der BVB seine Gegentore
Schon seit Jahren begleitet Borussia Dortmund dieses Problem, kein Trainer hat es in den Griff bekommen, auch Marco Rose bislang nicht: Besonders bei Standardsituationen ist der BVB oft unsortiert, fängt sich so Gegentore, die mit guter Staffelung und klarer Zuteilung prinzipiell leicht zu verteidigen wären. Neunmal klingelte es in dieser Spielzeit bereits nach einem ruhenden Ball des Gegners (sechs Ecken, drei Freistöße), dazu kommen fünf Elfmeter. Macht in Summe 14 Gegentreffer nach Standardsituationen. Kurios: Trotz dieser schwachen Statistik nach ruhenden Bällen ließ der BVB nur drei Tore durch einen Kopfball zu - das ist Bundesliga-Bestwert.

Im Heimspiel gegen Leipzig kassierte der BVB vier Gegentreffer. © dpa
Den Großteil der Treffer gegen den BVB spielten sich der FC Bayern München, RB Leipzig und Co. durch Kombinationsspiel heraus. In 27 Fällen ging eine Passstafette über mehrere Stationen einem Treffer voraus, fünf mal rappelte es nach Flanken aus dem Spiel heraus. Zweimal führte eine Einzelleistung eines Gegenspielers zum Tor, zwei werden in der Statistik unseres Spieldaten-Anbieters Deltatre unter „sonstige Gegentore“ geführt.
In dieser Zone ist Borussia Dortmund besonders verwundbar
Immer wieder wird über die zu schwach besetzten Außenpositionen bei Borussia Dortmund diskutiert. Lange Zeit galt die rechte Seite mit Thomas Meunier als Schwachstelle. Nach dessen Leistungssteigerung vor seiner Verletzung verlagerte sich das Problem in der öffentlichen Wahrnehmung auf die linke Flanke mit Raphael Guerreiro und Nico Schulz. Doch die größte Schwachstelle der Borussia ist das Zentrum.

Anfällig im Zentrum: 32 der 50 BVB-Gegentreffer fielen durch die Mitte. © Deltatre
Der BVB kassiert 64 Prozent seiner Gegentore (32 von 50) durch die Spielfeldmitte - bei keiner anderen Bundesliga-Mannschaft ist dieser Anteil so hoch. Acht Gegentreffer wurden über die rechte Abwehrseite der Borussia eingeleitet, zehn über die linke.
Ballverluste: Der BVB lädt die Gegner zum Toreschießen ein
Die individuellen Fehler ziehen sich bei Borussia Dortmund wie ein roter Faden durch die Saison. Immer wieder leisten sich die BVB-Profis im Spielaufbau zu einfache Ballverluste, laden den Gegner zum Toreschießen ein. Einzig Hertha BSC kassierte mehr Gegentore nach einem Ballverlust im Spielaufbau (19) als Borussia Dortmund (18) – für den BVB sind das so viele wie nie zuvor seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1992. Kaum ein Spieler kann sich von Vorwürfen freimachen: Die 18 Ballverluste verteilen sich auf zwölf verschiedene Spieler (unter anderem Jude Bellingham und Julian Brandt mit je drei).

BVB-Innenverteidiger Dan-Axel Zagadou (r.) patzte beim 1:3 in München folgenschwer. © dpa
Und dann sind da ja noch die ganz groben Schnitzer, wie die von Dan-Axel Zagadou in München, als er Serge Gnabry den Ball in den Fuß spielte. „Wir machen wieder einen ganz einfachen Fehler zum 0:2“, sagte Marco Rose über das BVB-Dauerthema. Insgesamt fünf solcher groben Fehler leisteten sich seine Spieler in dieser Bundesliga-Saison bisher - nur Eintracht Frankfurt patzte genauso häufig. Zagadou war gleich zweimal der Schuldige, Julian Brandt, Raphael Guerreiro und Marin Pongracic jeweils einmal. Erfreulich aus Dortmunder Sicht: Einen echten Torwart-Bock gab es bisher weder von Gregor Kobel noch von Marwin Hitz.
Gegen Borussia Dortmund reichen wenige Torchancen
Eigentlich könnte man meinen: Wer viele Gegentore bekommt, lässt die gegnerische Mannschaft auch zu vielen Chancen kommen. Nicht so bei Borussia Dortmund. Der BVB ließ an den bisherigen 32 Spieltagen nur 42 Großchancen zu, ligaweit weisen nur vier Teams (Stand vor den Montagspartien) eine bessere Statistik auf (Leverkusen, Bayern, Union, Leipzig). Das Problem: Es reichen gegen den BVB auch weniger gute Möglichkeiten, um einen Treffer zu erzielen.

50 Gegentore hat der BVB bislang kassiert - die Torwahrscheinlichkeit der Gegner (xGoals) lag jedoch nur bei 46,6. © Deltatre
Interessant ist dabei auch der Blick auf die sogenannten „Expected Goals“. Denn die Schwarzgelben kassierten mehr Gegentore (50) als sie eigentlich aufgrund der Torwahrscheinlichkeit der Gegner (46,6) hätte kassieren müssen.
Historisch schlecht: Das gab es in einer BVB-Saison noch nie
Und dann gibt es noch eine ganz bittere Statistik aus Sicht der Borussia. Die Dortmunder mussten in dieser Bundesliga-Spielzeit dreimal vier oder mehr Gegentore hinnehmen: beim 3:4 gegen Bochum (32. Spieltag), beim 1:4 gegen Leipzig (28. Spieltag) sowie beim 2:5 gegen Leverkusen (21. Spieltag) – und das jeweils im Signal Iduna Park. So viele Heimspiele in einer Spielzeit mit mindestens vier Gegentoren hat es für den BVB in seiner Bundesliga-Historie zuvor nie gegen. Wollen die Schwarzgelben in der kommenden Saison wieder einen Titel gewinnen, muss Marco Rose diese Gegentorflut schnell in den Griff bekommen.
Jahrgang 1991, tritt seitdem er Vier ist selbst gegen den Ball, hat mit 14 das erste Mal darüber berichtet, wenn es andere tun. Wollte seitdem nichts anderes machen und hat nach Studium und ein paar Jahren Lokaljournalismus seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Seit 2021 BVB-Reporter.
